Gefühl versus Statistik: Deflationsangst trotz steigender Preise

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Die Preise in den Supermärkten steigen immer weiter. Warum ist die Inflationsrate trotzdem so niedrig?

Wien. Christine Lagarde, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds, hat Angst. Angst vor einer „katastrophalen Deflation“, wie sie am Donnerstag sagte. Dabei sieht sie die Weltwirtschaft eigentlich auf dem Weg der Erholung. Aber die Krise sei nun einmal noch nicht vorbei. Und die momentan niedrige Inflation könne eben auch zu dieser „katastrophalen Deflation“ führen, vor der sie warne.

Aber die Warnung dürfte verhallen. Zumindest bei den Bürgern. Die lesen „Deflation“ und denken sich nur: „Wovon spricht diese Frau, es wird doch weiterhin alles teurer.“ Und dann: „Ich hoffe, dass sie recht hat. Dann sinken die Preise vielleicht irgendwann.“ Woher kommt diese Diskrepanz? Auf der einen Seite Notenbanker und Politiker, die seit einigen Wochen immer wieder vor der Deflation warnen – und auf der anderen Seite die „normalen“ Bürger, die zwar keine fallenden Preise beobachten können – an der Vorstellung jetzt aber prinzipiell auch nichts „katastrophal“ finden.

Die Antwort liegt erstens im Blickwinkel und zweitens in der Statistik. Fangen wir da an, beim rohen Zahlenmaterial. Die offizielle Teuerungsrate ist in Österreich, so die Statistik Austria, im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen: von 2,4 Prozent im Jahr 2012 auf nur noch zwei Prozent im Jahr 2013. So weit, so gut. Zwei Prozent Inflation sind praktisch Idealzustand. Die Preise steigen, aber nicht zu schnell. Im Krisenjahr 2011 lag die Inflation noch bei 3,3 Prozent.

Aber diese hochoffizielle Inflationsrate erzählt auch nur die halbe Geschichte. Tatsächlich bestehen In- und Deflation ja gleichzeitig – zumindest beim Preislevel: Manches wird billiger, vieles wird teurer. Billiger sind im vergangenen Jahr zum Beispiel Öl und alle Folgeprodukte (Benzin etc.) geworden. Das war der wichtigste sogenannte Preisdämpfer in Österreich.

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Wohnen und Nahrung werden teurer

Praktisch alle anderen Dinge des täglichen Bedarfs sind aber auch 2013 deutlich teurer geworden – wie in den Jahren zuvor. Die Mieten sind um 3,2 Prozent gestiegen. Strom um 4,5 und Fernwärme um 4,2 Prozent. Dafür hat Heizöl sich um 5,1 Prozent verbilligt. Die Betriebskosten für Mietwohnungen sind derweil um 3,9 Prozent gestiegen, jene für Eigentumswohnungen um 4,1 Prozent.

Genau hier liegt ein wichtiger Widerspruch zwischen Gefühl und Statistik. Christine Lagarde sieht die Welt durch die Augen von Politikern und Notenbankern. Sie befürchtet eine Deflation, weil die Geschäftsbanken trotz einer gewaltigen Geldschwemme aus den Zentralbanken mehr Kredite abbauen, als sie ausgeben: Die Geldmenge schrumpft – und eine echte, anhaltende Deflation würde die hoch verschuldeten Staaten in arge Bedrängnis bringen. Aber in den Supermarktregalen ist die „Deflationsgefahr“ eben noch nicht angekommen. Im Gegenteil: Nach Mieten und Wohnen sind im vergangenen Jahr in Österreich vor allem die Nahrungsmittel teurer geworden – insgesamt um 3,9 Prozent.

Die Fleischpreise sind 2013 laut Statistik Austria um 4,9 Prozent gestiegen, jene für Brot und Getreideerzeugnisse um 3,1. Milch, Käse und Eier haben sich um 3,3 Prozent verteuert, Gemüse um 5,1 und Obst um 3,2 Prozent. Im von der Statistik berechneten „Warenkorb für den täglichen Einkauf“ sind die Preise für Nahrungsmittel und Getränke (deren Preise stagnieren) übergewichtet. Der „tägliche Einkauf“ hat sich um 3,4 Prozent verteuert und ist damit trotz sinkender Gesamtinflationsrate noch stärker als im Vorjahr (3,2 Prozent) gestiegen.

Die sogenannten administrativen Preise sind 2013 nur sehr wenig langsamer als im Vorjahr gestiegen. Unter administrativen Preisen versteht die Statistik alle staatlich festgelegten Kosten – beispielsweise für Amtswege oder Gebühren. Die haben sich im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent verteuert – nach einem Plus von 2,4 Prozent im Vorjahr.

Laptops als Preisdämpfer

Gefallen sind wie erwähnt die Preise für Öl und Benzin. Und zwar deutlich: minus 0,5 Prozent nach einem Wachstum um 2,6 Prozent im Vorjahr. Die Gesamtinflationsrate hat das nur um 0,05 Prozentpunkte gesenkt.

Dass die Werte für die Gesamtinflation und jene für den „täglichen Einkauf“ bzw. die „gefühlte“ Inflation der Österreicher sich trotzdem so stark unterscheiden, hat freilich seinen Grund: „Hedonische Anpassungen“. Das geht kurz gesagt so: Wenn beispielsweise ein Laptop heute zwar genauso viel kostet wie vor einem Jahr – aber doppelt so viel Speicher hat, dann verrechnen die Statistiker fallende Preise. Das soll die ständigen Verbesserungen in der Technologie widerspiegeln.

Die Sache hat nur einen Haken: Nahrungsmittel, Wohnausgaben und Energiekosten spielen im Leben der Menschen eine viel wichtigere Rolle als Laptoppreise. Und die Dynamik benachteiligt die unteren Einkommensschichten. „Wir wissen, dass Personen mit niedrigeren Einkommen bis zu 50 Prozent ihres Geldes für Wohnen und Essen ausgeben“, sagt Statistik-Generaldirektor Konrad Pesendorfer. Bei den Reichen ist es entsprechend weniger. So wirken steigende Preise auch immer umverteilend: von unten nach oben.

Dass IWF und Politiker jetzt trotzdem eher Angst vor einer Deflation haben, hat auch damit zu tun. Gerade weil die Menschen an steigende Preise gewöhnt sind, würden sie den Konsum in Erwartung immer weiter fallender Preise drosseln. Der zarte Aufschwung wäre vorbei.

AUF EINEN BLICK

Die Inflation hat in Österreich zu Jahresende wieder deutlich angezogen und ist von 1,4 Prozent im November auf 1,9 Prozent im Dezember gestiegen. Die Gesamtinflation lag 2013 bei zwei Prozent. Damit lag die Jahresinflationsrate deutlich unter jener des Jahres 2012 (2,4 Prozent), was vor allem auf fallende Öl- und Benzinpreise zurückzuführen ist.

Die Dinge des täglichen Lebens werden weiterhin deutlich teurer. Nahrungsmittel sind um fast vier Prozent im Preis gestiegen, Mieten um 3,2 Prozent – aber zumindest Autofahrer haben von entspannten Ölpreisen profitiert. IWF-Chefin Christine Lagarde sorgt sich aber ob der fallenden Inflationsraten um den zarten Aufschwung und befürchtet gar eine „katastrophale Deflation“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2014)

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