Mit Osteuropa entdeckte Österreichs Wirtschaft die Welt

Russland, Moskau, Raiffeisenkasse
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Das intensive Engagement der österreichischen Wirtschaft in Osteuropa wurde mit der Finanzkrise dort wie da zum Problem. Unterm Strich aber bleibt eine positive Bilanz von zwei Jahrzehnten Ostexpansion.

Banken, Baumärkte, Brauereien. Fast alle, die in den vergangenen Jahren ihr Heil in Osteuropa gesucht haben, gehen seit einiger Zeit eher in die andere Richtung: zurück nach Hause. Zehn Jahre lang lockte die Region zwischen Balkan, Ural und Kaukasus heimische Firmen mit Wachstumsraten im mitunter zweistelligen Bereich. Doch die Krise hat dem Traum vom ewigen Boom vor den Toren Wiens ein jähes Ende bereitet. Von der Euphorie der Pionierjahre ist wenig geblieben. Und auch die Ökonomen konstatieren trocken: Die goldenen Zeiten sind mit Sicherheit vorbei. War deswegen aber alles umsonst? Ist Osteuropa für die heimische Wirtschaft nun Fluch oder Segen?

„Das Leben ist keine Linie, sondern eher eine Welle“, sagt Josef Kurzmann, Chef der oberösterreichischen Doka Group, die mit ihrer Schalungstechnik für den Bausektor in über 70 Ländern der Welt aktiv ist und zehn Prozent des internationalen Geschäfts in Osteuropa tätigt: „Sicher ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Es hat sich gezeigt, dass Osteuropa doch beträchtlich an Westeuropa hängt. So wie Mexiko an den USA. Wenn letztere husten, hat Mexiko Fieber“. Alles in allem aber sei Osteuropa ein sehr profitabler Markt gewesen, für den man „vorsichtig optimistisch“ bleibe, erklärt Kurzmann.


Keine Reue.
Der Handelskonzern Rewe äußert sich da weniger kritisch. Was Schwierigkeiten waren, wird von Unternehmenssprecherin Corinna Tinkler „Herausforderungen“ genannt. Das Engagement in sieben osteuropäischen Ländern habe sich klar gelohnt. Es gebe „keinen Grund, unser Engagement zu überdenken. Im Gegenteil, wir sehen auch in Zukunft großes Potenzial und werden weiter in diese Märkte investieren“.

Auch Ökonomen sind weit davon entfernt, einen Fluch zu nennen, was kürzlich noch ein eindeutiger Segen war: Österreich, so der Tenor, hat vom Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und der raschen Expansion der heimischen Unternehmen in die ehemaligen kommunistischen Länder weit mehr profitiert, als ein paar Jahre Krise jetzt kaputt machen könnten. Bei manchen Unternehmen ist das offensichtlich: Wo würde die OMV heute stehen, wenn sie nicht 2005 den rumänischen Staatskoloss Petrom übernommen hätte? Die Tochterfirma liefert nicht nur gute Gewinne nach Wien. Sie war es auch, die vor Kurzem gewaltige Gasvorkommen im Schwarzen Meer entdeckt hat.

Aber auch die meisten anderen heimischen Unternehmen haben ihren Schritt in die Region zumindest in den ersten Jahren nicht bereut. Der Nachholbedarf der Bevölkerung war enorm. Entsprechend hoch auch die Aussicht auf Gewinne. Besser als etwa den Deutschen gelang es den Österreichern, sich – dank der historischen Nähe – in vielen Ländern eine Hausmacht aufzubauen. Abzulesen ist das etwa in der Außenhandelsstatistik: Von 1995 bis 2011 sank der Anteil der heimischen Exporte in die alten EU-15 von 66 auf 54 Prozent. Der Anteil der Exporte in die mittelosteuropäischen Länder und Russland konnte hingegen von zehn auf 22 Prozent mehr als verdoppelt werden. In Summe wuchs Österreichs Wirtschaft dank Osteuropa jedes Jahr um 0,2 Prozentpunkte schneller, errechnete Fritz Breuss, WU-Professor für Außenhandel.


Keine Höhenflüge.
Davon kann heute angesichts der Rezession in weiten Teilen der Region zwar keine Rede mehr sein. Und auch nach dem Ende der Talsohle erwarten Ökonomen keine Rückkehr zu früheren Wachstumsraten. Ein Vorteil für die heimische Wirtschaft wird aber bestehen bleiben: Anders als die meisten anderen Schwellenländer ist Osteuropa so nah, dass sich auch Klein- und Mittelbetriebe über die Grenzen wagen. „Bis zur Ostöffnung war Österreichs Wirtschaft sehr provinziell“, sagt Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

Natürlich habe es in der Expansion auch Fehlgriffe gegeben, räumt er ein. So hätten die heimischen Banken etwa zu freizügig Kredite vergeben und damit eine Konsumblase mitgeneriert, unter deren Platzen sie nun leiden. Im Vorjahr kürzte die Ratingagentur Moody's den Großbanken Erste, Raiffeisen Bank International und Bank Austria die Bonität. Grund: das starke Engagement in Osteuropa. Zwölf Monate später sieht das allerdings schon wieder anders aus. Kürzlich lobte Moody's die österreichischen Banken über den grünen Klee. Grund: Die Expansion nach Osteuropa sei zwar risikoreich, habe sich aber bezahlt gemacht.


Differenzierung.
Ratingagenturen sind nicht nur wankelmütig. Schon zu Beginn der Finanzkrise hat sich auch gezeigt, dass sie die osteuropäischen Staaten undifferenziert über einen Kamm scherten. Wie haushoch der Unterschied sein kann, weiß nicht zuletzt die Erste Bank, die im Jahr 2000 eigentlich als Späteinsteiger in den Osten ging. Die langjährige rumänische Verlustbringerin BCR sollte heuer wieder ins Plus drehen, die Ungarn-Tochter hingegen hat den Verlust im ersten Halbjahr auf 98,9 Mio. Euro ausgeweitet. In beiden Ländern machen notleidende Kredite um die 30 Prozent des Kreditportfolios aus. Und aus der Ukraine hat sich das österreichische Geldinstitut kürzlich überhaupt verabschiedet. Begründet wird das damit, dass die Erste Bank nur in Ländern sein will, die zur EU gehören oder in absehbarer Zeit gehören werden. Gewiss, derzeit bewegt sich Ungarn wirtschaftspolitisch von der EU weg. Das beunruhigt, ist aber offenbar noch kein Anlass für Hysterie: Als Traditionsinstitut habe man schon Schlimmeres erlebt, meint Erste-Sprecherin Hana Cygonkova: „Wir glauben immer noch, dass wir die richtigen Länder gewählt haben. Osteuropa ist ein Segen, obwohl er nicht über Nacht kommt.“

Gut Ding braucht eben Weile. Und nüchterne Bedachtsamkeit, wie die Schalungstechniker von Doka wissen. „Osteuropa wird im nächsten Jahr keine Umsatzexplosion bescheren“, sagt Doka-Chef Kurzmann. Nur in Polen gebe es eine stärkere Dynamik. Und in Russland, das bisher rechtlich als zu unsicher galt, werde man sukzessive einen Zahn zulegen.

Einen Zahn zulegen werden, so Ökonom Landesmann, auch die Österreicher müssen. Denn mit den Billiglohnländern vor der Tür müsse man bemüht bleiben, hohe Löhne durch höhere Produktivität zu rechtfertigen. Landesmann sieht dies als positive Folge der Ostöffnung: „Der Druck auf Strukturanpassungen bleibt hoch.“

Fakten

0,2 Prozentpunkte
an zusätzlichem Wachstum brachte Osteuropa der österreichischen Wirtschaft jährlich.

22 Prozent der österreichischen Exporte gingen 2011 nach Osteuropa. 1995 waren es noch zehn Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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