»Roboter müssen Menschen helfen, menschlicher zu sein«

Der US-amerikanische Psychologe Peter Kahn sieht in der Robotik große Chancen, aber auch erhebliche Gefahren. Längst haben Roboter die Spezies Mensch verändert, nicht nur zum Positiven, wie er findet.

Herr Kahn, in Pflegeheimen unterhalten Maschinen alte Menschen. Kann ein Mensch überhaupt eine soziale Beziehung zu einem Roboter haben?

Peter Kahn: Ja, das geht. Es gibt zum Beispiel eine Technologie, die Menschen mit Autismus unterstützt und mit ihnen kommuniziert. Andere Roboter sehen aus wie Tiere und spenden Leuten in Altersheimen Gesellschaft. Da gibt es viele Varianten. Untersuchungen zeigen, dass Roboter von Menschen gemocht und auch nach unseren Maßstäben voll respektiert werden können.

Ist das nun gut oder schlecht?

Beides. Auch wegen des ökonomischen Potenzials nimmt das Auftreten von Robotern in sehr vielen Lebensbereichen zu, und es gibt gleichzeitig mehr Menschen, denen das Sorgen bereitet. Ich denke, dass man sich auf eine gewisse Art auch sorgen sollte. In unserer Gesellschaft hat es immer wieder Arten von Dominanz gegeben. Wegen materieller Ressourcen, des Geschlechts und so weiter. Und zumindest diese Gefahr ist auch beim Fortschritt in der Robotik vorhanden. Heute gibt es schon Drohnen. Was, wenn Roboter in Zukunft Kriege nicht nur einfacher, sondern auch grauenvoller machen? Aber es braucht gar nicht diesen Extremfall der Kriegsrobotik, um Gefahren zu verstehen. Überall, wo sich Menschen und Roboter in Interaktion befinden, sollten wir aufpassen, dass Roboter den Menschen dienen.

Sie benutzen in Ihrer Arbeit die Metapher: „Natur und Menschen sollen durch Roboter blühen.“

Damit meine ich, dass bei allen Ressourcen, die in die Entwicklung von Robotern gehen, Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen sollten. Der Mensch wächst in einer engen Verbindung zur Natur auf und bei aller Innovation müssen wir darauf achten, diese Verbindung am Leben zu halten, um uns Menschen am Leben zu halten. Ein Roboter, der der Umwelt oder den Menschen nicht guttut, ist gefährlich.

Für einen Außenstehenden mag das nach Science-Fiction klingen.

Überall, aber gerade in Japan ist es interessant zu beobachten, wie viele junge Menschen mit irgendeiner Art von Roboter aufwachsen. Sie werden mit Smartphones groß, viele haben Spielzeugroboter in ihren Zimmern, die ihnen Dinge beibringen, sie kommunizieren auch weniger von Angesicht zu Angesicht. Das heißt, der Umgang wird immer selbstverständlicher. Das ist eine enorme Mentalitätsveränderung, wenn Sie es mit den Generationen von vor 50 oder 100 Jahren vergleichen. Heute gibt es, eben gerade in Japan, schon Fälle, in denen Menschen erzählen, dass sie sich in einen Roboter verliebt haben. Was sind die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, wenn es selbst für Liebe keiner Natur mehr bedarf? Über Sexroboter wird unter Entwicklern schon gesprochen, gewissermaßen gibt es sie bereits. Für gesund halte ich das nicht unbedingt, und mit erhöhtem und vielfältigerem Auftreten von Robotern kann es gut sein, dass so etwas in der Zukunft häufiger vorkommt. Die Folgen kennen wir nicht. Aber über solche Entwicklungen sollte man sich Sorgen machen.

Auch in alltäglicheren Bereichen wird darüber gestritten, welche Art von Maschinen den Menschen guttun. Gerade im Pflegebereich gibt es Fragezeichen: Geht es etwa bei einem Roboter, der Patienten ins Bett heben kann, eher um den gesunden Rücken der Krankenpfleger oder um die menschliche Zuneigung zum Patienten?

Der Grundsatz sollte sein, dass Roboter dem Menschen helfen, menschlicher zu sein. Für Krankenpfleger ist so ein Assistent also zunächst positiv, weil er gesundheitsfördernd wirkt. Und bei Menschen mit Pflegebedarf können Roboter auch zu einem Gewinn an Würde führen, wenn dadurch ihre Selbstständigkeit erhöht wird. Häufig ist es zum Beispiel unangenehm, jemanden um Hilfe auf der Toilette bitten zu müssen. Da wäre es positiv, wenn ein Roboter das erledigen könnte. Es muss dann natürlich einer sein, der als Werkzeug verstanden wird. Also einer, dessen Design möglichst keine Augen hat und gar nicht menschlich wirkt, weil eine derart intime Hilfe sonst womöglich wieder peinlich wäre. Generell denke ich, wenn es Assistenzroboter schaffen, Menschen über eine längere Zeit ein Leben daheim zu ermöglichen, ist das ein positiver Beitrag.

Viele Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen befürchten eine Vereinsamung durch Assistenzroboter. Die Hilfe durch Angehörige könnte nachlassen, weil sie technisch gesehen nicht mehr notwendig ist.

Das ist ein trauriger Ausblick und eine echte Gefahr. Teilweise ist das Ausbleiben von familiärer Hilfe allerdings durch ganz andere Entwicklungen bedingt und tritt erst durch den technischen Fortschritt zutage. Zum Beispiel: Wir leben und arbeiten immer seltener in der Umgebung unserer Eltern – ihnen im Alltag zu helfen, ist für uns daher oft unmöglich. Dies wird uns aber erst bewusst, wenn Roboter einen Umzug ins Pflegeheim vermeiden, wo es ja tägliche menschliche Hilfe gäbe. Ein anderes, grundsätzlicheres Problem setzt manchmal schon bei der Forschung ein. Nicht alle Entwickler, die an Assistenzrobotern arbeiten, denken an jede soziale Konsequenz. Das liegt auch daran, dass ihre Forschungsbudgets nicht unbedingt für solche Erwägungen bewilligt werden, sondern eher für pure technische Innovation. Aber man muss sagen, dass die meisten Assistenzroboter aus der Motivation heraus entstehen, einen guten Dienstleister zu schaffen.

Worauf muss geachtet werden, damit Assistenzroboter auf allen Ebenen ein Erfolg sind?

Technologisch geht es um einen Gewinn an Autonomie, aus ökonomischen Gründen auch um Effizienz. Was die soziale Seite angeht, dürfen wir uns nicht vorgaukeln, dass Roboter genauso gut wären wie Menschen. Als Komunikationspartner können sie besser sein als die Alternative, gar niemanden zu haben. Aber ein vollwertiger Ersatz sind sie nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

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