Abschied vom Freiheitstraum Auto

Abschied vom Freiheitstraum Auto
Abschied vom Freiheitstraum Auto(c) Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Wird den Jungen das Auto egal? Experten streiten, sicher ist: Virtuelle Mobilität verdrängt das Auto als Freiheitssymbol.

„Jeder Mensch, der über 30 ist und Bus fährt, hat sein Leben verfehlt.“ Glaubt man dieser Weisheit, die lange Zeit fälschlich Margaret Thatcher zugeschrieben wurde, so ist die Zahl der gescheiterten Existenzen dramatisch gestiegen. Eine neue Studie zeigt, dass in Wien junge Menschen immer seltener und später den Führerschein machen.

Hat der lange Abschied vom Auto endgültig begonnen? Zumindest auf den Straßen ist davon nichts zu bemerken. Wieder werden an diesem Pfingstwochenende stundenlange Staus das Klischee ad absurdum führen, dass Auto Freiheit bedeute.

Jugendkultur war Autokultur

Aber die Einstellung der Jungen wandelt sich. Vorbei ist in gewissen Milieus der Großstadt die Zeit, als der Führerschein glaubwürdiger als die Geburtsurkunde bewiesen hat, dass man (und v.a. Mann) erwachsen ist. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die erste Fahrt am Steuer ein Initiationsritus, Jugendkultur war Autokultur, nirgends so sehr wie in Amerika, wo man an Freitagabenden oft nichts anderes tat, als mit dem Auto die Straße rauf- und runterzufahren oder auf Fast-Food-Parkplätzen zu stehen.

Doch wo man auch hinblickt im reichen Westen, ob nach Deutschland, England, Frankreich oder in die USA – überall zeigt sich deutlich ein neuer Trend. Er begann schon Jahre vor der Wirtschaftskrise und betrifft die sogenannte GenerationY, also jene Menschen, die um die Jahrtausendwende Teenager waren. Sie kaufen weniger neue Autos und machen seltener den Führerschein. Amerikaner zwischen 21 und 34 Jahren etwa kaufen fast um die Hälfte weniger Neuwagen als vor 15Jahren, in Frankreich hat nur noch ein Drittel der Generation Y den Führerschein.

Der Befund ist klar, die Ursachen sind es nicht. Viele läuten schon den Abschied vom Auto ein. Als Statussymbol habe es ausgedient, sagen sie, die neue Einstellung heiße „Nutzen statt besitzen“, man kombiniere verschiedene Formen der Mobilität. „Der emotionale Umgang mit dem Auto nimmt ab, wichtiger sind bequeme Verkehrslösungen“, meint etwa Markus Gansterer vom VCÖ.

„Desinteresse ist aufgezwungen“

Allerdings zeigt allein schon das Internet, wie emotional aufgeladen der Gebrauchsgegenstand Auto nach wie vor ist. Der emeritierte deutsche Soziologe Holger Rust etwa hat die „quintessenzielle ästhetische Ikone“ im Blog-Netzwerk Tumblr identifiziert: Modelle der Porsche-Serien 356 und 911. Verfolgt man die Verbreitung solcher Fotos und den Kontext der Postings, sieht man, dass das Auto nach wie vor eine unvergleichliche Lebensgefühlssymbolik hat.

„Die Faszination ist immer noch da“, ist Rust überzeugt, der in seinem Buch „Das kleine Schwarze“ jugendliche Autoträume analysiert hat. Er glaubt, dass das angeblich schwindende Interesse den Jungen eher aufgezwungen ist. „Autofahren in der Großstadt macht nun einmal nicht mehr viel Spaß, und in prekärer Arbeitssituation muss man sich auch genau überlegen, wofür man das Geld ausgibt.“ Und da hat das Auto große Konkurrenz bekommen, durch Smartphones und Tablets etwa.

Die virtuelle Mobilität löse die reale ab, lautet denn auch ein Erklärungsansatz, den Studien in den USA und Japan stützen: Je mehr Zeit Junge demnach im Internet verbringen, desto weniger machen sie den Führerschein.

Sicher ist, dass die heute Zwanzigjährigen ihre Freiheit und Unabhängigkeit vor allem im virtuellen Raum finden. Vor einem halben Jahrhundert waren jugendliche Autofahrer die neuen Cowboys, heroisiert durch Filme, Bücher und Popmusik. Von diesem Freiheitsgefühl ist zumindest in der Stadt wenig übrig. Verabschieden sich die jungen Städter aber deswegen wirklich schon vom Auto? Oder spielt nicht auch eine Rolle, dass sich die gesamte Lebensplanung – geregelter Job, Familie – nach hinten verschoben hat?

„In den Zukunftsvorstellungen spielt der Autobesitz noch genau so eine Rolle wie Wohnung oder Smartphone“, betont Rust. Seinen Untersuchungen zufolge ist die Welt des Car-Sharing oder gar die autofreie Welt nicht einmal in den Köpfen der Jungen angekommen. Fazit des bekannten Kritikers der Trendforschung: „Derzeit ist völlig unklar, was passieren wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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