Die Finanzanalysten und ihre nicht immer ganz klaren Glaskugeln

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Wer Kurs- und Indexprognosen, wie sie zum Jahreswechsel gern abgegeben werden, für bare Münze nimmt, erlebt oft Enttäuschungen. Dass sich Finanzmärkte nicht exakt prognostizieren lassen, ist aber kein Beinbruch.

Am 2. Februar 2012 wurde der österreichische Analyst Alfred Reisenberger gefragt, wo seiner Meinung nach der heimische Leitindex ATX zum Jahresende stehen würde. Seine Antwort: Bei 2400 Punkten.

Der Reality-Check am letzten Handelstag des Jahres ergibt: exakt getroffen. Alle Achtung! Allerdings: Allzu häufig sind solche Treffer nicht. In Deutschland lagen die Expertenprognosen für den Leitindex DAX zu Jahresbeginn im Schnitt bei 6400 Punkten. Geworden sind es 7600. Das ist mehr als knapp daneben. Das Gros der Analysten hat den Markt 2012 also ungefähr ebenso stark unterschätzt, wie es ihn 2011 überschätzt hatte.

Was also sind solche langfristigen Index- und Kursprognosen wert? Die Antwort ist einfach: Nichts. Börse lässt sich so nicht prognostizieren.
Gott sei Dank, denn sonst würde sie nicht funktionieren. Im Prinzip werden auf diesem Marktplatz ja Geschäfte zwischen zwei Marktteilnehmern getroffen, von denen einer – entweder der Verkäufer oder der Käufer – eine suboptimale Entscheidung trifft. Diese würde er höchstwahrscheinlich unterlassen, wenn er die Zukunft einigermaßen seriös vor sich sehen könnte.

Nette Prognosespielchen

Die jährlichen Prognosen für Aktien und Indizes sind also nette Spielchen für die Galerie. An ihnen lassen sich durchaus wahrscheinliche Tendenzen ablesen. Sie dürfen aber – was vielen Kleinaktionären zu deren finanziellem Schaden leider häufig passiert – nicht als absolute Guideline genommen werden, an der eisern festgehalten wird.

Berechnen lassen sich Finanzmärkte jedenfalls nicht. Das mag überraschend klingen, denn immerhin wurden für komplizierte finanzmathematische Konstruktionen (etwa die Black-Scholes-Formel zur Berechnung des Wertes von Derivaten) schon Wirtschaftsnobelpreise vergeben. Blöd nur, dass zwei dieser Nobelpreisträger – Myron S. Scholes und Robert C. Merton – bei der praktischen Umsetzung ihrer Ideen 1998 mit LTCM die bis dahin größte Hedgefonds-Pleite der Wirtschaftsgeschichte gebaut haben.

Das Geheimnis: All die schönen finanzmathematischen Formeln basieren auf idealisierten Annahmen, zum Beispiel der vom effizienten Kapitalmarkt, in dem Marktteilnehmer ausschließlich rational handeln und alle verfügbaren Informationen schon korrekt in den Kursen enthalten sind. In einem solchen Markt gäbe es „Kursblasen“ ebenso wenig wie unterbewertete Aktien, deren Aufspüren Investoren wie Warren Buffett zu Milliarden verholfen hat.

Ineffiziente Märkte

Man sieht also: Markteffizienztheorien haben mit der Wirklichkeit sehr wenig zu tun. Dafür sorgen schon zwei starke menschliche Emotionen, die sich mathematisch schwer erfassen lassen, Kurse aber entscheidend bewegen: Angst und Gier. Und natürlich Computerprogramme, die darauf abzielen, erkennbaren Trends auf allen Zeitebenen sofort zu folgen – die damit also dafür sorgen, dass auch rational nicht begründete Kursbewegungen verstärkt werden.

Für Kleinanleger ist das natürlich eine frohe Botschaft, denn auf effizienten Märkten gäbe es für sie keine Möglichkeit, überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.
Für sie gibt es zwei erfolgreiche Strategien: Marktanomalien in Form von unterbewerteten Papieren aufzuspüren und dann zu hoffen, dass der breite Markt die Unterbewertung erkennt und korrigiert. Oder mithilfe von Trendfolgestrategien den Trends nachzufahren, die „Big Money“ vorgibt.

Beide Strategien erfordern ein großes Maß an Flexibilität (etwa, um unvermeidliche Fehlentscheidungen rasch zu korrigieren). Für beide ist es aber völlig unerheblich, wo der ATX oder DAX in einem Jahr stehen wird. In diesem Sinne: Happy Investing 2013!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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