Deutsche Gastarbeiter: "Ihr verkauft euch unter Wert"

Deutsche Gastarbeiter verkauft euch
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86.500 Deutsche arbeiten in Österreich. Was macht unser Land für diese deutschen Gastarbeiter so attraktiv? Top-Manager schätzen die Flexibilität und die kurzen Entscheidungswege.

Wenn ich in Deutschland bei einem Geschäftsessen einen Gesprächseinstieg brauche, ist Fußball ideal. Das funktioniert immer. In Österreich darf ich das absolut nie.“ Lukas Herrmanns schmunzelt, wenn er – jetzt, vor den Wahlen hier und dort noch mehr als sonst – auf die Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich angesprochen wird. Der Chef von Marsh Austria, einem der der weltweit führenden Industrieversicherungsmakler und Risikoberater, lebt seit fünfeinhalb Jahren in Wien und weiß inzwischen viel über die österreichische Seele und ihre wunden Stellen – vor allem wenn es um das Verhältnis zum großen Nachbarn geht.

Lange als arrogante und besserwisserische „Piefkes“, die mit ihren dicken Mercedes zu uns kamen und dann mit der harten D-Mark um sich warfen, skeptisch beäugt, sind die Deutschen dann zu den beliebtesten, weil verlässlichsten Touristen avanciert. Schließlich muss man sich mit ihnen nicht in einer Fremdsprache abmühen. Obwohl schon Karl Kraus meinte: „Das Einzige, was die Österreicher und Deutschen trennt, ist die deutsche Sprache.“

Doppelt so viele Deutsche wie Türken. Inzwischen hat sich das Blatt wieder gewendet: Die Deutschen schnappen uns die Studienplätze weg und überschwemmen zudem den Arbeitsmarkt, lautet das neue Vorurteil. Doch was ist dran an diesem Eindruck? 157.703 deutsche Staatsbürger lebten zum Stichtag 1.1.2013 laut Statistik Austria in Österreich, sie stellen die mit Abstand größte Gruppe an Ausländern. 86.500 Deutsche arbeiten hier – mehr als doppelt so viele wie etwa Türken (39.700). Und: Fast die Hälfte der Deutschen hat Matura, ein gutes Viertel auch einen akademischen Abschluss. Was macht unser Land für deutschen „Gastarbeiter“ so attraktiv? Die Walzer- und Mozartkugel-Gemütlichkeit kann es nicht sein, die spielt im Wirtschaftsleben keine Rolle. Die „Presse am Sonntag“ hat bei Top-Managern nachgefragt.

„Wir Deutschen sind sehr prozessorientiert, auf Stabilität und Konstanz aus – das führt zu einer gewissen Starrheit“, analysiert Andreas Bierwirth, Chef von T-Mobile Austria. Hierzulande habe er indes eine Flexibilität vorgefunden, die es ermögliche, dass auch gegensätzliche Positionen zueinanderfinden. Ist er also ein Fan der Sozialpartnerschaft geworden? Das hänge von den handelnden Personen ab, erinnert Bierwirth an die harten Kämpfe mit den AUA-Betriebsräten.

Der gebürtige Rheinländer (Lünen) kam 2008 nach Österreich – als Vorstand der AUA, vor einem Jahr wechselte er in die Telekombranche. Was den Marketing-Profi anfangs geschockt hat? „Zuerst hat man das touristische Klischee im Kopf: Alle sind charmant und freundlich.“ Mit der Zeit merkte er, dass die österreichische Seele tief gespalten ist und dass es eine andere Seite gibt, die bis zur Destruktivität geht. Das habe sich vor allem in der Art der Kommunikation gezeigt.

Nicht nur Bierwirth, auch sein Nachfolger bei der AUA, Karsten Benz, und Herrmanns loben die Flexibilität, mit der man sich hier auf neue Situationen und Herausforderungen einstellt. Das hänge auch mit dem kleinen Land zusammen, in dem Klein- und Mittelbetriebe dominieren. Viele hätten sich „pfiffig und schlau“ (Benz) am Weltmarkt etabliert. Österreich besitze sehr viele dieser Champions, die oft unbekannt seien. Voestalpine, Doppelmayr, Rosenbauer, Lenzing – die Liste lasse sich mit vielen kleineren Unternehmen fortsetzen. „Wir Deutschen würden uns viel mehr auf die Schulter klopfen, Österreich verkauft sich unter Wert“, bedauert Herrmanns. Dem kann Benz nur zustimmen: „Das Bild, das die Welt von Österreich hat, ist deutlich besser als das Selbstbild.“

Dass hierzulande Freunderlwirtschaft bis hin zur Korruption nicht mehr als Kavaliersdelikt gesehen und heftig angeprangert werde, wird sehr positiv gesehen. „Als ich nach Wien kam, habe ich rasch gelernt, dass man ohne Beziehungen, ohne ein Netzwerk wie die Jagd chancenlos ist“, erinnert sich Hermanns. Jetzt, mit einer neuen Managergeneration sei internationales Denken in die Unternehmen eingezogen. Der größere Horizont habe auch damit zu tun, dass Österreich lange die Drehscheibe zwischen Ost und West gewesen sei. „Die Öffnung haben die österreichischen Betriebe super genützt.“ Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise habe sich jedoch das wirtschaftliche Interesse auf andere Regionen verbreitert – und das sei gut so.

Benz kann dieser Ost-West-Schaltfunktion viel Gutes abgewinnen. Die Österreicher täten sich seit jeher leichter, in verschiedenen Kulturen und Märkten zu agieren und könnten sich daher rasch ein- und umstellen. Und der viel zitierte Schmäh? „Der ist schon zielführend – wenn darüber nicht die Substanz vergessen wird“, sagt Benz, der als Musikliebhaber zum Österreich-Fan geworden ist.

Die deutsche Arroganz mit dem gerne und oft erhobenen Zeigefinger sollten unsere Nachbarn jedenfalls vergessen, wenn sie hierzulande anheuern, meinen die Manager: „Österreich ist kein weiteres Bundesland“, warnt Bierwirth. Und Benz meint: „Die gleiche Sprache ist auch gefährlich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2013)

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