Go West: Industriekonzerne im Goldrausch

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Das neue Gold heißt Schiefergas. Billige Rohstoffe und moderate Umweltauflagen führen in den USA zu einer neuen Industrialisierung. Auch die Voestalpine hat ihre Claims in Texas längst abgesteckt.

Jetzt hat auch Voestalpine-Chef Wolfgang Eder einen echten texanischen Cowboyhut. Etwas widerwillig setzt er ihn auf, und schnell wieder ab. „Hüte passen mir nicht“, meint er später. Aber Eder weiß auch, dass es genau solche Bilder sind, die sich bitter rächen können. Sie vermitteln nämlich ein Bild von Großspurigkeit. Und solche Fotos werden spätestens dann von den Medien aus den Archiven geholt, wenn Großprojekte wie jenes in Corpus Christi schiefgelaufen sind. Aber vorerst einmal senken wir unser Haupt zum Gebet.

Wir sind schließlich in Texas. Hier wird gebetet und salutiert, werden Fahnen gehisst, Gewehre präsentiert, Hymnen gesungen. Auch beim Spatenstich für eine Direktreduktionsanlage eines österreichischen Stahlkonzerns. Ein paar Meilen außerhalb von Corpus Christi direkt am Meer hat die Voest ihre Claims abgesteckt. Zwei Quadratkilometer Land, flach, trocken, unbebaut. Ein paar hundert Meter vom großen Festzelt entfernt sind die ersten Baumaschinen aufgefahren. Führen Erdarbeiten durch, legen Straßen an. Hier ist nichts außer ein paar Löchern im Boden. „Mäuse?“ – „Klapperschlangen“, antwortet der Sheriff, der mit seinen Kollegen die Feier bewacht, und zieht ein breites Grinsen auf.

„In zehn Jahren wird hier alles voller Industrieanlagen sein“, sagt Roland Mower, der Chef der Ansiedlungsgesellschaft der Region. Nebenan gehöre das Land bereits einer chinesischen Gesellschaft. Die Namen der Konzerne werden diskret verschwiegen. Aber es gibt Gerüchte. Eines davon: Auch der Münchner Linde-Konzern soll ein Auge auf Texas geworfen haben.

Was hier passiert, das ist eine Art Goldrausch des 21. Jahrhunderts. Er unterscheidet sich von jenem Mitte des 19. Jahrhunderts in Kalifornien grundlegend. Damals verließen die Arbeiter die Fabriken, um selber reich zu werden. Diesmal sind es die Konzerne, die aufbrechen. „Go West“, so nennt die Voest ihre US-Expansion. Und das neue Gold heißt Schiefergas. Zwischen Corpus Christi und San Antonio wird es aus dem Boden gepumpt. Billige Energie dank Fracking für die Industrie in einem Land, in dem das Wort Klimawandel scheinbar nicht existiert.

550 Millionen Euro Investment

„Howdy!“, ruft Matthias Pastl von der Bühne den Festgästen entgegen. Dann wird zum Spaten gegriffen. Ende 2015 soll das 550-Millionen-Euro-Projekt, das größte Auslandsinvestment der Voest, in Betrieb gehen. Um Eisenerz in Eisenschwamm zu verwandeln, ist viel Energie notwendig, viel CO2-Ausstoß und viel Meerwasser zur Kühlung. Alles kein Problem in Corpus Christi, dafür sorgen Männer wie Pastl. Matt, wie er genannt wird, ist seit drei Jahren in der Stadt. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er offiziell für das Projekt. Er war bei den Verhandlungen dabei, hat die Genehmigungen eingeholt, hat Kontakte geknüpft. Er geht an die Sache heran, wie man in Texas an Sachen herangeht: locker, selbstbewusst und mit Überzeugung. „60 Prozent meines Jobs bestehen darin, die Leute von diesem Projekt zu überzeugen“, erzählt er.

Bei Stahlkonzern denken die Menschen an Pittsburg in den 1950ern, an Detroit, an rauchende Schlote und Smog.

„Ich habe Klinken geputzt“, erzählt Matt. In Sichtweite des Festzelts ist eine schmucke Wohnsiedlung. Eine Villa reiht sich an die andere. Gepflegter Rasen vorne, Bootssteg samt Motorjacht dahinter. Dort leben Menschen wie Dave. Der pensionierte Zivilingenieur genießt seinen Ruhestand, fährt einen Mercedes-SUV, hat drei Boote und trifft sich mit seinen Freunden im Country-Club zum Golf. Was er in Corpus Christi liebt? „Die Natur“, antwortet er. „Die Strände, die Fische, das Essen, die Unbekümmertheit.“

Matthias Pastl hat sie alle überzeugt. „Bis auf ein, zwei Leute, die generell ein Problem mit Industrie haben.“ Die wichtigsten Entscheidungsträger wurden nach Linz eingeladen. „Eine wunderschöne, saubere Stadt samt Stahlkonzern“, erzählt eine Repräsentantin von Corpus Christi. Sie hat jenen Nachbarn von ihrer Reise nach Österreich erzählt, die Angst vor Lärm, Schmutz und Explosionen hatten. Den Rest hat Matthias Pastl erledigt. Er kennt mittlerweile jeden Officer, weiß, wer das Sagen hat. Pastl bezeichnet Terry Simpson bei der Spatenstichfeier als seinen „Freund“. Der 65-jährige Simpson ist so etwas wie das personifizierte Recht. Sein Leben lang war er Friedensrichter und Sheriff, seit 2002 ist er Richter im County und hat weitreichende Befugnisse. „Wir brauchen Unternehmen wie die Voest bei uns“, sagt er. „Ich musste wegen des Projekts ein einziges Mal nach Washington“, erzählt Pastl später. Hier wird alles im County entschieden, jenem Gebiet, das exakt so groß ist, dass man einen Verwundeten mit einem Pferd von einer Grenze zur anderen transportieren kann.

„Howdy!“, ruft Matt Pastl von der Bühne. Hier denkt niemand an Blessuren. Die Voestalpine will eine Erfolgsstory schreiben. 1000 Arbeiter werden die 120 Meter hohe Anlage errichten, 150 Jobs langfristig geschaffen. Die Voest zählt zu Europas Vorreitern in Corpus Christi. Wer in Texas überleben will, muss eben schnell sein. Das war schon immer so.

Noch freuen sich die Menschen in dem 400.000-Einwohner-Städtchen über jeden Ankömmling aus Europa, der Jobs und Dollars bringt. Noch haben die Bauarbeiter nur einen Gegner zu fürchten: Die bis zu zwei Meter lange Texas-Klapperschlange.
Voest als Autozulieferer in Georgia.Für Voest-Chef Eder war es der zweite Spatenstich innerhalb von nur einer Woche in den USA. Bereits am Dienstag hatte er in Cartersville nördlich von Atlanta das Grabscheit bedient und gleichzeitig eine Fabrik eröffnet. Hier im Bundesstaat Georgia werden Karosserieteile für Luxusautos der Marke BMW, Mercedes oder VW hergestellt. Mithilfe von Voest-Know-how werden diese Stahlteile widerstandsfähiger und trotzdem immer leichter. Weniger Gewicht bedeutet weniger Treibstoffverbrauch. Vor allem: Der moderne Autofahrer will weniger durch den Auspuff blasen. Und er fragt nicht, wie viel mehr durch Fabrikschlote geschleudert wird, um leichtere Karosserieteile zu produzieren.

Die Voest ist hier, weil alle wichtigen Autokonzerne hier sind. Einen weiteren Grund nennt Philipp Schultz, der Manager dieses Produktionsstandorts. „Sie wollten uns am meisten“, sagt er bei der Eröffnungsfeier. Und er meint damit Leute wie Matthew J. Santini. Er hat sich eigens neue Visitenkarten drucken lassen. „Stadt Cartersville“ ist darauf zu lesen. Und unter seinem Namen steht das Wort „Bürgermeister“.

Ja, hier werden Industrielle von den Politikern geachtet. 250 Jobs, 50Millionen Euro Investment und große Versprechungen für die Zukunft. Das ist es, was Voest-Chef Eder aus Good Old Europe mitbringt. Und eine Diskussion über den Industriestandort Europa obendrein. Die Rahmenbedingungen seien für einen Stahlkonzern nicht mehr tragbar, betont er. Zu hohe Energiepreise, zu hohe Lohnkosten, zu hohe Umweltauflagen. Und vor allem zu hohe Nasen der Politiker. Letzteres würde Eder nie behaupten. Er sagt Sätze wie: „Die Politik in Europa hat sich von der Industrie verabschiedet.“

Nicht in Cartersville. „Wir haben hart verhandelt, aber immer so, dass wir uns in die Augen sehen können“, sagt Voest-Manager Schultz. Wie sieht Steve Taylor das Ergebnis der Verhandlungen? Der Sole Commissioner von Bartow County nennt die Fabrik ein „50:50-Projekt“. „Unsere 50 Prozent bestanden aus geben, eure aus nehmen“, scherzt er mit den Voest-Managern und offenbart gleichzeitig das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik in den USA. Vor allem Georgia, Louisiana oder Mississippi. Diese Staaten sind für die USA, was Bulgarien und Rumänien für die EU sind. Billiglohnländer innerhalb eines Wirtschaftsraums.

Das Leben hier ist billig und nicht anspruchsvoll. Das weiß auch Peter Crawford. Er arbeitet seit sechs Wochen für die Voest in Cartersville als Einkäufer. Seit 13 Jahren lebt er in den Staaten. Er hat den Namen seiner amerikanischen Frau angenommen. „Pschor, kann keiner aussprechen“, sagt der Bayer. Sein Haus steht in der Nähe. „Ein Schloss“, erzählt er stolz. Schloss heißt zweistöckiges Holzhaus mit Veranda, Nebengebäuden und einem Garten so groß wie ein Fußballplatz. „Hat 150.000 Dollar gekostet.“

Wo solche Schlösser stehen, schießen auch riesige Industrieanlagen aus dem Boden. Nur ein paar Kilometer von der Voest-Fabrik entfernt hat Budweiser eine Brauerei errichtet. Angezogen durch billigen Grund, billige Energie, billige Arbeitskräfte und Bürgermeister, die ihre Visitenkarte den Investoren anpassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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