Landwirtschaft: Bauern machen für Pestizide mobil

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Knapp ein Jahr nach dem Verbot der bienenschädlichen Neonicotinoide startet die Landwirtschaftskammer eine PR-Offensive für den chemischen Pflanzenschutz. An ihrer Seite lobbyiert die agrochemische Industrie.

Wien. Vor rund einem Jahr wurden Neonicotinoide als Beizmittel verboten. Das sind jene Schädlingsbekämpfungsmittel, die laut Umweltorganisationen für das Bienensterben verantwortlich sind. Und die dem damaligen Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) einen Skandal bescherten. Er hatte auf EU-Ebene gegen ein Verbot gestimmt und so einen innenpolitischen Eklat ausgelöst. Die umstrittenen Pestizide wurden trotzdem verboten: vorerst für zwei Jahre, in Österreich sogar für drei.

Sehr zum Unmut der Landwirtschaftskammer und der agrochemischen Industrie. Ihnen stieß das Verbot schon damals sauer auf. Und der Ärger ist nicht verpufft. Im Gegenteil. Seit einigen Wochen wird seitens der Bauernvertreter massiv Stimmung für Pflanzenschutzmittel gemacht – und über das Verbot von Neonicotinoiden lamentiert. Zuletzt schlug die steirische Landwirtschaftskammer Alarm: Schädlinge wie der Drahtwurm setzten Kürbis, Mais und Erdäpfeln zu, beklagte sie per Aussendung. Betroffen seien zumindest 6000 Hektar Kürbis und 15.000 Hektar Mais. Man brauche moderne Pflanzenschutzmittel, um die Saaten zu schützen.

Bauern sind kritisch

Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer, wird im Gespräch mit der „Presse“ deutlicher. „Wenn wir keinen Zugang zu diesen modernen Pflanzenschutzmitteln haben, wird die Lebensmittelproduktion in Österreich schwieriger“, so Schultes. Auf längere Sicht würde weniger produziert – und die fehlenden Lebensmittel müssten von „woanders“ kommen. Das Verbot sei aufgrund einer „kurzfristigen Kampagne“ erlassen worden und nicht anhand objektiver Kriterien. „Das kann ja nicht im Sinne der Menschen sein, dass man Wirkstoffe so plötzlich verbannt“, sagt Schultes. Dabei spricht er aber nicht für alle Bauern: In einer Erhebung von Keyquest im Auftrag der Grünen Bauern sagten 68 Prozent der befragten Landwirte, sie wünschten sich eine Verminderung des Pestizideinsatzes in der österreichischen Landwirtschaft.

Bei ihrem Einsatz hat die Kammer einen starken Partner an ihrer Seite. Die Industriegruppe (IG) Pflanzenschutz hat ähnliche Interessen – nur vertritt sie dabei nicht die Bauern, sondern die größten Chemiekonzerne der Welt: BASF, Bayer, Monsanto und Syngenta sind nur die bekanntesten ihrer 15Mitglieder. Die Lobbygruppe macht ihre Arbeit gründlich. Am 28.Mai etwa lud man mit der Landwirtschaftskammer zur Pressefahrt nach Niedersulz. Mit Erfolg: Wenige Tage später berichteten mehrere Medien über den Nutzen von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Darunter auch die „Bauernzeitung“, in der agrochemische Unternehmen fleißig inserieren.

Industrie fürchtet Kahlschlag

Auf EU-Ebene wird derzeit über die Pflanzenschutzrichtlinie verhandelt. Die Industrie befürchtet einen „Kahlschlag“ und fühlt sich falsch verstanden. „Über Aspirin würde auch keiner sagen, das ist ein Gift“, sagt Christian Stockmar, Vorsitzender der IG Pflanzenschutz, zur „Presse“. Für die Pflanzenschutzindustrie geht es um viel Geld: Die Branche setzt in Österreich 130 Mio. Euro im Jahr um, das meiste mit der Landwirtschaft. Wohl darum hat sie mit Daniel Kapp einen Politprofi als Berater engagiert, der zuvor als Pressesprecher für den damaligen Landwirtschafts- und späteren Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) arbeitete. In einem internen Papier der IG Pflanzenschutz, das der „Presse“ zugespielt wurde, wird die österreichische Funktionärswelt nach Gegnern und Verbündeten eingeteilt. Darauf finden sich zum Beispiel Vertreter heimischer Umweltorganisationen wie Helmut Burtscher von Global 2000, das Greenpeace-Team („sehr negativ“) wie auch Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl und Rainer Wimmer, Vorsitzender der Produktionsgewerkschaft – beide „neutral“. Während die Landwirtschaftsfunktionäre als eher positiv eingestuft werden, sieht man Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) auf Seite der Kritiker.

In einem Strategieprozess, den Rupprechter vorige Woche ankündigte, sollen Bauern, NGOs, Wissenschaftler, Wirtschafts- und Konsumentenvertreter die Zukunft des Pflanzenbaus in Österreich ausarbeiten. Dem Prozess wolle man nicht vorgreifen, heißt es aus dem Ministerium. Auch zum Thema Neonicotinoide hält man sich bedeckt. „Aber dass der Minister für einen naturnahen Weg steht, hat er ja schon immer gesagt“, so eine Sprecherin.

Grüne wollen mehr Biomittel

Reibereien wird es noch lange geben. Denn auch die Achse Industrie-Landwirtschaftskammer hat Gegner. Etwa den grünen Agrarsprecher Wolfgang Pirklhuber. Das Neonicotinoid-Verbot ist für ihn ein riesiger Erfolg, chemische Pflanzenschutzmittel sollten viel strenger geprüft und gegebenenfalls verboten werden. Darüber, dass Landwirtschaftskammer und IG Pflanzenschutz die Pestizide mit Medikamenten vergleichen, kann Pirklhuber nur lachen: „Das ist nicht nur eine Untertreibung, sondern eine Irreführung der Öffentlichkeit.“ Er fordert den großflächigen Umstieg auf biologische Spritzmittel, die genauso effektiv seien.

Wovon die Bauernvertretung überhaupt nichts hält. Kammerpräsident Schultes sagt: „Was das kosten würde, bezahlen die Konsumenten nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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