Kaufkraft: Wien verliert durch Zuzug an Boden

(c) Clemens Fabry (Die Presse)
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Erstmals in der Geschichte hat Wien nicht mehr die höchste Kaufkraft Österreichs und rutschte sogar auf Platz drei ab. Die Umwälzung hat mehrere Gründe.

Wien. Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl würde angesichts der am Dienstag veröffentlichten Zahlen wohl trocken erklären: „Wien ist abgesandelt." Denn erstmals seitdem die Kaufkraft der Bewohner in allen Bundesländern ermittelt wird (RegioData erhebt das gesamte Einkommen pro Kopf) ist das wirtschaftliche Ballungszentrum Wien nicht mehr das Bundesland mit der höchsten Kaufkraft. Und nicht nur das: Die Bundeshauptstadt wurde nicht nur vom neuen Spitzenreiter Niederösterreich überholt, sondern auch von Salzburg.

Die Details: Seit 20 Jahren führt Wien die Liste der Bundesländer mit der höchsten Kaufkraft pro Kopf an. Im Vorjahr stieg diese durchschnittlich zwar um 1,6 Prozent auf 20.540 Euro - aber Niederösterreich legte um 2,1 Prozent zu, überholte Wien und führt nun mit 20.630 Euro pro Kopf die Liste an. Auch Salzburg war 2013 auf der Überholspur. Mit einem Plus von 1,9 Prozent liegt die Kaufkraft pro Salzburger nun bei 20.594 Euro, womit Wien auf den dritten Platz verwiesen wird.

Stadt für Zuwanderer attraktiv

Für diese Umwälzung gibt es mehrere Gründe: „Die sozio-demografische Zusammensetzung Wiens" sei ein Faktor, so RegioData-Geschäftsführer Wolfgang Richter. Im Klartext: Wien zieht aufgrund seiner wirtschaftlichen Kraft verstärkt Menschen mit niedriger Qualifikation an, die sich in der Stadt einen Job erhoffen. Den bekommen sie zwar oft, werden aber (aufgrund niedriger Qualifikation) schlecht bezahlt. Dass die Zuwanderer in den vergangenen Jahren verstärkt aus Österreich oder Deutschland kamen, ändert nichts. Auch aus dieser Gruppe suchen verstärkt sozial Schwächere ihr Glück lieber in der Stadt als am Land.

Dazu kommt: Wien wächst, es gibt immer mehr Haushalte mit Kindern. Single-Paare haben naturgemäß weniger Kosten (und damit eine höhere Pro-Kopf-Kaufkraft) als ein Paar mit Kindern, weil beide Partner arbeiten können und nicht zu Hause Kinderbetreuungspflichten (Stichwort: Teilzeit oder Karenz) erfüllen müssen. Ein dritter Faktor: Menschen mit hoher Kaufkraft wandern seit Jahren verstärkt aus Wien ab.

Und zwar in die niederösterreichischen Umlandgemeinden knapp hinter der Stadtgrenze - was die nunmehrige Spitzenposition Niederösterreichs bei der Kaufkraft erklärt. Der vierte Faktor: Wien hat mit 1,6 Prozent (gemeinsam mit Kärnten) den geringsten Kaufkraftzuwachs aller Bundesländer. In Wien befindet sich mit fast 40.000 Euro Kaufkraft pro Kopf der reichste Bezirk (Innere Stadt), gleichzeitig auch der ärmste Bezirk Österreichs (Rudolfsheim-Fünfhaus mit rund 15.900 Euro).

Von einem wirtschaftlichen Abstieg Wiens will Richter gegenüber der „Presse" nicht sprechen: Es gebe seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Wien, Niederösterreich und Salzburg - diesmal sei eben Niederösterreich vorn. Grundsätzlich würden die Unterschiede sowieso immer geringer. Betrug 1990 die Differenz zwischen dem reichsten und ärmsten Bundesland noch 37 Prozent, sind es heute unter zehn Prozent. Dasselbe gilt für das Stadt-Land-Gefälle. In manchen ländlichen, strukturschwachen Orten stieg die Kaufkraft zuletzt deutlich mehr als in den Bezirks/Landeshauptstädten. Beispielsweise in Heiligenbrunn (Burgenland), Grafenschlag (NÖ) und Altschwendt (OÖ).

Die weniger gute Nachricht für alle: Durchschnittlich ist die Kaufkraft in Österreich im Vorjahr um zwei Prozent gegenüber 2012 gestiegen. Durch die Inflation bedeutet das real gesehen aber eine Stagnation der Kaufkraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. April 2014)

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