Wirtschaftswissenschaft: Warum die Kreditblase platzen musste

Laut Hyman Minsky führen freie Finanzmärkte unweigerlich dazu, dass die Akteure immer mehr Schulden anhäufen, bis die Blase platzt.

Washington. Ein halb vergessener, vor zehn Jahren verstorbener US-Ökonom erweckt plötzlich Interesse: Die Theorien von Hyman Minsky, der 1996 77-jährig starb, werden unter Ökonomen lebhaft diskutiert. Denn Minsky entwickelte eine Theorie, wie Finanzblasen entstehen und platzen. „Stehen wir vor einem Minsky-Moment?“, fragte Nouriel Roubini, ein bekannter Ökonom, Ende Juli.

„Am Rand des Kollapses“

Paul McCulley von der Pacific Investment Management Company erklärte: „Wir stehen mitten in einem Minsky-Moment oder am Rand eines Minsky-Kollapses.“ „Ich schätze Minskys Theorien immer mehr“, sagte Ex-Fed-Gouverneur Lawrence Meyer, der mit Minsky an einer Universität in St. Louis lehrte, zum „Wall Street Journal“. „Manchmal, wenn ich mir zuhöre, denke ich mit Schrecken, ich klinge ja wie Hyman Minsky.“

Minsky fand zu Lebzeiten wenig Gehör. Er war zu einer Zeit aktiv, in der die neoliberale Schule auf ihrem Höhepunkt war. Die meisten neoliberalen Ökonomen glauben, dass Finanzmärkte effizient sind. Da kam eine Theorie, die aufzeigte, wie Finanzmärkte unweigerlich Schulden- und Kreditblasen produzieren, wenig gelegen.

Laut Minsky führen freie Finanzmärkte dazu, dass Akteure immer mehr Risiko auf sich nehmen und Schulden anhäufen. Gleichzeitig lockern Kreditgeber und Aufsichtsbehörden oder, wie im heutigen Fall, die Rating-Agenturen, die Konditionen. Die Folge ist, dass die Papierwerte an Börsen ansteigen und die Risikoprämien sinken. Bis der Punkt kommt, an dem die ersten Schuldner ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können: Die Blase platzt.

An diesem Punkt sei man heute, sagen mehr und mehr unabhängige– außerhalb des Börsenbetriebs stehende– Ökonomen: Die Zeche für die Kredit-Orgie der vergangenen Jahre müsse bezahlt werden. Laut Roubini handelt es sich nicht nur um eine Liquiditätskrise, sondern eine Insolvenzkrise: In den USA seien hunderttausende Haushalte, Dutzende Hypothekarbanken, Hedge Funds und Industrieunternehmen pleite. Diese Krise könne nicht gelöst werden, indem man den Banken neues Geld zur Verfügung stelle. Im Gegenteil, Liquiditätsspritzen der Zentralbanken würden die Blase aufblähen und das Problem verschärfen.

Was die Ökonomen beunruhigt, ist die Tatsache, dass die Kreditblase heute weltweit ist und die Schuldenpyramide die größte ist, die je aufgebaut worden ist. „Kein Konjunkturboom war je so stark auf Kredit aufgebaut wie der Boom, den wir seit 2001 erlebt haben“, schrieb David Rosenberg von Merrill Lynch.

„Schlimmer als 1997/98“

Die Marktteilnehmer glaubten an ein „neues Paradigma“, ähnlich wie zu Zeiten der High-Tech-Blase, als Wallstreet-Analysten meinten, es sei nicht mehr nötig, dass Unternehmen Gewinne erzielen. Man träumte, dass Konjunkturzyklen obsolet seien, dass die Zentralbanken ein magisches Mittel gefunden hätten, Inflationsschübe und Rezessionen zu vermeiden, und dass es gerechtfertigt sei, Risikoprämien immer weiter zu senken. „Die gegenwärtige Krise ist unvergleichlich schlimmer als die Finanzkrisen von 1997/98“, glaubt Roubini. Denn wie Minsky voraussagte, ist die Landschaft immer mehr von Schuldnern bevölkert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2007)

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