"International gesehen haben wir ein niedriges Arbeitslosengeld"

Johannes Kopf mit
Johannes Kopf mit "Presse"-Redakteurin Jeannine Hierländer Fabry (Die Presse)
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AMS-Chef Johannes Kopf spricht mit der "Presse" über "sinnlose" Schulungen - und erklärt, wie Politiker Jobs schaffen können.

Die Presse: Sie haben gesagt, Sie erwarten 450.000 Arbeitslose Ende Jänner. Sind die jetzt erreicht?

Johannes Kopf: Wir werden wohl in die Gegend der 450.000 kommen.

Die Prognosen gehen für heuer von nur 1,7Prozent Wirtschaftswachstum aus. Was heißt das für den Arbeitsmarkt?

Das heurige Jahr macht uns weniger Sorgen als 2013. Es gibt mehr offene Stellen, mehr Beschäftigte und auch mehr Wachstum. Damit kann man Menschen rascher wieder in Beschäftigung bringen. Aber das Wachstum reicht nicht, um das steigende Arbeitskräftepotenzial aufzunehmen, also steigt die Arbeitslosigkeit trotzdem weiter an. Das liegt daran, dass Menschen, die in schwachen Zeiten nicht auf dem Arbeitsmarkt erscheinen, in der Erholung zurückkommen. Zum Beispiel eine Frau, die ihre Kinder betreut: Wenn die Wirtschaft anspringt und eine passende Stelle ausgeschrieben wird, kehrt sie auf den Arbeitsmarkt zurück. Auch die Zuwanderung steigt in besseren Zeiten. Ab Mitte 2015 erwarten wir sinkende Arbeitslosigkeit.

Sofern die Prognosen halten. Aber was geschieht, wenn das Wachstum nicht zurückkommt?

Dann steigt die Arbeitslosigkeit weiter.

Kann man politisch etwas dagegen tun?

Politiker können gegensteuern und Impulse setzen. Aber aufgrund der starken internationalen Verflechtung Österreichs glaube ich nicht, dass eine österreichische Bundesregierung die Lage in Österreich umdrehen kann, wenn zum Beispiel ganz Europa in der Rezession steckt.

Was darf man dann davon halten, wenn Politiker versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen – wie etwa Michael Spindelegger, der von 400.000 gesprochen hat?

Diese Zahl erschien mir schon damals zu hoch, sie wurde mittlerweile auch relativiert.

Aber können Politiker Arbeitsplätze schaffen?

Ja, das ist aber eine Geldfrage. Wenn die Lohnnebenkosten in Österreich deutlich niedriger wären, hätten wir ganz sicher mehr Jobs. Auch niedrigere Steuern haben einen Beschäftigungseffekt.

Entstehen Jobs, wenn man zum Beispiel Überstunden verteuert?

Ja, Überstunden zu verteuern hat wohl einen Beschäftigungseffekt. Es werden wahrscheinlich weniger Überstunden geleistet, und möglicherweise wird die Arbeit von anderen übernommen. Aber: Überstunden leisten in der Regel jene Personen, die von den Unternehmen besonders gebraucht werden. Und sie werden zur Abdeckung von Spitzen geleistet. Diese Flexibilität zeichnet uns im internationalen Vergleich aus. Mit solchen Maßnahmen muss man daher sehr vorsichtig sein.

Der Zugang in die Invaliditätspension und die Hacklerregelung wurden verschärft. Spüren Sie das beim AMS schon?

Das ist noch zu früh, wir rechnen mit ersten Fällen im Frühling, aber mit Einzelfällen. Was wir merken, sind frühere Reformen, etwa die Verteuerung des Nachkaufs von Studien- und Ausbildungszeiten und die Einschränkung des Pensionsvorschusses. Das erklärt den Anstieg von Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Steigt das Pensionsalter, kann man ja davon ausgehen, dass es mehr ältere Arbeitslose gibt. Gibt es überhaupt einen Arbeitsmarkt für Menschen ab 50 Jahren?

Ja, es ist ein Unsinn zu glauben, den gibt es nicht. Die allgemeine Beschäftigung ist österreichweit im Vorjahr um 17.500 gestiegen, die der über 50-Jährigen um mehr als 30.000. Ältere Menschen haben Jobs und eine deutlich höhere Beständigkeit in ihren Jobs. Aber wenn sie ihre Arbeit verlieren, finden sie schwerer eine neue.

Und was kann das AMS für jemanden tun, der mit 53 seinen Job verliert – vielleicht sogar eine leitende Position? Der hat ja auch gewisse Ansprüche.

Das ist eine schwierige Zielgruppe. Die persönlichen Ansprüche können vom Arbeitsmarkt oft nicht mehr befriedigt werden. Oft braucht es da leider Gottes einen langen Prozess, bis die Erwartungen heruntergeschraubt werden.

Aus aktuellem Anlass: Können Sie ausschließen, dass Menschen in sinnlose Schulungen geschickt werden?

Bei 300.000 Fällen kann ich Fehler nie ausschließen, allerdings ob ein Training sinnlos ist oder nicht, wird von Kunden und vom AMS oft unterschiedlich gesehen. Am häufigsten werden die Bewerbungstrainings kritisiert. Dabei geht es ja nicht darum, Bewerben zu lernen – sondern es zu tun. Wir schicken oft Leute dorthin, wenn wir den Eindruck haben, sie haben zu wenig Eigeninitiative, die suchen nicht intensiv genug.

Ich meine jetzt konkret die Kritik von Volksanwalt Günther Kräuter, dass ein 62-Jähriger 53 Tage vor Pensionsantritt in einen teuren Karriereplanungskurs geschickt wurde. Oder ein Computerfachmann in einen „Basiskurs über Maus und Tastatur“.

Solche Fehler kann ich nicht ausschließen, ich kann nur ein System schaffen, in dem sie selten passieren. Wenn jemand sagt, er ist gut mit dem Computer, aber keine Nachweise hat, ist das schwierig. Firmen verlangen Zeugnisse. Und was den Fall Pension angeht: Das ist schlecht, aber da reicht ein Anruf des Kunden, und das Problem ist behoben. In dem Fall hat der Kunde nicht uns, sondern die „Kronen Zeitung“ angerufen. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, niemanden aufzugeben.

Sind die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, in Österreich groß genug?

Ich glaube ja. International betrachtet hat Österreich ein niedriges Arbeitslosengeld. Wenn auch ein langes, die Notstandshilfe ist unbefristet. Der Arbeitsanreiz ist da. Es gibt eine Sondergruppe: Wenn zum Beispiel eine Frau mit den Kindern zu Hause ist und der Vater ein Fall für die Mindestsicherung, dann ist diese für die Familie so hoch, wie er oftmals kaum allein verdienen kann. Das ist eine Inaktivitätsfalle. Da müsste es die Möglichkeit geben, die Mindestsicherung bei der Arbeitsaufnahme teils weiter zu beziehen.

Aber wird streng genug kontrolliert? Die Sperren beim Arbeitslosengeld sind ja befristet.

Wenn ich einen zumutbaren Job ablehne, werde ich sechs Wochen gesperrt – das ist sehr hart für jemanden, der vom Arbeitslosengeld lebt. Das nächste Mal acht Wochen, dann noch einmal acht, und wenn ich dann noch einen Job ablehne, bin ich für immer gesperrt. Es gibt Einzelfälle, in denen Arbeitslose kein Geld bekommen, weil sie drei Mal in Folge verweigert haben.

Was ist mit den Fällen, in denen sich Leute nur pro forma bewerben – um sich den Stempel zu holen? Das hört man ja regelmäßig.

Das ist der klassische Fall, in dem wir dringend Rückmeldung brauchen, um eine Sperre zu verhängen. Diese Geschichten hört man immer wieder von Unternehmern, aber fragt man, ob sie uns verständigt haben, sagen viele Nein.

Es heißt, der Arbeitsmarkt kann die EU-Ostöffnung problemlos verkraften. Gleichzeitig sagt jeder Experte, die Arbeitslosigkeit steigt auch wegen Zuwanderung. Das ist doch ein Widerspruch.

Etwas verkraften können heißt nicht, dass es keinen Effekt gibt. Ja, es gibt einen Effekt. Vor allem in Ostösterreich, durch die Tagespendler: Für sie ist es attraktiv, die niedrigeren Lebenskosten in Ungarn mit den höheren Einkommen in Österreich zu kombinieren. Es gibt auch eine gewisse Verdrängung. Höher qualifizierte Ungarn verdrängen früher zugewanderte Migranten, die teils schon Österreicher sind. Weil Firmen heute schon für Jobs, die früher Hilfsarbeiten waren, Facharbeiter wollen. Aber bei 3,5 Millionen Beschäftigten sind 30.000 zusätzliche ausländische Staatsbürger verkraftbar.

ZUR PERSON

Johannes Kopf (40) leitet seit 2006 mit Herbert Buchinger das Arbeitsmarktservice Österreich (AMS). Davor war der Jurist im Kabinett des früheren ÖVP-Wirtschaftsministers Martin Bartenstein für Arbeitsmarktfragen zuständig. Von 1999 bis 2003 war er Arbeitsmarktreferent in der Industriellenvereinigung.

Die Arbeitslosigkeit werde heuer noch steigen und erst ab Mitte 2015 zurückgehen, sagt er im Interview mit der „Presse“. Es gebe heuer zwar mehr offene Stellen, mehr Beschäftigung und mehr Wachstum als 2013 – aber auch mehr Menschen, die eine Arbeit suchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2014)

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