ÖBB: Lohnrunden sollen „netto“ werden

BETRIEBSVERSAMMLUNG DER EISENBAHNER IN SALZBURG
BETRIEBSVERSAMMLUNG DER EISENBAHNER IN SALZBURG(c) APA/NEUMAYR/SB (NEUMAYR/SB)
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Die ÖGB-Kampagne für eine Steuerreform schlägt sich in den Lohnverhandlungen nieder: Bei den Eisenbahnern will die Gewerkschaft erstmals dezidiert nur mehr über Nettolohnerhöhungen sprechen.

Wien. Etwas mehr als eine Stunde Verspätung bei der Ankunft von Fernzügen aus Bregenz und München in Wien. Das war auf den ersten Blick die augenscheinlichste Auswirkung des Konflikts zwischen Gewerkschaft und Schienenverkehrsunternehmen (allen voran die ÖBB) um die aktuelle Lohnrunde. Wie berichtet war am vergangenen Freitag auch die sechste Verhandlungsrunde ergebnislos abgebrochen worden, weshalb es am Montag in Salzburg zu ersten Betriebsversammlungen kam. Am kommenden Donnerstag sollen in Linz und Graz weitere Versammlungen folgen.

Vordergründig handelt es sich bei dem Konflikt um das übliche Gefeilsche um Prozentzahlen: Die Arbeitgeber bieten eine Spanne von 2,2 bis 2,8 Prozent an, die Gewerkschaft fordert 2,6 bis über fünf Prozent. Dies ist den Arbeitgebern jedoch zu viel.

In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber nicht nur um einen simplen Streit um Zahlen hinter dem Komma, sondern um einen echten Paradigmenwechsel in der Tradition der sozialpartnerschaftlichen Lohnverhandlungen. Die Gewerkschaft will nämlich nicht mehr einen Prozentsatz für die Erhöhung der Bruttolöhne, sondern einen für die Erhöhung der Nettolöhne festsetzen. „Entscheidend für mich ist, dass die Lohnsteigerung netto im Geldtascherl ankommt. Mich interessiert dabei eigentlich gar nicht, was das für die Bruttolöhne bedeutet. Und das habe ich von Anfang an klargemacht“, so der oberste Bahngewerkschafter, Roman Hebenstreit, zur „Presse“. Einen Bruttoprozentsatz könne es maximal aus „technischen Gründen“ geben, weil sonst die Darstellung in den Gehaltstabellen für die Arbeitgeber schwierig bis unmöglich sei. Die Lohnsteigerung – etwa der Inflationsausgleich – müsse aber netto festgelegt werden und erfolgen. „Die Miete oder den Einkauf zahlt der Arbeitnehmer ja auch vom Nettogehalt“, so Hebenstreit.

500 Millionen für Fiskus pro Jahr

Für die Arbeitgeber würde dies bedeuten, dass sie künftig auch die kalte Progression bezahlen müssten, die bisher bei den Arbeitnehmern hängen bleibt. Laut Experten beschert diese dem Finanzminister pro Jahr eine versteckte Steuererhöhung im Ausmaß von rund 500 Millionen Euro, weil Arbeitnehmer durch nominelle Lohnsteigerungen in höhere Progressionsstufen rutschen. Real kann dies für den Einzelnen unter dem Strich sogar einen Verlust bedeuten. Eine Situation, auf die laut Hebenstreit auch von den Gewerkschaften in der Vergangenheit viel zu wenig geachtet wurde. Dies soll nun geändert werden.

Hebenstreits Gegenüber in den Verhandlungen, Fachverbandsobmann Thomas Scheiber, sieht die Eisenbahnerlohnrunde daher auch in der Geiselhaft der aktuellen Gewerkschaftskampagne für eine Lohnsteuerreform. „Ich kann Gehälter erhöhen, ich kann aber keine Steuern senken. Das ist eine Kampagne, da kann ich gar nicht verhandeln, da werde ich nur vorgeführt.“ Eine Anhebung um die von der Gewerkschaft geforderten Nettoprozentsätze mit Mindestsockelbeträgen sei unmöglich, da sie in vielen Fällen ein Plus von über fünf Prozent brutto bedeuten würden. Und dies sei schlicht nicht finanzierbar.

Scheiber hofft daher, dass nach dem Ablauf der gegenwärtigen Kampagne bei der Gewerkschaft „wieder Vernunft einkehren“ werde. Eine Hoffnung, die von den Gewerkschaftsvertretern sofort zerstört wird: „Ich bleibe nach wie vor bei einer Nettolohnerhöhung“, so Hebenstreit. Und dies dürfte nicht nur bei den Eisenbahnern so sein. „Ich nehme an, dass auch bei anderen Verhandlern die Sensibilität bei diesem Thema steigen wird“, sagt der oberste Bahngewerkschafter. Entsprechende Äußerungen dazu gibt es schon. So meinte Rainer Wimmer, der Bundesvorsitzende der Metallergewerkschaft Pro-Ge, unlängst: „Den Arbeitnehmern muss spürbar mehr netto vom Brutto bleiben.“ Wird dieses Ziel nicht über eine Steuerreform erreicht, könnte es wie bei den Eisenbahnern in die Lohnverhandlungen im Herbst einfließen.

Koalition streitet wieder über ÖBB

Streitthema war die Bahn am Montag auch in der Politik, wenn auch aus anderem Grund. So kritisierte Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) erneut fehlende Reformen und ein zu niedriges Pensionsantrittsalter bei den ÖBB. Von der zuständigen Infrastrukturministerin, Doris Bures (SPÖ), wurde die Kritik umgehend zurückgewiesen. Die geforderten Reformen seien schon in der Umsetzung. Das von Spindelegger vorgelegte „Zahlendebakel“ sei entweder „umfassende Sachunkenntnis oder Bösartigkeit“.

AUF EINEN BLICK

Die Eisenbahnergewerkschaft will künftig Nettolohnsteigerungen fixieren. Ein Vorgehen, das auch in anderen Branchen Nachahmer finden könnte. Für die Arbeitgeber würde dies Mehrkosten von 500Millionen Euro pro Jahr bedeuten, da sie auch die kalte Progression übernehmen müssten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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