Telekom-Regulator: "Ich habe Verständnis für Politikernöte"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Georg Serentschy zieht im Interview mit der »Presse am Sonntag« Bilanz über elf Jahre Arbeit als Telekom-Regulator. Solange in Europa der digitale Binnenmarkt fehlt, wird es kein europäisches Silicon Valley geben.

Die RTR hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, wonach die Mobilfunkkosten im Vorjahr deutlich gestiegen sind. Wie werden sich die Preise nach der Frequenzauktion, bei der die Anbieter zwei Milliarden Euro gezahlt haben, entwickeln?

Georg Serentschy: Zwischen 2011 und Mitte 2013 sind die Preise um rund 20Prozent gefallen. Danach gab es einen Preisanstieg um zehn Prozent. Das Preisniveau liegt aber immer noch um zehn Prozent unter dem Niveau 2011 und ist international gesehen sehr günstig. Es würde mich nicht wundern, wenn die Preise weitersteigen. Die Kartellbehörden müssen, unterstützt vom Regulator, prüfen, ob es Preisabsprachen gibt. Ein kausaler Zusammenhang mit dem Merger von Orange und Hutchison oder der Frequenzauktion ist nicht beweisbar. Wenn zu Jahresende virtuelle Mobilfunker auf den Markt kommen und das Netz von Hutchison nützen, erwarte ich mehr Wettbewerb und Druck auf die Preise.

Die Frequenzauktion war das große Finale Ihrer Tätigkeit. Die Kritik aus der Branche war groß. Sie sollen die Erlöse durch das Design der Auktion künstlich nach oben getrieben haben.

Ob es Gesetzesverstöße gegeben hat, wird man sehen. Es gibt ja Beschwerden beim Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof. Kritisiert wurde die mangelnde Transparenz. Wir mussten abwägen: Wollen wir Absprachen der Bieter verhindern oder ihnen helfen, tatsächlich benötigte Frequenzblöcke zu ersteigern. Die Telekom-Control-Kommission (TKK) hat sich zu Beginn gegen Transparenz entschieden. In der Mitte des Verfahrens wurde dieser Prozess geöffnet.

Ein Vorwurf lautet, die Politik habe bei Ihnen zwei Milliarden Euro für das Budget bestellt.

Bei mir hat niemand angerufen, es hat auch niemand vorgesprochen oder einen Brief geschrieben. Wir haben natürlich das Versteigerungsprozedere von der Ministerin (Doris Bures, Anm.)genehmigen lassen müssen. Das Ministerium war eng eingebunden und hat sich auch sehr für die Festsetzung des Mindestgebots interessiert.

Bures hat Sie nicht angerufen?

Nein.

Sie waren elf Jahre Telekom-Regulator. Wie politisch ist der Job?

Der Job ist keine politische Funktion, aber er ist politiknahe.

Inwiefern?

Das Interesse der Politik ist groß, nicht nur von Ministern. Das bezieht sich auf Preise bis zu Konsumentenbeschwerden. Das interessiert speziell Sozialministerium und Arbeiterkammer. Beim Breitbandausbau haben wir eng mit dem Verkehrsministerium zusammengearbeitet, wie auch bei der Vergabe der Digitalen Dividende.

Gab es echte Interventionen?

Die Behörde ist so konstruiert: Die Kommission (TKK) ist als Entscheidungsgremium weisungsfrei, während die operative RTR weisungsgebunden ist. Im Gesetz steht, dass Weisungen schriftlich ergehen müssen. In meiner Zeit gab es keine solche Weisung.

Gab es Momente, in denen Sie – auf sich allein gestellt – anders entschieden hätten?

Man lernt. Ich habe ein Verständnis für Politikernöte entwickelt, weil man sich Zwängen ausgesetzt sieht, die man eigentlich nicht gern hat. Ein Beispiel: Maßnahmen, die von der TKK beschlossen werden, haben einen langen zeitlichen Vorlauf. Sie beruhen auf drei Jahre alten Daten und zwei Jahre alten Gutachten. Deshalb würde ich heute das eine oder andere anders machen. Aber es geht nicht. Der Markt ist einfach schneller.

Ist die Behörde zu schwerfällig?

Nein, die RTR kann blitzartig reagieren und arbeitet wie ein privates Unternehmen ohne Beamtenballast. Aber: Ein vor Höchstgerichten wasserdichtes Verfahren durchzuführen braucht Zeit. Deshalb sind unsere Bescheide auch 250 Seiten lang.

Ist eine Reform notwendig? Im Regierungsprogramm wird eine Art Superregulator angedacht.

Man kann über eine Reform immer nachdenken. Die Erwartungshaltung an multisektorale Behörden will ich aber relativieren: Eine Superbehörde mit Abteilungen für alle Sektoren – das funktioniert nicht, weil die Rechtsmaterien total unterschiedlich sind. Die Idee von eierlegenden Wollmilchsäuen geht vollkommen an der Realität vorbei.

Was hätten Sie also anders entschieden?

Am Beginn der Regulierung stand das Konzept, wie man den Netzzugang zur Infrastruktur sicherstellen kann, und das zu fairen regulierten Preisen. Anbieter könnten über Entbündelung in den Markt eintreten und über Investitionen wachsen. Durch Regulierung sollten Unternehmen selbst wettbewerbsfähig werden. Aber Regulierung war immer als vorübergehendes Phänomen gedacht, es hat nur niemand ein Zeitschild drangehängt. Der regulatorische Glassturz muss nun schrittweise angehoben werden.

Wann wird man Regulierung nicht mehr brauchen?

Abschaffen heißt ja nicht, den Schalter umzulegen. Es geht eher um eine Verschiebung, die mit der Idee des digitalen Binnenmarkts zu tun hat. Wenn das kommt, dann ist auch eine zentrale Regulierung in Europa notwendig. Den nationalen Regulatoren wird man neue Aufgaben geben. Wie etwa jetzt beim Roaming: Es gibt eine EU-Verordnung, und die nationalen Regulatoren müssen die Einhaltung überwachen.

Bedarf es also doch eines starken europäischen Telekom-Regulators?

Wir müssen nationale Souveränität abgeben, damit wir europäische Souveränität gewinnen. Denken Sie an Airbus: Das Unternehmen wurde gegründet, als die europäische Flugzeugindustrie am Boden lag. Der Druck der Krise war notwendig. Wir sind von einer wirklichen Krise in der Telekomindustrie mit Fusionen und Pleiten noch weit entfernt. Ideal wäre es aber, wenn man schon jetzt nachdenkt.

Europa droht ja schon gegenüber den USA den Anschluss zu verlieren.

Europa ist nicht Europa. Schweden ist etwa international führend. Investitionen in die neue Handytechnologie LTE und Glasfaser müssen beschleunigt werden. Es geht aber auch darum, wie schnell neue Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft angenommen werden. Da hinkt Europa nach.

Ist es nur die Größe des Markts, die in den USA etwa Silicon Valley ermöglicht? Oder sind es auch andere Faktoren?

Damit Innovationen wirksam werden, erfordert es ein ganzes Ökosystem. Ein attraktiver Standort mit Unternehmen, die als Inkubatoren wirken, Bildungseinrichtungen, eine Kreativ- und Medienszene, Risikokapital und gesetzliche Rahmenbedingungen. Ein gutes Beispiel ist der dänisch-schwedische Øresund-Cluster. In Österreich fehlt Venture Capital. Auch Netzqualität ist wichtig. Ohne sie verbaue ich den Googles von morgen die Zukunft.

Bleiben wir in Österreich: Orten Sie in der neuen Regierung Verständnis?

Immerhin steht auf Seite sechs des Regierungsprogramms mehr zum Thema Internet und Kommunikationstechnologien (IKT) als in der Vergangenheit. Als Regulator wünsche ich mir natürlich mehr. IKT ist eben schwer zu greifen und zu vermitteln. Die meisten Menschen merken gar nicht, wie wichtig das für ihr Leben, ihr Geschäft ist. Da ist Bewusstseinsarbeit nötig. IKT ist das Zentralnervensystem unserer Wirtschaft, der Innovationstreiber schlechthin und daher unverzichtbar. Insofern ist die Diskussion um einen IKT-Minister verquer, weil ein Ministerium ein vertikaler Fachsilo ist, IKT aber in alle Materien hineinreicht. Ein IKT-Regierungsbeauftragter wäre daher besser.

Die erste konkrete Entscheidung der Regierung betrifft die Breitbandförderung. Um die Milliarde wird schon gestritten. Soll sie an die Mobilfunker gehen oder auch an den Festnetzausbau – und damit vor allem an den Ex-Monopolisten Telekom Austria?

Ob und wie viel Geld es gibt, ist eine Frage an Radio Eriwan. Man ist ja von einem Auktionserlös in Höhe des Mindestgebots von 526 Millionen ausgegangen. Davon sollten 50 Prozent, also 250 Millionen in die Förderung fließen. Jetzt wird gestritten: Geht es um 50 Prozent generell oder 50 Prozent von 500 Millionen? Das muss die Politik entscheiden. Das Geld muss aber technologie- und wettbewerbsneutral vergeben werden.

Wird im Endeffekt die Telekom Austria den Großteil bekommen?

Ich kann nur den Wunsch nach neutralen Vergabebedingungen wiederholen.

Auch im Rückblick: Fließt das Geld an die falschen Stellen?

Da müssen Sie das Verkehrsministerium fragen, da die RTR dafür nicht zuständig ist. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass es nicht nur Fonds gibt, wie im Medienbereich. Die Politik hat sich anders entschieden.

Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger, Johannes Gungl?

Ich gebe ungefragt keine Ezzes.

Wir fragen Sie jetzt...

Da müsste er mich fragen. Wenn er meinen Rat wünscht, kann er gern kommen, aber ich werde ihm nichts über die Zeitung ausrichten (Serentschy hat gerade eine Beratungsfirma gegründet, Anm.).

Georg Serentschy wurde 1949 in Wien geboren und studierte Physik und Mathematik an der Universität Wien.

Nach verschiedenen Positionen in der Weltraumindustrie arbeitete er von 2000 bis 2002 beim Berater Arthur D. Little.

2002 wurde Serentschy zum Geschäftsführer (Fachbereich Telekommunikation) der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) ernannt. Sein Vertrag wurde zweimal verlängert.

Johannes Gungl ist ab 1. Februar neuer Telekom-Regulator. Er war bis Ende 2012 Chefjurist beim Mobilfunker Orange.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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