"Der Gast schaut auf Pistenkilometer"

Voriges Jahr waren sogar US-amerikanische Investoren in den Tiroler Alpen auf Shoppingtour. Vielleicht sind sie bald der letzte Strohhalm für die kleinen und mittleren Skigebiete, die längst ums Überleben kämpfen?

„Wir sind kurz vor dem Sterben“, sagt Rudolf Nagl. Der Bürgermeister der Tiroler Gemeinde Axams blickt dieser Tage wehmütig nach Schladming. Dort beginnt morgen die Skiweltmeisterschaft. Nicht nur die Bilder von Marcel Hirscher und all den Sportskanonen werden um die Welt gehen. Hollywoodstars wie Arnold Schwarzenegger und Kevin Costner werden das steirische Ennstal ins rechte Licht rücken.

Vor fast einem halben Jahrhundert spielte die Musik in Axams. Im Zuge der Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck galt die Axamer Lizum als das Nonplusultra des Wintersports. Pepi Stiegler holte auf dem Birgitzköpfl Slalomgold, Christl Haas führte Österreich auf der Hoadl in der Abfahrt zum legendären Dreifachtriumph vor Edith Zimmermann und Traudl Hecher. Alles lange her. Seit Jahren ist die Axamer Lizum ein touristisches Sorgenkind.

Nicht das Einzige, weiß Franz Hörl, Obmann des Seilbahnenfachverbands in der Wirtschaftskammer. Viele Wintersportorte kämpfen um ihr Überleben. Die Kassen der öffentlichen Hand sind klamm, und auch das Verständnis für den Wintertourismus in der Bevölkerung schwindet zusehends. Selbst in Tirol hat der Wintertourismus keine Narrenfreiheit mehr. Schon gar nicht im Ballungszentrum Innsbruck.

Gemeinden wie Axams seien längst zu „Schlafdörfern“ geworden, meint Karl Gostner, Obmann des Tourismusverbands Innsbruck. Wer sich die Grundstückspreise leisten kann, siedelt sich hier an, genießt die ländliche Idylle nur einen Katzensprung von der Landeshauptstadt entfernt und ist froh, dass er vom Massentourismus verschont bleibt. Tatsächlich sind die kleinen Skigebiete wie die Lizum oder die Muttereralm nur „an den Wochenenden bei Schönwetter“ überrannt, sagt Gostner. Allerdings von Einheimischen, die nur einen Bruchteil eines Touristen für die Tageskarte zahlen. „80 Prozent der Gäste sind Einheimische“, sagt Gostner. „Mit ihnen erzielen wir nicht die nötigen Einheitspreise.“ Während die Nächtigungen in Tirol in den vergangenen 30 Jahren um 60 Prozent gestiegen sind, hat der Zentralraum um Innsbruck ein Minus von 30 Prozent verzeichnet. Nicht nur die Gäste bleiben aus. Auch die Einheimischen kehren dem Wintersport den Rücken. Heute fahren um 15.000 Tiroler weniger Ski als Anfang der 1990er-Jahre.

Die Musik spielt in der Salzburger Skiwelt Amadé, die mit mehr als 800Pistenkilometern wirbt, oder in Ischgl, wo an die 250 Kilometer meist mit Kunstschnee überzogene und zu Autobahnen präparierte Pisten zur touristischen Verfügung stehen.

„Der Gast schaut nur auf die Pistenkilometer“, sagt Sepp Rettenbacher, Obmann der Touristenverbands Stubai. Nicht wenige kleine und mittlere Skigebiete werden von der Landkarte verschwinden, prognostiziert Seilbahnenverbandschef Franz Hörl.

Nischen haben keinen Platz. So hat etwa das Skigebiet Schlick im Stubaital auf Familien mit Kindern gesetzt. Vergeblich. Am Ende sind sie alle in Kitzbühel, am Arlberg oder in Sölden.


Wintersportort ohne Skigebiet.
Wintersportorte wie Neustift im Stubaital haben fast etwas Sentimentales. Der Ort bringt es auf mehr als eine Million Nächtigungen, verfügt aber über kein eigenes Skigebiet. Bis zum Stubaitaler Gletscher sind es 20 Kilometer. Seit einigen Jahren sinkt die Zahl der Nächtigungen dramatisch. „Urlaub am Meer heißt ja auch nicht 20 Kilometer vom Strand entfernt“, sagt Rettenbacher.

Die Gäste wollen Schnee, wenn es nicht schneit, beheizte Lifte und mehr Sicherheit bei gesteigerter Rücksichtslosigkeit. Das kostet Geld. 502,6 Millionen Euro investierten die Seilbahnen 2012. An die 300 Millionen davon in die Sicherheit und in den Komfort. Seit dem Jahr 2000 wurden in den Skigebieten sechs Milliarden Euro investiert.

Trotzdem gilt ein Seilbahnbetreiber in der Regel als Buhmann. Er ist es, der die Umwelt zerstört, die Alpen zu dekadenten Spielplätzen des Kapitalismus verkommen lässt. Kein gutes Klima für die Arge Brückenschlag. Dahinter verbirgt sich die Idee, die nicht überlebensfähigen Skigebiete im Stubaital sowie den Großraum Innsbruck in ein großes Skigebiet zusammenzuführen. Doch zwischen diesen Gebieten liegen die Kalkkögel, ein seit den 1980er-Jahren ausgewiesenes Ruhegebiet. Hier gilt absoluter Baustopp.

„Man muss auch darüber nachdenken dürfen, diese Verträge zu ändern“, sagt Bürgermeister Nagl. In Tirol wird im April ein Landtag gewählt. Für die Arge ist das der Zeitpunkt, die Landespolitiker in die Pflicht zu nehmen. „Man muss sich auch vor einer Wahl trauen, eine Position einzunehmen“, sagt Nagl. Umweltschützer und Alpenverein haben diese Position längst eingenommen. Sie lehnen eine Seilbahn über die Kalkkögel ab. „Es geht um zwei Stützen für die Seilbahn. Keine Abfahrt, kein Kahlschlag, kein Lawinenverbau“, sagt Rettenbacher.

Was tun, wenn mittlerweile in Tirol der Umweltschutz gegen den Tourismus siegt? „Neue Modelle suchen“, heißt es. Noch ist der Tourismus in Tiroler Hand. Grundbesitzer, Seilbahnbetreiber und Hotellerie streiten sich zusammen.


US-Investoren in Tirol. „Sie waren schon da, und sie haben sich alles angeschaut“, erzählt Karl Gostner. Die Rede ist von US-amerikanischen Investoren. Sie kamen im Schlepptau des gebürtigen Innsbruckers Franz Weber. Weber war in den 1980er-Jahren Weltrekordhalter im Geschwindigkeitsskifahren. Bretterte er einst mit 222 Stundenkilometern die Hänge hinunter, so berät der in Reno im US-Bundesstaat Nevada lebende Weber heute Investoren auf ihren Einkaufstouren durch die Alpen.

Beobachter sprechen von einem Naturschauspiel. „Da prallten US-amerikanischer Turbokapitalismus und Tiroler Dickköpfigkeit aneinander“, schildert es ein Eingeweihter. Bleibt die Frage: Wie lange können sich die Verantwortlichen in kleinen Skigebieten ihre Dickköpfigkeit noch leisten?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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