Werner Doralt: "Steuerzahler zahlen für Sanierung im Osten mit"

Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Hat der Staat das Osteuropa-Debakel provoziert, fragt Werner Doralt. Gruppenbesteuerung könnte zu Unvorsichtigkeit verleitet haben.

Die Presse: Herr Professor Doralt, haben Österreichs Unternehmen zu unvorsichtig nach Osteuropa expandiert?

Werner Doralt:
Das ist schwer zu beantworten. Mich beschäftigt dabei vor allem die Frage, inwieweit die Unternehmen durch den Gesetzgeber dazu verleitet wurden, ein höheres Risiko einzugehen, als sie es sonst gemacht hätten.

Inwiefern?

Über das Modell der Gruppenbesteuerung, das es Österreichs Unternehmen erlaubt, Verluste aus dem Ausland mit Gewinnen im Inland gegenzurechnen. Damit wollte man die Expansion der österreichischen Firmen forcieren. Die Frage ist, inwiefern diese dabei höhere Risken in Kauf genommen haben. Wenn das Gesetz wirklich effektiv war, dann könnte das, was wir jetzt erleben (Milliardenabschreibungen vieler heimischer Unternehmen wegen Verlusten in Osteuropa, Anm.) ein später Fluch der Gruppenbesteuerung sein.

Aber die Gruppenbesteuerung wurde erst im Jahr 2005 eingeführt. Da war der Großteil der Ostexpansion der Österreicher doch schon gelaufen.

Natürlich, da haben Sie recht. Ich kann auch nicht beantworten, in welchem Ausmaß Unternehmen ab 2005 wegen der steuerlichen Vorteile verstärkt in den Osten gegangen sind. Andererseits, wenn man sagt: Die steuerlichen Anreize beeinflussen Unternehmen in ihren Expansionsplänen nicht, dann hätte es dieses Gesetz doch gar nicht gebraucht.

Hat der Staat die Unternehmen ins Abenteuer Osteuropa gedrängt?

So hart würde ich das nicht ausdrücken. Aber man muss schon die Frage stellen, ob der Staat die Unternehmen nicht dazu verleitet hat, ihre Expansion etwas leichtfertiger anzugehen.

Würden Sie die Gruppenbesteuerung abschaffen?

Das kann ich so nicht beantworten. In der Ex-Post-Betrachtung ist es einfach zu behaupten, dass etwas missglückt war. Aber es gibt auch viele erfolgreiche Expansionen nach Osteuropa, die vielleicht auch mit der Gruppenbesteuerung zusammenhängen.

Die Unternehmen selbst sind ja nicht die Leidtragenden. Im Gegenteil. Gerade jetzt in der Konsolidierung können sie Verluste im Osten mit Gewinnen in Österreich gegenrechnen. Wer bezahlt letztlich dafür?

Der Steuerzahler zahlen für Sanierung im Osten mit. Es ist schön, wenn der Erste-Bank-Chef sagt: Wir schaffen das aus eigener Kraft. Aber das kann er natürlich nur machen, weil er weiß, dass er seine Gewinne im Inland dadurch schmälern kann und ein großer Teil der Verluste von den Steuerzahlern übernommen wird.

ZUR PERSON

Werner Doralt (geb. 1942) ist der Doyen des österreichischen Steuerrechts. Der emeritierte Professor war zuletzt Vorstand des Instituts für Finanzrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Anfang der 1990er-Jahre war Doralt als gemeinsamer Kandidat der großen Koalition für das Amt des Rechnungshofpräsidenten vorgesehen. Jörg Haider hatte ihn daraufhin zu Unrecht bezichtigt, in einen Bauskandal verwickelt zu sein. Doralt wurde von allen Anschuldigungen entlastet, Haider musste sich öffentlich entschuldigen. Der Job beim Rechnungshof blieb ihm wegen dieser Vorwürfe jedoch verwehrt. [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2014)

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