Stronach, der Faktor und die Mitarbeiter

Stronach Faktor Mitarbeiter
Stronach Faktor Mitarbeiter(c) APA/MARKUS LEODOLTER (MARKUS LEODOLTER)
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Der Politiker Stronach schimpft auf die Politik. Der Unternehmer Stronach schimpfte auf die Gewerkschaft. Dennoch gibt es auch in manchen Magna-Werken Betriebsräte. Die „Presse“ besuchte einen von ihnen.

Lannach. Auf dem Parkplatz ist kein schäbiges Auto zu sehen. Lannach, Industriestraße 35: Magna Powertrain. Ein Kronjuwel in Frank Stronachs abgelegter Krone. Als der Unternehmer Stronach Magna verließ, hinterließ er hier dem Politiker Stronach eine Botschaft: Reden vom zurückfallenden, wettbewerbsschwachen, unattraktiven, überbesteuerten Österreich sind unhaltbar. Lannachs Auftragsbücher sind über 2020 hinaus voll, 1650 Mitarbeiter erwirtschafteten 2011 einen Umsatz von 685 Millionen Euro. Der Gewinn betrug 193.000 Euro.

Die gepflegte Atmosphäre in der Halle erinnert an einen Flughafen unter Schalldämpfern, auf dem gepflegten Boden leuchten Bewegungszonen in Signalfarben. Hinter Absperrungen und Glas werken lautlose, computergesteuerte Automaten. Hie und da huscht ein staubfreier Arbeiter vorbei, blickt sinnend auf ein Schaltbrett, tippt behutsam einen Befehl in eine Tastatur oder hält leise Zwiesprache mit der Robotergruppe seines Vertrauens.

Hinter den sieben selbsttätigen Maschinenbergen wohnt Betriebsratsobmann Alfred Reidlinger (65) in einem spartanischen Bau für die Bürokraten des Standorts. Das eine, Wirtschaft, funktioniere ohne das andere, Gewerkschaft, nicht, sagt Reidlinger. Der Grund für den schmalen Profit 2011 sei übrigens ein Grund zur Freude: „Kurzfristige, hohe Investitionen, um die Stückzahlen liefern zu können. Wir sind phasenweise 19Schichten in der Woche gefahren.“

Techniker verdienen 4760 brutto im Monat

Einer Liste der Arbeiterkammer zufolge verdient ein Angestellter – häufig handelt es sich dabei um hoch qualifizierte Techniker – von Magna Österreich im Durchschnitt 14-mal 4760 Euro brutto im Jahr, ein Arbeiter 2808 Euro. Der Durchschnittsverdienst in der österreichischen Fahrzeugindustrie liegt laut Wirtschaftskammer bei Angestellten ein wenig höher (5488 Euro), bei Arbeitern ein wenig niederer (2473 Euro) als bei Magna. Die Fahrzeugindustrie ist dabei im Vergleich mit anderen Branchen keine schlecht-, aber auch nicht die bestzahlende Branche. So liegt das Durchschnittsgehalt bei den heimischen Autozulieferern bei 3999 Euro brutto. Zum Vergleich: In der Papier verarbeitenden Industrie werden im Schnitt 3295 Euro gezahlt, in der Mineralölindustrie 5277 Euro. Magna schwimmt also im „Mainstream“ der Arbeitgeber. Nach 20 Berufsjahren in Pension gehen zu können, wie Stronach zu Beginn seines Wahlwerbefeldzugs forderte, ist freilich nicht drinnen. Nirgends.

Magna liefert Teile und assembliert Vehikel der gehobenen Preisklasse. Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 bricht der Absatz von Kleinfahrzeugen weg, die Nachfrage nach teuren Modellen und Marken steigt unbeirrt wie der Marktwert der deutschen Fußballer. Der Politiker Stronach geriert sich als Vertreter des kleinen Mannes gegen die Politiker. Der Unternehmer Stronach profitierte vom steigenden Reichtum der oberen Schichten. Reidlinger glaubt, die Gründe für Österreichs relative Krisensicherheit zu kennen: „Wir haben in Österreich rund 90 Prozent der Beschäftigten im Kollektivvertrag, in Deutschland sind es schon weniger als 50Prozent.“

Das durchschnittliche Anfangsgehalt bei Magna Powertrain: 4000 Euro für einen Angestellten, 2300 Euro für einen Arbeiter. Als Stronach die Macht bei Magna abgab, kassierte er dafür angeblich eine Milliardenablöse in Dollar. Seine „Magna Charta“, der zufolge die Mitarbeiter am Gewinn beteiligt sind, gilt weiterhin. Derartige Beteiligungsmodelle gelten in vielen Konzernen. Magna schüttet vom globalen Konzerngewinn zehn Prozent vor Steuern an die Mitarbeiter aus, sechs Prozent an das Management. Zwei Prozent spendet Magna sozialen Titeln. Aus diesem Topf zahlte Stronach beispielsweise seine Zuwendungen an die Wiener Austria (1998–2007). Reidlinger rechnet vor: „Jeder Mitarbeiter hat einen Faktor, im ersten Jahr eins, im zweiten zwei. Ab dem dritten Betriebsjahr steigt er nur mehr jeweils um ein Zehntel, im zwölften Jahr ist er bei drei, und damit am Plafond. Dann hat der Mitarbeiter die maximale Erfahrung und Ausbildung.“

2012 wurden an rund 100.000 Mitarbeiter von Magna International rund 120 Millionen Dollar verteilt. Und zwar so: Der Bruttobezug (gedeckelt mit 70.000Euro/Jahr) wird mit dem persönlichen Faktor multipliziert und durch 100 dividiert. Das ergibt den Punktewert des Magna-Mitarbeiters. Die 120 Millionen im Topf werden durch die Gesamtpunkteanzahl der Magna-Mitarbeiter dividiert. Das ergibt eine Dollarsumme pro Punkt. Dieser Betrag wird für jeden Einzelnen mit dessen Punktewert multipliziert.

Reidlinger: „Über den Daumen erhielt ein Mitarbeiter mit einem Bruttobezug von 5000 Euro pro Monat im Jahr 2012 eine Gewinnausschüttung von 2500 Euro.“ Die Hälfte bar, die Hälfte in Magna-Aktien.

Als Stronach Steyr 1998 kaufte, schien er ein Schnäppchen zu machen. Bis dahin war Magna mit eher simplen Zulieferthemen wie Spiegeln, Türen und Dächern gut gefahren. Die Zukunft jedoch lag in der automotiven Hochtechnologie. Reidlinger: „Stronach hat sich ein ganz neues Geschäftsfeld gekauft.“ Laut einer Schätzung des ÖGBs machte die Republik Stronach den Deal zusätzlich mit zwei Milliarden Schilling (145 Mio. Euro) schmackhaft. Bei Magna gibt man sich zu solchen Themen zugeknöpft. Eine Stellungnahme wurde abgelehnt.

Stronach hat 10.000 Jobs geschaffen

Die Steyr-Komponentensparte mit 200 Angestellten wurde in das neue Lannacher-Werk übersiedelt: Powertrain. Die Mitarbeiterzahl hat sich seither verachtfacht. Powertrain schüttelt mittels Kunstgriffen wie Verzahnen, Aluminiumdruckguss, Verdrehung, Rundkneten oder Laserschweißen Zahnräder, Wellen, Gehäuse, Triebsätze und Ausgleichsgehäuse aus dem Werk. Stronach hat 10.000 Arbeitsplätze in Österreich geschaffen. Die heimische Ingenieurskunst verwandelte im Gegenzug seine Alustanzbude in einen Zukunftstechnologiekonzern.

Steyr-Betriebsrat Reidlinger zog nach Lannach und wurde Powertrain-Betriebsratsobmann. Das war nicht selbstverständlich. Als eine Mitarbeiterin in Weiz einen Betriebsrat gründen wollte, machte Stronach der Belegschaft klar, dass sie das nicht brauche. Reidlinger: „Da hat sich keiner getraut.“ Stronach verglich den ÖGB mit der Mafia, der man Schutzgeld zahlen müsse.

Im Weizer Magna-Werk gibt es bis heute keinen Betriebsrat. Desgleichen in Sinabelkirchen, in Albersdorf und in der Europazentrale in Oberwaltersdorf. Reidlinger: „Von 14.000 Mitarbeitern in Österreich hat rund ein Zehntel keine Vertretung.“ Mit Magnas langjährigem Chef Siegfried Wolf scheint Reidlinger sich verstanden zu haben. Reidlinger: „Dem Sigi Wolf war klar, dass ein guter Betriebsrat gut für das Werk ist.“

Wenn die Amerikaner aus der US-Magna-Zentrale aufkreuzen, wollen sie zuerst nach Lannach. Derzeit jucke sie wieder der Hafer der Zentralisierung, sagt Reidlinger. Und wenn die Rationalisierer und Verschlanker kommen? Reidlinger: „Dann sage ich, stellt erst alles ab, was etwas kostet und nichts bringt. Dann stellt alles ab, was mehr kostet, als es bringt. Und dann glaub ich nicht, dass wir einen zu viel haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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