Unternehmen: Tradition allein bringt noch keinen Erfolg

Tradition allein bringt noch
Tradition allein bringt noch(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Mit Pago ist nach Niemetz die zweite Traditionsfirma in Schieflage geraten. Was machen andere Unternehmen besser?

Eine Mauer aus gelben Getränkekisten umgibt fast das gesamte Firmengelände von Pago in einem Industriegebiet im Klagenfurter Süden. Unüberwindbar hoch reihen sich die mit grünen Pago-Flaschen gefüllten gelben Kisten aneinander. Fast scheint es, als soll dieser Schutzwall das Werk von den Widrigkeiten der Außenwelt abschirmen. Am vergangenen Montag hat die wirtschaftliche Realität aber auch diese Mauer eingerissen. Der Standort in Klagenfurt wird mit Ende des Jahres geschlossen, 110 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit. Das ließ der neue deutsche Mutterkonzern Eckes-Granini just zum 125-Jahr-Jubiläum von Pago verlauten.

Der graue, mit Schneewolken verhangene Himmel über Klagenfurt steht im krassen Gegensatz zu den sonnengelben Fabriksgebäuden. Mitarbeiter sieht man kaum, obwohl seit Dienstag, einem Tag nach der Hiobsbotschaft, wieder produziert wird. Einige Männer verlassen Tor vier Richtung Feierabend. Die meisten wollen nichts zur Situation des Unternehmens oder zur Stimmung in den Produktionshallen sagen. Jene, die Auskunft geben, wollen ihren Namen nicht nennen.

Ohne jegliche Vorwarnung sei das Aus verkündet worden, sagt einer. Mit der Schließung habe man nicht gerechnet, sagt ein anderer schulterzuckend. Hilflosigkeit spricht aus allen Wortmeldungen.

Für Handelsexperten ist es hingegen nicht sonderlich überraschend, dass Pago nun in Probleme geschlittert ist. Oder Niemetz. Beide Firmen hätten zwar starke und bekannte Marken. Das reiche aber gerade im hart umkämpften Lebensmittelmarkt nicht mehr aus, um erfolgreich zu sein. „Es gibt selten eine Problemfirma, wo nicht der Vertrieb ein großer Teil des Problems ist“, sagt Andreas Kreutzer vom Marktforscher Kreutzer Fischer & Partner. Auch bei Pago war das der Fall. Die Kärntner hatten vor allem auf den Vertrieb über die Gastronomie gesetzt. Für hohe Mengen braucht es jedoch vor allem Erfolg in den Supermärkten.

Um in den hart umkämpften Supermarktregalen auf die guten Plätze zu kommen, ist wiederum eine starke Vertriebsmannschaft notwendig. Und die ist teuer. Auch Traditionsmarken brauchen daher eine gewisse Größe. Einige Firmen hätten dies aber selbst nach dem EU-Beitritt und der Öffnung des Marktes verschlafen, so Kreutzer.

Aber nicht alle. Ihre Hausaufgaben gemacht haben etwa Manner oder die oberösterreichische Firma Haas. Zu Manner gehören inzwischen auch Casali, Ildefonso oder Napoli (Dragee-Keksi). Haas vertreibt neben selbst produziertem Pudding und Senf hierzulande auch Mentos, Fishermen's Friend und PEZ – Letztere gehören auch der Eigentümerfamilie Haas. „Ohne die Umsätze dieser Distributionspartner hätten wir vielleicht auch ein Problem“, sagt Haas-Geschäftsführerin Melitta Rittenschober.


Weinende Männer. „Wenn erwachsene, gestandene Männer weinend auf dich zukommen, braucht man nicht mehr lang über die Stimmung zu reden“, sagt Pago-Betriebsrat Walter Sereinig zur „Presse am Sonntag“. Auch für ihn kam das angekündigte Ende überraschend. „Die Signale, die wir zuletzt erhalten haben, waren eher positiv“, erzählt Sereinig. Für ihn geht es jetzt darum, den Sozialplan zu verhandeln. Die ersten Gespräche sollen Ende kommender Woche stattfinden.

Während die Mitarbeiter bei Pago unter Schock stehen, ist die Stimmung beim insolventen Schwedenbombenhersteller Niemetz gut, fast ausgelassen. „Wir stehen alle voll hinter dem Unternehmen“, sagt Renate Emler, Verkäuferin im Wiener Niemetz-Shop. Die Facebook-Gruppe „Rettet die Niemetz-Schwedenbomben“, die mittlerweile über 20.000 Mitglieder hat, ist an dieser Hochstimmung nicht unbeteiligt. Sie hat die Nachfrage nach den kalorienreichen Schaumbomben in die Höhe schnellen lassen. „Niemetz produziert derzeit über eine Million Schwedenbomben pro Woche. Trotzdem reicht das nicht, um die Nachfrage zu stillen“, sagt Masseverwalter Stephan Riel. Derzeit suche man nach Lösungen, um die Kapazitäten der veralteten Maschinen zu erhöhen.

Doch ob die Solidaritätswelle die jahrelangen Versäumnisse des Managements ausgleichen kann, ist mehr als fraglich. Denn Niemetz hat ein Erfolgskriterium konsequent ignoriert: die Internationalisierung. Andere Traditionsmarken wie Manner, Darbo und Stroh haben rechtzeitig erkannt, dass nur, wer über die Landesgrenzen hinweg denkt, dauerhaft überleben kann. „Um auf die Volumina zu kommen, die uns wettbewerbsfähig machen, brauchen wir das Ausland. Der Heimatmarkt ist beschränkt“, sagt Alfred Schrott, Marketingchef bei Manner. Fast 60Prozent des Manner-Umsatzes kommen aus dem Export.

Noch stärker exportlastig ist der Kärntner Spirituosenhersteller Stroh, der seinen Inländer-Rum, Jagertee, Punsch und Likör in rund 40 Länder exportiert. Jede dritte Flasche Rum geht ins Ausland. „Im Gegensatz zu Österreich sind wir im Ausland auch als Premiummarke bekannt“, sagt Stroh-Eigentümer und Geschäftsführer Harold Burstein. Ähnlich die Situation beim Tiroler Marmeladen- und Fruchtsirup-Hersteller Darbo. Das Umsatzwachstum werde vorwiegend im Ausland generiert, sagt Firmenchef Martin Darbo. Der Großteil gehe nach Deutschland oder Italien, aber auch in Russland habe man zuletzt stark zugelegt. „Der Erfolg im Ausland steht und fällt mit guten Vertriebspartnern. Ein Vertriebspartner muss die lokalen Handelstrukturen und den Konsumenten kennen.“


Sanierungsfall. Im Gegensatz zu Niemetz hat man bei Pago die Internationalisierung nicht verschlafen. Der strategische Marktzugang in Italien und Kroatien gilt neben dem starken Markennamen als Grund, warum Eckes-Granini Pago im Dezember vom Bierkonzern Heineken gekauft hat. Trotzdem hat Pago laut Eckes-Granini in den letzten Jahren keinen Gewinn geschrieben und sei ein Sanierungsfall.

„Wir können uns bei Heineken dafür bedanken, dass wir jetzt so dastehen“, sagt ein Mitarbeiter, als er das Werk verlässt. Pago ging 2003 an den niederländischen Bier-Multi, als dieser die Mehrheit der Brauunion erwarb, zu der Pago seit dem Rückzug der Familie Pagitz in den 1970er-Jahren gehörte. „Heineken wollte uns aber nicht wirklich.“ Der von Heineken als Pago-Chef abgestellte Manager Alle Ypma will all dies nicht kommentieren. Er ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr in Klagenfurt und verwies auf Anfrage der „Presse am Sonntag“ auf den neuen Eigentümer Eckes-Granini. Als dieser Pago im Dezember übernahm, weckte dies bei den Mitarbeitern von Pago große Hoffnungen. Man wähnte sich bei dem Fruchtsaftspezialisten endlich in guten Händen. Ein Irrtum, sagt Betriebsrat Sereinig: „Die haben nur den Namen Pago gebraucht, sonst nichts.“

Eine Erfahrung, die etwa der Grazer Zuckerlhersteller Englhofer („Firn“) bereits vor mehr als 15 Jahren machen musste. Damals führten Nachfolgeprobleme zu einem Verkauf des Familienbetriebs an Nestlé, die Produktion wurde geschlossen. In den Supermärkten gibt es zwar nach wie vor die ehemaligen Englhofer-Marken zu kaufen. Sie stammen aber vom nunmehrigen Eigentümer Storck.

Dies zeigt, dass ein Generationenwechsel eine besonders heikle Phase für Familienunternehmen ist. Wollen und Können die Jungen die Firma weiterführen?

Oft fällt daher die pragmatische Entscheidung, das operative Geschäft externen Managern anzuvertrauen. So geschehen bei Manner und Almdudler. Das Unternehmen Almdudler gehört nach wie vor zu 100Prozent der Familie Klein. 2004 hat sich Thomas Klein, Sohn des Firmengründers Erwin Klein, allerdings aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und die Geschäftsführung Gerhard Schilling anvertraut: „Ab einer gewissen Größe wird externes Management für Familienunternehmen ein Thema“, sagt Schilling.

Auch Manner hat sich nach einer langen Zeit unter Familienführung externen Experten geöffnet – im Jahr 2007, als sich Carl Manner aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat zurückgezogen hat. Manner wird seither von einem Managerteam geführt. Zwei davon, Finanzvorstand Albin Hahn und Marketingleiter Alfred Schrott, kommen vom Lebensmittelkonzern Unilever: „Es war notwendig, von der patriarchalischen Führungskultur, wie sie Carl Manner gepflegt hat, abzuweichen“, sagt Schrott.

Beim 1879 gegründeten Familienunternehmen Darbo hingegen ist die Familie nicht nur Eigentümer, sondern leitet das Unternehmen auch nach wie vor. Seit 2009 teilt sich Martin Darbo, einer der vier Söhne von Klaus Darbo, den Chefposten mit seinem Onkel Adolf Darbo. Der Generationenwechsel sei unproblematisch verlaufen, sagt Martin Darbo, er habe sich Schritt für Schritt einarbeiten können. Das sei nicht selbstverständlich. Eine Studie des Industriewissenschaftlichen Institutes (IWI) belegt, dass ein Drittel der Betriebsübergaben bei Familienbetrieben wegen Überschuldung scheitert.


Potenzial versäumt. Doch selbst wenn die Betriebsübergabe erfolgreich erledigt wurde, der Vertrieb funktioniert und auch ins Ausland expandiert wurde, darf ein im Konsumgütergeschäft entscheidendes Erfolgskriterium nicht vergessen werden: das Marketing. „Das Überlebensgeheimnis einer Traditionsmarke ist, sie in den Köpfen der Konsumenten immer aktuell zu halten. Nur weil jeder ein Produkt kennt, kauft es noch lange niemand“, sagt Stroh-Chef Burstein. „Bei Niemetz sieht man jetzt, was für ein Potenzial bei den Konsumenten da gewesen wäre, wenn man das mit dem richtigen Marketing herausgekitzelt hätte. Man muss halt schauen, dass man den Spagat zwischen Marketingausgaben und Profitabilität schafft.“

Für Herwig Schneider vom IWI ist Manner ein gutes Beispiel für gelungenes Marketing: „Die machen es richtig. Das fängt beim gelungenen Sponsoring an, etwa bei den österreichischen Skispringern, die die rosa Manner-Helme tragen. Auch ältere Aktionen wie das Product-Placement bei der US-Serie ,Friends‘ bleiben in Erinnerung“. Marketing bedeute aber nicht, dass man dauernd neue Produkte bringen muss, sagt Marktforscher Kreutzer. So werde der größte Teil des Geschäfts immer noch mit den klassischen Haselnussschnitten gemacht. Die anderen Geschmacksrichtungen würden nur für größere Präsenz im Supermarkt sorgen.

Oft bedeutet Marketing auch, sich einfach über die Verpackung eine Unverwechselbarkeit zu geben – selbst wenn das Produkt darin leicht austauschbar ist. Ein Beispiel dafür ist die heimische Kinderlimonade „Dreh und Trink“, die sich mit ihren knallbunten Plastikflaschen mit dem Einwegverschluss unverwechselbar gemacht hat.

Auf die Spitze getrieben wurde das Verpackungsmarketing aber von PEZ. So gibt es rund um die seit Anfang der 1950er-Jahre produzierten PEZ-Spender, deren Köpfe aktuellen Trends angepasst werden, inzwischen eine riesige Sammlerszene – vor allem in den USA, wohin rund die Hälfte der Produktion geht. Der Legende nach war PEZ sogar der Auslöser für die Gründung des Internet-Auktionshauses eBay: Der Amerikaner Pierre Omidyar habe die Plattform im Jahr 1995 erstellt, um seiner Freundin das Tauschen der PEZ-Spender mit anderen Sammlern zu erleichtern (Omidyar erklärte inzwischen, dass das nicht direkt der Grund für eBay war, es ihm aber half zu verstehen, wie Sammler „ticken“).

Das Internet wird jedoch auch abseits von eBay-Legenden für heimische Traditionsfirmen immer wichtiger, um sich ohne große Kosten bekannt zu halten. Und das wissen viele Unternehmen nicht erst seit dem – verspäteten – Erfolg von Niemetz. „Social Media ist für uns eine wichtige Plattform“, sagt Almdudler-Geschäftsführer Schilling. „Auf Facebook haben wir mittlerweile deutlich über 200.000 Fans“.

Diese Ansicht teilt Georg Holzer. Der Journalist und Blogger aus Klagenfurt hat am Tag des Bekanntwerdens der Standortschließung die Facebook-Gruppe „Rettet Pago“ gegründet. Mittlerweile zählt diese bereits über 10.000 Mitglieder. Dass die Sympathiebekundungen auf der Seite den 110 Mitarbeitern nicht helfen werden, ist Holzer aber ebenso bewusst wie Pago-Betriebsrat Sereinig.

Dieser versucht nun, bei den Verhandlungen zum Sozialplan das Bestmögliche herauszuholen. Thomas Hinderer, Chef von Eckes-Granini, verspricht Lohnzahlung bis Ende des Jahres. Die Produktion im Klagenfurter Werk könnte jedoch schon früher, im Laufe des Jahres, eingestellt werden. Und dann ist der gelbe Wall aus den knallgelben Pago-Kisten, der sich zurzeit noch wie ein Schutzschild um das Werk schlängelt, wohl endgültig zusammengebrochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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