Die Waren halten viel zu kurz! Dieser Verdacht hält sich ewig

Die Waren halten viel zu kurz
Die Waren halten viel zu kurz(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine deutsche Initiative will beweisen, dass Produkte gezielt kaputtgehen. Alte Verschwörungstheorie oder neues Massenphänomen?

Berlin. Wir haben es doch schon immer geahnt: Wenn Drucker, Espressomaschine und Handy-Akkus unerwartet früh ihren Geist aufgeben, geht es nicht mit rechten Dingen zu. Dahinter steckt doch ein System. Man zwingt uns, ständig neue Güter zu kaufen, indem man die noch gar nicht alten zu früh kaputtgehen lässt. So landet alles auf dem Müll, nur eines nicht: eben dieses Gerücht über den gezielten Verschleiß. Oder, gelehrter gesagt: die „geplante Obsoleszenz“. Seit 80 Jahren hält es sich, köchelt weiter und kocht immer wieder hoch.

So wie jetzt. Die österreichische Zeitschrift „Konsument“ widmete ihm eine lange Strecke und startet eine Umfrage. Der Berliner Stefan Schridde sorgt für viel Wirbel mit seiner Plattform „Murks? Nein, danke!“. Er zeigt konkrete Verdachtsfälle auf und sammelt Erfahrungen der Verbraucher. Für die grüne Bundestagsfraktion hat der Betriebswirt daraus eine viel beachtete Studie erstellt.

Ideologische Attacken

Nicht nur die Arte-Doku „Kaufen für die Müllhalde“ überhöhte ihre Beispiele zur flammenden Attacke auf das Wirtschaftssystem. Ähnlich ideologisch aufgeladen reagieren Gegner der These: Sie sei ein Mythos der linken Konsumkritik, eine absurde Verschwörungstheorie.

Ob Zeitgeschichte oder modernes Märchen: Schon das erste Kapitel ist ins Dunkel gehüllt, obwohl es um Licht geht. Im Phoebus-Kartell teilten sich 1924 die Glühbirnenhersteller nicht nur den Markt auf, sondern legten auch 1000 Stunden als Lebensdauer fest. Davor gab es Lampen für 2500 Stunden auf dem Markt. In den 40er-Jahren flog das Kartell auf, US-Richter verboten die Lebenszeitbegrenzung. Aber wie böse war das nun? Die Hersteller erklärten, sie hätten nur die Lichtausbeute optimiert. Bei weniger Stromstärke hält die Lampe länger, gibt aber zu viel Wärme und weniger Licht ab – und ist ein Stromfresser. Der sinnvolle Standard erleichtere Vergleiche. Eine Ausrede? Die Ikone der Obsoleszenz-Gläubigen, für die sie zur Feuerwehr einer kalifornischen Kleinstadt pilgern, überzeugt auch nicht: Die älteste Glühbirne der Welt verbreitet seit 1901 ein erbärmlich fahles Licht.

Es fehlen die Kronzeugen

In der Nachkriegszeit wurde Obsoleszenz salonfähig und auf Universitäten gelehrt – in einer harmloseren Variante: Werbung und Design sollen dafür sorgen, dass die Kunden kein Interesse an langlebigen Produkten haben. Das funktioniert bis heute: Ein Flat-Screen wird häufiger gewechselt als der alte Röhrenfernseher. Die robuste Wählscheibe haben wir durch ein Smartphone ersetzt, das wir alle zwei Jahre um seiner neuen Generation willen auf den Müll werfen, um nicht selbst zum alten Eisen zu gehören. Ist das unvernünftig?

Bei Handys und Computern sind die Fortschritte rasant und attraktiv. Bei einer Waschmaschine wird, wer es sich leisten kann, eine langlebige bevorzugen. Angehende Ingenieure lernen daher, auf eine „geplante Gebrauchsdauer“ hin zu entwickeln – mit den niedrigstmöglichen Kosten. So weit, so legitim. Aber lauten ihre Aufträge im Berufsleben dann anders? Müssen sie das statistisch zu erwartende Lebensende auf das Jahr nach Ablauf der Garantiefrist einstellen, obwohl der typische Kunde das Produkt länger verwenden will?

Schridde ist davon überzeugt, obwohl auch er keinen Kronzeugen präsentieren kann, der offiziell auspacken würde. Seine Fallbeispiele sollen zeigen: Auf die Materialkosten kommt es nicht an. Bei den Verschleißteilen, die über die Lebensdauer entscheiden, gehe es oft nur um Centbeträge. Wer dennoch Teile einsetzt, die rasch kaputtgehen, wolle seine Kunden zu raschem Neukauf zwingen und so seine Umsätze steigern.

Fluch und Segen für die Umwelt

Aber könnte eine solche Strategie im freien Wettbewerb überhaupt funktionieren? Mirko Meboldt kontert mit volkswirtschaftlicher Logik. Der Professor für Produktentwicklung an der ETH Zürich erinnert an die Autos, die früher am Rost zugrunde gingen, bis Audi und Porsche die verzinkte Karosserie auf den Markt brachten. „Der erste Hersteller, der ein länger haltbares Produkt anbietet, hat immer einen Wettbewerbsvorteil“, den er nutzen wird – „und die anderen müssen folgen“, selbst wenn die Umsätze der Branche sinken.

Der heutige Konsument kauft freilich oft und billig: „Es wird so viel Schrott produziert wie nie zuvor“, und dass Qualität vom Markt verschwindet, liege „auch in der Verantwortung der Kunden“, klagt Meboldt. Das Kalkül lässt sich ökonomisch deuten: Wer nach und nach zehn Sonnenbrillen um 30 Euro kauft statt einmal eine um 300 Euro, erhält einen Kredit (er zahlt in Raten) und eine Versicherung (das finanzielle Risiko, eine Brille zu verlieren, ist geringer). Und die Müllberge? Die Ökobilanz kurzer Lebenszyklen ist keineswegs klar negativ: Würden wir nur alle 30 Jahre ein Auto kaufen, hätten viele noch nicht einmal einen Katalysator. Umwelttechnologie setzt sich rascher durch, wenn öfter nachgekauft wird.

Ob man das Obsoleszenz-Gerücht für plausibel hält, hängt auch davon ab, für wie stark man den Kunden wähnt: Hat er als Marionette des Marketings längst jeden Überblick verloren? Oder hat das Internet den „mündigen Konsumenten mächtiger denn je“ gemacht, wie Meboldt meint? Worin sich alle einig sind: Mehr Transparenz und Information sind ein Segen – auch wenn die einen damit nur schwarze Schafe aufdecken, die anderen aber den Kapitalismus aus den Angeln heben wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2013)

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