In Österreich landen pro Haushalt und Jahr Lebensmittel im Wert von 300 Euro im Müll, obwohl diese bei rechtzeitigem Konsum genießbar gewesen wären. Die Rewe-Gruppe startet eine Initiative gegen die Wegwerfkultur.
Wien. Trotz aller Appelle werden in Österreich viele Lebensmittel einfach weggeworfen. Laut einer Studie des Instituts für Abfallwirtschaft der Wiener Universität für Bodenkultur landen österreichweit pro Jahr 157.000 Tonnen Lebensmittel und Speisereste im Müll, obwohl diese eigentlich noch genießbar gewesen wären. Getränke und Milch sind darin nicht inkludiert. Mit den 157.000 Tonnen könnte man eine halbe Million Menschen ein Jahr lang ernähren. Aus der Studie geht weiters hervor, dass pro Haushalt und Jahr Nahrungsmittel im Wert von 300 Euro weggeworfen werden.
Am häufigsten werden laut Angaben des Lebensministeriums Brot, Süß- und Backwaren (28 Prozent) entsorgt. An zweiter Stelle liegen Obst und Gemüse mit 27 Prozent, gefolgt von Milchprodukten und Eiern mit 12 Prozent. Danach kommen Fleisch, Wurstwaren und Fisch mit elf Prozent.
Obst und Gemüse wird aussortiert
Österreich ist kein Einzelfall. Nach Untersuchungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gehen weltweit rund ein Drittel der für den Verbrauch produzierten Lebensmittel verloren. Mit verschiedenen Maßnahmen will das Lebensministerium erreichen, dass in Österreich der Anteil an weggeworfenen Nahrungsmitteln bis 2016 um 20 Prozent sinkt.
Ein Problem ist, dass große Mengen an genießbaren Lebensmitteln schon in der Landwirtschaft und im Handel aussortiert werden, weil sie nicht gewissen Normen und Standards entsprechen. Krumme Gurken oder fleckige Äpfel landen im Regelfall nicht in den Supermärkten. Doch nicht immer sind die Wetterbedingungen so gut, dass nur optisch perfekte Obst- und Gemüsesorten hergestellt werden können. Heuer gab es beispielsweise einen nasskalten Frühling und einen besonders heißen Sommer.
Die Schweiz als Vorbild
In diesem Zusammenhang hat vor Kurzem in der Schweiz die Supermarktkette Coop eine Initiative gestartet. Sie verkauft mit der Marke „Ünique“ auch Obst und Gemüse, das nicht der Norm entspricht – wie dreibeinige Rüben, krumme Gurken oder übergroßen Karfiol. Die Produkte sind um 35 Prozent billiger. Die Schweizer Zeitungen titelten, in den Supermärkten sei nun „Krüppel-Gemüse“ erhältlich. Bei Coop heißt es dazu, der Konsument habe vermehrt Verständnis für die Launen der Natur und sei bereit, auch außergewöhnliche Naturprodukte zu verkaufen. Coop veranstaltete auch einen Fotowettbewerb. Die Kunden wurden aufgerufen, Fotos mit unverwechselbaren Gemüsesorten einzuschicken wie Paradeiser mit Nasen oder in Herzform.
Rewe verkauft „Wunderlinge“
In Österreich ist nun die Rewe-Gruppe auf den Zug aufgesprungen. Seit heute werden in den Supermärkten von Billa, Merkur und Adeg auch krumme Karotten und Äpfel mit Hagelschäden zu einem deutlich günstigeren Preis angeboten.
Dazu hat Rewe die Eigenmarke „Wunderlinge“ geschaffen. Dabei handelt es sich um Obst und Gemüse, das zwar eigenwillig aussieht, aber geschmacklich einwandfrei ist. Gestartet wird mit Äpfeln, Karotten und Erdäpfeln. Je nach Saison soll das Angebot ausgebaut werden. Mit der Marke „Wunderlinge“ zeige man, dass „die Natur die wunderlichsten Formen hervorbringt“, heißt es.
Von dem Projekt profitieren zwei Seiten: „Der Konsument freut sich über günstigeres Obst und Gemüse, das sich vor allem zum Kochen und Weiterverarbeiten bestens eignet“, sagt der zuständige Rewe-Direktor Alfred Propst. „Und die Lieferanten können zusätzliche Waren absetzen, die sie bislang nicht an den Lebensmittelhandel verkaufen konnten.“ Bisher wurde das Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern an Tiere verfüttert, in der Industrie verarbeitet oder nach Osteuropa transportiert und billiger verkauft.
Rewe wartet nun ab, wie die „Wunderlinge“ bei den Konsumenten ankommen. Konkrete Zahlen über den erhofften Absatz gibt das Unternehmen nicht bekannt. Man möchte aber ein Zeichen gegen die Wegwerfkultur bei Lebensmitteln setzen, heißt es bei Rewe.
Solche Aktionen sind gut für das Image
Ähnliche Pläne gibt es bei Spar. Dabei hätten die Supermärkte schon längst nicht makelloses Obst und Gemüse verkaufen können. Doch die Unternehmen haben das Thema auch als gute Marketing-Geschichte entdeckt. So lud Rewe am gestrigen Montag zu einer Pressekonferenz ein, um die „Wunderlinge“ vorzustellen. Dort kamen unter anderem Vertreter von Global 2000 zu Wort. Diese lobten die Aktion als „bedeutenden Schritt“ gegen die Lebensmittelverschwendung und forderten andere Handelsketten auf, dem Beispiel von Rewe zu folgen. Auch die Konsumenten sollten mit dem Griff zur „hässlichen Karotte“ ein Zeichen für einen nachhaltigeren Lebensmittelmarkt setzen, so Global 2000.
Solche Aktionen dienen auch dazu, um das Image zu verbessern. Die Supermarktketten überbieten sich mit Initiativen, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu unterstreichen. Der Discounter Hofer verkauft beispielsweise wieder Grünstrom und arbeitete dabei mit der Wiener „Ökostrom AG“ zusammen. Und Hofer Reisen kooperiert mit der Naturschutzorganisation WWF, um „umweltverträglichen Tourismus“ zu fördern, wie es auf der Homepage heißt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)