Psychisch krank in der Arbeit

Psychisch krank Arbeit
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Das gemeinnützige Unternehmen Reintegra befasst sich seit 30 Jahren mit der Reintegration psychisch Kranker in die Arbeitswelt. Der Bedarf wächst stetig.

Wien. Psychische Erkrankungen sind mittlerweile die Hauptursache dafür, dass Menschen arbeitsunfähig werden und Invaliditätspension beziehen. Im vergangenen Jahr waren 9070 Menschen in Österreich wegen psychiatrischer Probleme arbeitsunfähig, während vergleichsweise wenige (3010) wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus der Arbeit ausscheiden mussten. Im Jahr 2010 waren 54Prozent der Neuzugänge zur Invaliditätspension im Alter zwischen 16 und 49 Jahren psychischen Leiden geschuldet. Bei den unter 39-Jährigen waren es sogar 61 Prozent. Die Ursachen für diesen dramatischen Anstieg sind komplex.

Johannes Wancata, Leiter der Abteilung für Sozialpsychiatrie der Med-Uni Wien, nennt einerseits die Enttabuisierung und die genauere Diagnostik als Grund, andererseits hätten sich auch die Behandlungsmethoden geändert: „Ein viel größerer Anteil der psychisch Kranken wird heute nicht mehr stationär, sondern ambulant behandelt. Außerdem werden heute im Arbeitsalltag weniger psychisch Kranke trotz ihrer Beeinträchtigung einfach mitgetragen“, sagte Wancata am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion im Haus der Industrie.

Auch wenn die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen wie Depressionen generell abnimmt, wissen dennoch viele Unternehmen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn ein Mitarbeiter betroffen ist. Nur wenige Unternehmen gehen proaktiv mit der Frage um, wie sich psychisch Kranke in den Arbeitsalltag integrieren lassen.

Reintegration als wirtschaftlicher Vorteil

Eine Antwort darauf gibt die Firma Reintegra, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Reintegra ist ein gemeinnütziges Unternehmen der Stadt Wien, das fachspezifische Rehabilitationsdiagnostik für psychisch Kranke bietet und einen individuellen Plan für den Berufseinstieg vorbereitet.

Dabei arbeitet man viel mit Partnerunternehmen zusammen. Ein Beispiel ist die Kooperation mit iSi, einem Hersteller von Druckkapseln und -geräten. iSi arbeitet seit fast sechs Jahren mit Reintegra zusammen. Die 38 Reintegra-Mitarbeiter werden in der Qualitätskontrolle, Montage und Verpackung eingesetzt. iSi hat sich nicht nur aus sozialen Gründen für die Kooperation entschieden. Das Unternehmen profitiert wirtschaftlich davon. „Die Zusammenarbeit gibt uns die Möglichkeit, Tätigkeiten an unserem Standort in Wien durchzuführen, die wir sonst auslagern müssten. Das betrifft vor allem die manuelle Arbeit“, sagt iSi-Geschäftsführer Dominik Guggenberger. Neben Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Invaliditätspension erhalten die psychisch kranken Mitarbeitern bis zu 300 Euro Taschengeld im Monat.

Damit alles reibungslos ablaufe, sei es wichtig, diese Zusammenarbeit klar zu kommunizieren. Für den Fall, dass Probleme auftreten, etwa, wenn ein Mitarbeiter vergessen hat, seine Medikamente zu nehmen, seien vor Ort zwei professionelle Betreuer von Reintegra anwesend, die Krisen schnell abfangen würden.

Reintegra beschäftigt 250 Mitarbeiter in Werkstätten in Wien Floridsdorf. Der überwiegende Teil ist psychisch schwerst krank. Zwei Drittel leiden unter Schizophrenie und wahnhaften Störungen, etwas über ein Viertel an Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Mit der Reform der Invaliditätspension werde sich das aber ändern, ist Reintegra-Chef Stefan Brinskele überzeugt. Dann hätten nämlich auch psychisch leicht Erkrankte ein Anrecht auf Rehabilitation.

Ziel der Reform der Invaliditätspension ist, etwas überspitzt gesagt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die befristete Invaliditätspension wird ab 2014 völlig abgeschafft. Das bedeutet eine klare Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder, jemand ist unbefristet krank und definitiv nicht mehr arbeitsfähig, oder er ist reintegrierbar. „Dafür brauchen wir realistische Arbeitsangebote“, appelliert Brinskele an die Unternehmer: Die Zeit, als psychisch Kranke Tonaschenbecher hergestellt haben, „sollte Vergangenheit sein“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2013)

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