Reformbarometer: Totale Flaute bei Reformen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Österreich behält Platz zwei im Dreiländervergleich - aber nur deshalb, weil auch Deutschland und die Schweiz stagnieren.

Berlin. Ein schneller Blick kann voller Tücken sein. So auch beim Reformbarometer für 2013: Österreich behauptet in diesem Vergleich dreier Länder durch drei Institute seinen mittleren Platz zwischen Sieger Schweiz und Schlusslicht Deutschland. Nur wenig hat die heimische Politik im Wahljahr getan, um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen. Aber die Nachbarn setzten offenbar auch keine echten Impulse. Alle drei Länder liegen im Index weiter nah beisammen: Die Schweiz mit 116 Punkten, Österreich mit 115, Deutschland mit 112. Keine Schande, wie es scheint.

Doch halt: Was die Wirtschaftskammer (WKO), das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) und Avenir Suisse seit elf Jahren vergleichen, ist ja nur die Veränderung zu den Vorjahren. Die Ausgangslage aber ist in Österreich in vieler Hinsicht schlechter: Die Staatsschulden sind in Relation zum BIP mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz. Die Staatsquote liegt bei 52 Prozent, im Vergleich zu rund 44 Prozent in Deutschland und der Schweiz (inklusive der Pflichtbeiträge an dort private Sozialversicherungsträger). Und während öffentliche Haushalte bei den Nachbarn Überschüsse erzielen, kämpft Österreich weiter mit Defiziten von über zwei Prozent.

Umso heftiger beklagt Christoph Schneider, Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung der WKO, bei der Präsentation in Berlin ein „Jahr des Nichtstuns“ und der „verlorenen Möglichkeiten“. Die Regierung habe „komplett verabsäumt“, Chancen zu nutzen – und das, obwohl Österreich im globalen Vergleich seit 2005 laufend an Standortqualität einbüßt.

Politik hat den Mut verloren

Mit einer „Politik der kleinen Schritte“ komme man nicht mehr weiter. Schneider rechnet vor: Eine Angleichung der Steuer- und Abgabenquote an den Durchschnitt der Eurozone würde in nur einem Jahr bis zu 13 Milliarden Euro mehr Spielraum für produktive Investitionen bringen – doch das ist nicht mehr als ein Gedankenspiel.

Ein schwacher Trost, dass auch die Kollegen ein düsteres Bild malen. IW-Köln-Chef Michael Hüther zeigt sich vom „extremen Fehlstart“ der Großen Koalition in der Sozialpolitik enttäuscht. Dabei reflektiert das Barometer vorerst nur, dass die Beitragssätze zur Sozialversicherung nicht wie gesetzlich vorgesehen gesenkt wurden – ein Vorgriff auf das „weder zielgenaue noch gut begründete“ Rentenpaket. Zusammen mit dem staatlich fixierten Mindestlohn werde es heuer zum „Absturz“ Deutschlands im Index führen. Hüthers resignatives Fazit: Die Finanzkrise habe zu einer solchen „Präferenz der Sicherheit“ geführt, dass mutige Veränderungen keine Chance mehr haben. „Jeder Politiker erklärt: So eine große Reform wie Hartz IV mache ich nicht noch einmal.“

Ähnlich bitter bilanziert Avenir Suisse: „Auch wenn die Schweiz die Finanzkrise unversehrt überstand, hinterließ sie tiefe Spuren im politischen Alltag.“ Reformer stehen in der Defensive, weil das „Misstrauen gegen Marktlösungen“ stark gewachsen sei. Der Mobilität der Arbeitnehmer etwa hat die Initiative gegen Masseneinwanderung jüngst eine aufsehenerregende Absage erteilt. „An diesem Knochen haben wir die nächsten Jahre zu nagen“, seufzt Gerard Schwarz, Direktor des Thinktanks – und verteidigt als guter Schweizer doch die direkte Demokratie: „Ich bin nun skeptischer gestimmt, was die Weisheit des Souveräns betrifft. Aber im Rückblick zeigt sich, dass sie immer noch größer ist als die der Parlamente.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2014)

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