Firma und Kind: "Zusperren geht nicht"

Firma Kind Zusperren geht
Firma Kind Zusperren geht c Die Presse Clemens Fabry
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Selbstständig mit Kind. Geht das? Eine Modedesignerin, eine Mentaltrainerin und eine Unternehmensgründerin über Wippen am Zuschneidetisch, Stillpausen beim Führungskräfte-Coaching und den Mythos vom "umgelegten Hormonschalter".

Vorn, in der Auslage des Modegeschäftes am Anfang der Lerchenfelder Straße in Wien-Josefstadt, prangen kunstvoll bestickte Abendroben. Hinten, im Atelier, setzt die Modedesignerin Luise Hecher gerade Tee auf und erzählt, wie sie sich mit der Näherei ursprünglich das Architekturstudium finanzieren wollte. Dann hat sie den Nebenerwerb zum Hauptberuf gemacht. Mittlerweile ist Hecher seit 25 Jahren ihre eigene Chefin, hat eine treue Stammkundschaft und beschäftigt „zweieinhalb Mitarbeiterinnen“.

2006 kam ihr Sohn Leander auf die Welt. „Es war von vornherein klar: Zusperren geht nicht. Die Kundinnen wollen mich.“ Deshalb hat Hecher nie in Erwägung gezogen, eine Auszeit zu nehmen und für das Geschäft eine Betriebshilfe (siehe Info-Kasten) zu beantragen: „Das Kind ist an einem Mittwoch gekommen, und am Montag war ich wieder im Geschäft.“

Mit der staatlichen Unterstützung hat Hecher, zumindest in der ersten Zeit nach der Geburt, keine guten Erfahrungen gemacht: „Die Gebietskrankenkasse hat zwei Monate gebraucht, um herauszufinden, dass sie mich als Künstler-Altfall einstufen muss und wie das mit dem Geld funktioniert.“ Mit drei Monaten Verspätung bekam Hecher dann das Wochengeld.

Ihr Baby hat sie von Anfang an einfach ins Geschäft mitgenommen. „Leander hat hinten im Atelier geschlafen oder in einer Wippe am Zuschneidetisch.“ Ihre Mitarbeiterinnen hätten am Anfang sehr geholfen. Ein Vorteil sei auch, dass ihre Klientel hauptsächlich aus Frauen bestehe: „Die haben dafür Verständnis, wenn ein Kind dabei ist.“ Froh war Hecher über die Tatsache, dass 2002 das Kindergeld auch für Selbstständige eingeführt wurde. „Davor haben Selbstständige mit Kind vom Staat ja gar nichts bekommen.“

Privat statt Staat. Mit zwei Jahren kam Leander in den Kindergarten. „Ich habe mich für einen kleinen Privatkindergarten entschieden. Die sind flexibler als die öffentlichen“, sagt Hecher. „Die strengen Regeln vieler öffentlicher Kindergärten sind absurd. Dass das Kind bis neun Uhr abgegeben werden muss, zum Beispiel.“ Auch die Schulsuche war schwierig. Wieder entschied sich Hecher für privat statt öffentlich. „Ich wollte, dass die Schule in der Nähe des Geschäftes ist und nicht in der Nähe meiner Wohnung. Die öffentlichen Schulen haben diesen Wunsch nicht akzeptiert.“

Dabei sei es ein offenes Geheimnis, dass viele Eltern tricksen, um Kinder in einer Wunschschule unterzubringen, indem sie sich bei Freunden anmelden. „Das wird von den Schulen stillschweigend akzeptiert. Aber wenn man das Problem offen anspricht, wird nicht darauf eingegangen.“

Aber nicht alles sei negativ: „Dass der Kindergarten in Wien gratis ist, ist super.“ Gut findet Hecher auch, dass man einen Teil der Kosten, die in der Schule anfallen – etwa für Essensgeld oder Nachmittagsbetreuung – von der Steuer absetzen kann. In einer idealen Welt, sagt Hecher, gäbe es eine Ganztagsschule bis fünf Uhr mit Hort, flexibleren Abgabezeiten und einem späteren Unterrichtsbeginn. Doch selbst dann gäbe es immer noch das Ferienprobem: „In den Ferien ist man ständig am Checken und Organisieren. Gott sei Dank habe ich mir mittlerweile um den Arbeitsplatz ein privates Netzwerk aufgebaut.“ Der große Vorteil an der Selbstständigkeit mit Kind sei die Flexibilität. Die Schwierigkeit, jedenfalls in ihrer Situation als Kleinunternehmerin: „Du musst weiterarbeiten, egal, was kommt.“

Mentalcoach Kristin Walzer findet an der Flexibilität nicht nur Gutes. Die Freiheit, die man durch die Selbstständigkeit bekomme, sei nicht immer zum eigenen Vorteil: „Wenn man einen von außen strukturierten Arbeitsalltag hat, muss man sich nicht ständig darüber Gedanken machen, ob man etwas so oder so macht.“ Manchmal ertappe sie sich bei dem Wunsch nach einem „geregelten Angestelltenjob“.

Walzer hat sich vor acht Jahren als Mentaltrainerin für Sportler und Führungskräfte selbstständig gemacht. Das Konzept Mentalcoaching interessiert die studierte Psychologin und Sportwissenschaftlerin, seit sie mit 15 Jahren in den USA ein Jahr lang als professionelle Schwimmerin trainiert wurde. „Ich hatte damals Probleme mit Fehlstarts, und mein Mentalcoach hat mir geholfen, das zu überwinden.“ In den ersten Jahren als Coach war Walzer viel im Ausland, reiste mit Sportlern wie den Golfprofis Markus Brier und Natascha Fink auf Turniere mit.

Halbe Stunde Stillpause. Als sich der Kinderwunsch bemerkbar machte, begann Walzer, sich in Österreich ein fixes Standbein aufzubauen, und bot Seminartage und Einzelcoachings an. Dann kam Leonie auf die Welt. „Vor der Geburt habe ich gedacht, das wird alles einfach, schließlich bin ich gut organisiert. Aber die Managementaufgabe, die man als Mutter hat, ist mit nichts zu vergleichen.“ Derzeit ist Walzers Arbeitsplatz ihre Wohnung. Das sei im Moment die beste Lösung, sie freue sich aber auch schon darauf, wieder in einer Praxisgemeinschaft zu arbeiten. Von ihren Kunden habe sie nach der Geburt große Unterstützung erfahren: „Die Einzelcoachings dauern eineinhalb Stunden. In der Zeit, als ich Leonie gestillt habe, habe ich die Kunden gebeten, zwei Stunden einzuplanen, damit ich mir eine halbe Stunde Zeit zum Stillen nehmen kann.“

Jetzt ist Leonie zweieinhalb und geht halbtags in die Krippe. „Da habe ich erst einige Glaubenssätze über Bord werfen müssen“, sagt Walzer. Am Anfang sei sie sehr skeptisch gewesen. „Heute bin ich überzeugt, dass es gerade für Leonie als Einzelkind gut ist, dass sie früh Kontakt mit anderen Kindern hat.“ Einiges funktioniere in der Krippe sogar besser als zu Hause: „Beim Mittagsschlaf haben sie ihr eigenes Ritual, das klappt ganz wunderbar.“ Am Nachmittag kümmert sich Walzer selbst um Leonie, und „manchmal der Papa oder ein Babysitter“. Derzeit arbeitet sie 20 Stunden pro Woche. Für Walzer ist klar: „Wenn man mit Kind weiterarbeiten will, braucht man Unterstützung.“

„Jeder schnürt sein Sackerl.“ Die frisch gebackene Firmenchefin und zweifache Mutter Sophie Martinetz sieht ihre Selbstständigkeit als große Chance. Im September letzten Jahres hat sie mit Northcote eine Anwaltskanzlei gegründet, in der ein etwas anderer Wind weht, als es in der Branche üblich ist. Bei Northcote ist das oberste Prinzip die freie Zeiteinteilung und freie Wahl des Arbeitsortes. „In anderen Branchen mag das schon selbstverständlich sein, bei Juristen bedeutet so ein Arbeitsmodell eine Revolution“, sagt Martinetz. Es komme regelmäßig vor, dass der Arbeitstag keine acht Stunden hat. „Wir arbeiten auch von zu Hause aus. Und niemand ist länger als bis achtzehn Uhr im Büro.“

Bei Northcote arbeiten bisher nur Frauen. Sie hätten alle ähnliche Wertvorstellungen, sagt Martinetz. Die meisten seien selbst Mütter, die den Fokus, der bei Northcote auf die Work-Life-Balance gelegt wird, besonders schätzen. Auch die für Anwaltskanzleien typische Pyramidenstruktur will Martinetz aufbrechen: „Niemand ist dazu da, jemand anderem zuzuarbeiten. Jeder schnürt sein eigenes Sackerl, bestimmt selbst, wie viel Zeit da hineinfließt. Und verdient dementsprechend.“ Den Kunden werden nicht, wie sonst üblich, die Arbeitsstunden verrechnet, sondern die Leistung.

Hormonmythos.
„Frauen wird so viel Angst gemacht, wenn es um Mutterschaft geht. Wie oft habe ich gehört, wenn du einmal schwanger bist, dann legt sich in deinem Gehirn ein Hormonschalter um, und dann bist du nur mehr auf Muttertier gepolt.“

Das eigentliche Problem sei aber, wie Martinetz findet, dass die Spielregeln in der Arbeitswelt von Leuten gemacht würden, für die Arbeit die einzige Priorität sei. „Wer bei diesem Spiel nicht mitspielen will, bekommt normalerweise keine interessanten oder anspruchsvollen Fälle. Egal, ob Mann oder Frau.“ Martinetz' Kinder sind jetzt ein und drei Jahre alt, sie arbeitet derzeit 35 Stunden in der Woche. „Ein Familienleben lässt sich nicht mit einem Handschnippen erzeugen, das braucht Zeit und Energie.“ Sie alle hier bei Northcote seien auf der Suche nach dem goldenen Mittelweg zwischen einem erfüllten Berufs- und Privatleben. „Ich glaube, wir stehen an der Kippe zu etwas Neuem“, sagt Martinetz. Noch ziehe die ältere Generation mit ihren Wertvorstellungen die Strippen. „Wir haben genug davon. Wir wollen nicht mehr warten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2013)

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