"Die größte Lüge ist, dass es kein Geld gibt"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Österreicher revolutioniert das Gesundheitssystem der Briten. Einfach nur bessere Geräte zu bauen ist dafür zu wenig. Wer mit Spitälern ins Geschäft kommen will, muss Geld einsparen, sagt CN-Systems-Gründer Jürgen Fortin.

Graz. „Eigentlich wollte ich ja Wissenschaftler werden“, erzählt Jürgen Fortin. Doch da sich justament kein Unternehmen finden ließ, das die Dissertation des angehenden Medizintechnikers finanzieren wollte, gründete der Grazer kurzerhand selbst eine Firma, um damit sein Doktorat zu überbrücken, bis endlich ein Platz an der Universität für ihn frei werden würde.

Das ist mittlerweile 15 Jahre her, und heute ist klar: Wissenschaftler wird Jürgen Fortin so bald nicht werden. Denn seine Erfindung, ein Gerät, mit dem Ärzte den Blutkreislauf von Patienten ohne Nadelstich überwachen können, verkaufte sich besser als gedacht. Die ersten beiden Geräte bestellte die US-Raumfahrtbehörde Nasa via E-Mail, noch bevor sie überhaupt produziert waren. Spitäler im In- und Ausland griffen zu – und sein Unternehmen, die CNSystems Medizintechnik AG, räumte einen Preis nach dem anderen ab: 2003 den österreichischen Staatspreis für Innovation, 2005 den Red Herring Europe der 100 erfolgreichsten Privatunternehmen Europas. „Dabei machen wir die wirkliche Innovation erst jetzt“, sagt der Unternehmer. Und zwar die Kombination aus medizinisch-technischen Vorteilen und ökonomischen Vorteilen.

Sparen ein ganzes Spital ein

„Es ist ein schwerer Fehler zu glauben, dass der Patient unser Kunde ist“, sagt Fortin. „Unser Kunde ist das Gesundheitssystem.“ Und das funktioniere in allen Ländern der Welt gleich: Die medizinisch bessere Lösung allein bringt wenig. Dafür stehen die Gesundheitssysteme zu stark unter Rechtfertigungsdruck. Neue Geräte müssten beides können: eine bessere oder zumindest gleich gute Leistung bringen – und vor allem Geld einsparen.

Genau dieser Spagat gelingt dem Grazer Unternehmen ideal. CNSystems löst Probleme für Anästhesisten, von denen die meisten Menschen wohl nicht einmal wussten, dass sie existieren: Bei jeder fünften Operation war es bisher notwendig, das Herz-Kreislauf-System der Patienten mittels Herzkatheter oder mithilfe arterieller Nadeln zu überwachen. Das Problem dabei: Die Gefahr von Komplikationen ist relativ groß. Das handliche Gerät von Fortin (CNAP) schafft es, permanent Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt der Patienten zu überwachen, ohne dafür einen einzigen Nadelstich zu setzen.

Die Überwachung per Fingermanschette ist revolutionärer, als es auf den ersten Blick aussieht. Denn eine Studie aus Großbritannien hat gezeigt, dass durch dieses Gerät die Chance auf Komplikationen während einer Operation von 30 auf 18 Prozent fast halbiert werden kann. Und das ist bares Geld wert: Mit der Anschaffung könne sich das britische Gesundheitssystem jedes Jahr auf einen Schlag 200.000 bis 250.000 Bettentage sparen, so die Studie. „Das ist ein ganzes Krankenhaus“, sagt Fortin.

Österreich noch zögerlich

Kein Wunder, dass Spitäler auch im Rest der Welt Interesse zeigen. Zulassungen gibt es bis dato in den USA, Europa und Japan. Auch China hat eben erst 150 Geräte bestellt. „Nur Österreich und Deutschland sind noch sehr konservativ“, klagt der Unternehmer. Hier müssten die zuständigen Stellen noch mit mehr Studien „unterfüttert“ werden. Bald schon werde sein System ohnedies international Standard sein, ist er überzeugt. Dann könne sich auch Österreich nicht länger zieren. Für einen soliden Wachstumskurs reicht es bisher auch ohne die „Heimmärkte“. Im Vorjahr fuhr das 30 Mitarbeiter starke Unternehmen 3,5 Millionen Euro Umsatz ein und war zum zweiten Mal in seiner Geschichte profitabel.

Einen Vorteil bringt die Tatsache, dass medizinisch-technische Geräte so viele Studien benötigen, um eine Zulassung zu bekommen, aber doch: Es ist ein gewisser Schutz vor der Kopierfreudigkeit manch asiatischer Unternehmer. Fortin selbst glaubt zwar ohnedies, dass China hart daran arbeite, als Hightech-Standort ernst genommen zu werden, und daher Patente von Mittelständlern wie ihm auch entsprechend schütze. Aber selbst wenn jemand die Geräte von CNSystems kopierte, könnte er sie nicht einfach an Spitäler verkaufen, da er die Studien für die Zulassung nachmachen müsste.

Businesspläne statt Reisepläne

Zeit für die Wissenschaft bleibt Fortin nicht viel. „Heute schreibe ich eben Patente statt Dissertationen“, sagt er. Die Universität hat der Unternehmer deswegen aber nicht aus den Augen verloren. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile hält Fortin eine Vorlesung an der TU Graz und erzählt den Studenten dort, wie sie mit Medizintechnik Geschäfte machen können.

Die „größte Lüge“ sei, dass es in Österreich kein Kapital für Jungunternehmer gebe, sagt er. „Geld ist nicht das Problem. Wer es wirklich nicht schafft, das Kapital aufzustellen, sollte es vielleicht besser lassen.“ In keinem anderen Land in Europa sei es so einfach, an Förderungen zu kommen, wie in Österreich. Auch sein Unternehmen ist mit Mitteln des Forschungsförderungsfonds gegründet worden.

Die größte Hürde für Gründer sieht Fortin vielmehr in der Einstellung gegenüber dem Unternehmertum an sich. „In Europa kommen die Studenten von den Unis und haben Reisepläne, in den Vereinigten Staaten kommen sie von den Unis und haben Businesspläne.“ Wer sich hierzulande nach der Uni selbstständig machen will, werde hingegen immer noch für verrückt erklärt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2013)

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