"Besser, die Menschen lernen das Falsche als nichts"

Johannes Kopf
Johannes KopfDie Presse (Clemens Fabry)
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Die Wirtschaftskrise habe den Fachkräftemangel entschärft, sagt AMS-Vorstand Kopf. Langfristig betrachtet werde er aber zunehmen.

Die Presse: Unternehmer klagen laufend über den Fachkräftemangel. Ist das nur Gejammer, oder ist die Situation wirklich so schlimm?

Johannes Kopf: Das schwächere Wirtschaftswachstum, das steigende Arbeitskräfteangebot aus den neuen EU-Ländern und die hohe Arbeitslosigkeit haben die Situation sicher entspannt. Der Mangel ist schwächer als 2008. Trotzdem gibt es einen, regional und in spezifischen Branchen. Es gibt zum Beispiel 83 arbeitslose Dachdecker und 135 offene Stellen. 147 arbeitslose Starkstromtechniker trotz 108 offener Stellen. Und man muss davon ausgehen, dass das AMS nicht von allen offenen Stellen weiß.

Warum ist das so? Liegt das nur an der mangelnden Mobilität?

Erstens sind Menschen auch dann arbeitslos, wenn sie ihren nächsten Arbeitgeber schon kennen. Damit sind sie in Wirklichkeit gar nicht verfügbar. Regionale Mobilität ist auch ein Thema, der arbeitslose Dreher ist vielleicht in Wien, die Stelle in Oberösterreich. Und es gibt immer einen Mangel an Topleuten. Spitzenverkäufer rechnen sich immer, daher gibt es immer zu wenige. Unter den Diplomingenieuren gibt es kaum Arbeitslose und offene Stellen, die werden schon von der Uni geholt.

Aber auch bei Akademikern sprechen Firmen häufig von einem Mangel.

Echte Spitzenkräfte, zum Beispiel Forscher, kann man nie genug haben, weil jeder von ihnen so viel Potenzial hat, dass dadurch Jobs entstehen. Das ist ja das Prinzip der Rot-Weiß-Rot-Karte. Da gibt es immer einen Mangel, weil mehr immer gut ist. Das gesamte Fachkräfteproblem ist heute geringer als in den Boomjahren von 2006 bis 2008. Aber es ist trotzdem da.

Man hört eher, dass das Problem schlimmer wird.

Die Anforderungen an die Arbeitskräfte steigen. Die guten Leute sind in der wissensbasierten Gesellschaft noch wichtiger als früher. Deshalb ist es normal, dass sich das verschärft. Sehr gute Leute gibt es immer zu wenig, jedes Unternehmen möchte gern die guten Leute durch sehr gute austauschen. Dass es in der langfristigen Betrachtung schlimmer wird, glaube ich, dass es jetzt schlimmer ist als 2008, bezweifle ich.

Heißt das, dass die Firmen zu anspruchsvoll sind?

Nein, das heißt, dass die Produkte komplexer geworden sind. Qualifikation wird wichtiger, damit wird auch der empfundene Mangel stärker. Lagerarbeiter mussten früher nur stark sein, jetzt müssen sie auch Software bedienen, und, wenn es ein internationaler Betrieb ist, Englisch können. So ist das auch in höher qualifizierten Bereichen.

Studieren die Menschen das Falsche?

Die Wirtschaft ändert sich so rasch, dass Lehrpläne kaum zeitgerecht reagieren können. Erst haben wir Chips produziert, dann wurde das nach Asien verlegt. Dann Software, dann wurde das verlegt. Das hat niemand vorhergesehen. Wir analysieren ständig, welche Trends es gibt. Für mehr als zwei, drei Jahre kann man nicht prognostizieren. Es arbeiten auch immer mehr Menschen in Jobs, die sie nicht gelernt haben. Darum sollte das Bildungssystem kreative Neugierde und Lernbereitschaft vermitteln. Je länger die Leute in der Bildung sind, desto höher ist ihre Weiterbildungsneigung. Darum ist es besser, die Leute lernen das Falsche als nichts.

Aber das Problem mit dem Fachkräftemangel ist doch auch, dass so wenige Menschen technische Berufe erlernen.

Ja, das Problem gibt es seit Jahrzehnten. Viel zu wenig Mädchen interessieren sich für diese Berufe, die Weichen werden früh falsch gestellt. Wenn sich ein Mädchen für den Matador interessiert, wird das nicht gefördert.

Vielleicht spielen viele Mädchen aber auch lieber mit der Puppe.

Bestimmt gibt es auch genetische Vorgaben. Aber sicher ist, dass wir das Potenzial nicht ausnutzen. Auch bei den Buben. Kfz-Mechaniker ist ein überlaufener Beruf, Landwirtschaftstechniker werden gesucht. Das Wissen, dass man auch am Traktor herumschrauben kann, nicht nur am Auto, hat auch etwas mit Information zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2013)

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