Die Steuererfinder sind wieder unterwegs

Claus Raidl
Claus Raidl(c) Michaela Bruckberger
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Eine Steuerreform muss die Abschaffung der kalten Progression beinhalten und zwingend im Paket mit echten Reformen zur Gegenfinanzierung beschlossen werden. Sonst wird sie wieder innerhalb weniger Monate verpuffen.

Der neue Finanzminister hat sein Steuerreformkonzept noch gar nicht skizziert, da sind schon wieder die Steuererfinder am Werk. Der Budgetexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts sind beim „Runden Tisch“ im ORF Sonntagnacht aus dem Stand gut zehn neue Steuern eingefallen, mit denen man die überfällige Lohnsteuersenkung gegenfinanzieren könnte. Und selbst der normalerweise geerdete Notenbankpräsident, Claus Raidl, hat gemeint, er könne sich eine Verdoppelung der Grundsteuer (eine Vermögenssubstanzsteuer, die überwiegend Häuselbauer trifft, weil große Grundvermögen wegen deren überwiegender Landwirtschaftswidmung davon de facto ausgenommen sind) und eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer vorstellen.

Einsparungen zur Gegenfinanzierung soll es dagegen erst später geben. Mit anderen Worten: Den Experten geht es nicht um eine Steuerreform, sondern nur um ein bisschen Kosmetik. Eine echte Reform würde von einer Analyse des Gesamtzustandes ausgehen, die ungefähr so geht:

• Die Steuer- und Abgabenquote ist mit 45,3 Prozent des BIPs viel zu hoch. Sie muss mittelfristig um mindestens fünf Prozentpunkte herunter (was derzeit rund 15 Mrd. Euro im Jahr entspricht). Eine Steuerquote lässt sich aber sicher nicht senken, indem die eine Steuer durch eine andere „gegenfinanziert“ wird.

• Zwei Drittel der Steuereinnahmen des Bundes entfallen auf die Lohn- und die Mehrwertsteuer. Für wirklich substanzielle Gegenfinanzierungen stünden also nur diese beiden Stellschrauben zur Verfügung. Beide Steuern stehen aber schon am oberen Anschlag. Und die Lohnsteuer soll ja selbst gesenkt werden.

• Die kalte Progression, die durch die Nichtanpassung der Steuerstufen an die Inflation entsteht, macht jede konventionelle Steuerreform binnen Monaten zunichte. Die kalte Progression ist (gemeinsam mit den Gebührenorgien der Gemeinden) hauptverantwortlich dafür, dass die Realeinkommen in Österreich seit fünf Jahren teils dramatisch sinken (obwohl die Löhne nominell erhöht werden). Der Effekt der kalten Progression macht allein heuer rund 600 Mio. Euro aus. Würde man also, wie gefordert, die Grundsteuer verdoppeln (was 650 Mio. Euro bringt) und im gleichen Ausmaß die Lohnsteuer senken, dann wäre der Effekt dieser Reform bereits nach gut einem Jahr (!) verpufft. Eine Steuerreform ohne Ausschaltung der kalten Progression ist also völlig sinnlos.

• Die Lohnteilenteignung per kalter Progression, die, wie gesagt, seit fünf Jahren die Realeinkommen schrumpfen lässt, ist extrem konjunkturschädlich. In einer stark konsumorientierten Wirtschaft wie der unseren lässt eine Absenkung der Massenkaufkraft die Wirtschaftsleistung sinken, nicht steigen. Ein Budget, das gleichzeitig Steuererhöhungen und zusätzliche Steuereinnahmen aus Konjunktureffekten enthält (wie das hierzulande üblich ist), hat deshalb das Scheitern schon eingebaut.

Die Schieflage des Steuersystems und jene der Konjunktur zwingen kurzfristig zu einer wirklich spürbaren Entlastung der Arbeitskosten bzw. der Arbeitseinkommen. Das funktioniert mit Gegenfinanzierungen über andere Steuern auch dann nicht, wenn man sich gleichzeitig vornimmt, mittelfristig Reformen anzugehen. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte lehrt eindrucksvoll, dass sich davon normalerweise nur Stufe eins, also die Steuererhöhung, realisieren lässt. Teil zwei dagegen in der Folge zu Tode lobbyiert wird.


Eine Steuerreform, die nachhaltig wirkt und nicht sofort wieder verpufft, kann deshalb nur aus einem Gesamtpaket bestehen: Steuerentlastung bei gleichzeitigem Beschluss der konkreten Reformmaßnahmen, mit denen man die Entlastung wirklich und nachhaltig gegenfinanzieren kann. Die Vorschläge dafür liegen ja seit Langem auf dem Tisch. Richtig ist, dass dieses Sparvolumen nicht sofort zur Verfügung steht. zumindest nicht zur Gänze. Es gibt Maßnahmen, die sehr schnell wirken. Etwa ein Zurückfahren des Fördervolumens auf den europäischen Schnitt und damit auf die Hälfte. Macht sieben bis acht Milliarden, was schon ein recht ordentliches Volumen für den Anfang gäbe. Und es gibt Reformen, die erst mittelfristig wirken. Etwa die diskutierten Verwaltungs- und Staatsreformen samt Neuordnung des Föderalismus. Aber auch die müssen verbindlich Teil des Pakets sein, weil sie sonst einfach wieder liegen bleiben.

Möglich bis wahrscheinlich, dass bei diesem Vorgehen ein vorübergehendes Finanzierungsloch auftritt. Wenn man etwa die Lohnsteuer bzw. die Lohnnebenkosten sofort massiv senkt, die Einsparungen aber erst in einigen Jahren voll schlagend werden. Füllt man dieses Loch mit Gegenfinanzierungen durch neue Steuern, dann ist der finanzielle Druck auf Reformen wieder weg – und die Steuerquote steigt weiter. Es wäre in diesem Fall also sinnvoll, die eine oder andere Milliarde auf dem Kapitalmarkt zu holen. Wenn beim Beschluss der Steuersenkung tatsächlich der Beschluss der gegenfinanzierenden Reformen mitgefasst wird, dann ist das keine Steuerreform auf Pump, sondern eine sinnvolle Zwischenfinanzierung.

Und wer jetzt sagt: „Huch, die Staatsschulden“, der sollte bedenken, dass die Staatsschuldenquote heuer von 74,5 auf rund 82 Prozent des BIPs schnellt – ausschließlich für die Finanzierung von vergangenem Polit-Versagen. Eine Zwischenfinanzierung für eine echte Reform könnte man da ruhig als Zukunftsinvestition abhaken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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