Schneider: "Das Nichtstun der Politiker macht mich narrisch"

Friedrich Schneider
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Friedrich Schneider führt das "Presse"-Ranking der einflussreichsten Ökonomen an. Der Schattenwirtschaftsexperte im Interview.

Die "Presse" hat nach dem einflussreichsten Ökonomen Österreichs gesucht (>>> zu den Methoden) - und ihn gefunden: Friedrich Schneider ist 1949 in Konstanz am Bodensee geboren, lebt aber schon seit fast 30 Jahren in Linz, wo er an der Johannes-Kepler-Universität forscht und lehrt. Dass Schneider auf Platz eins landet, ist bemerkenswert, da er nicht für eines der großen Forschungsinstitute Wifo und IHS arbeitet.

Sieht man sich seine Forschungsgebiete an, wird die Sache schon klarer, denn Schneider ist auf Gebieten zuhause, die viele Ökonomen meiden: Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung und Korruption sind Themen, die spätestens seit der Schuldenkrise und den nationalen und internationalen Finanzskandalen der letzten Jahre eindeutig an Bedeutung gewinnen. Dazu kommt seine Wirkung in der Wissenschaft: Mit fast 1000 Zitaten liegt Schneider klar vor der Konkurrenz.

"Die Presse": Herr Professor, sie forschen derzeit zur Sozialparnterschaft. Wie geht es ihr?

Friedrich Schneider: Die Sozialpartnerschaft wird mit zunehmendem Staatsanteil immer ineffektiver. Immer mehr Gruppen wollen Vorteile haben. Besonders effizient ist das System aber bei einem kleinen Staat.

Bis zu welcher Größe?

Österreich ist gerade am Kippen. Wenn wir den Staatssektor noch ein bisschen vergrößern, wird der produktive Effekt des sich Zusammensetzens und nach Lösungen suchen geringer. In Österreich ist der Effekt noch positiv, aber nur solange der Staatsanteil nicht noch weiter wächst. Dänemark spürt zum Beispiel schon einen negativen Effekt. Aber die sind in anderen Bereichen effizienter als wir. Sie sind rigoroser beim Sparen und bei der Arbeitsmarktpolitik.

Zweifel an der Sozialpartnerschaft ist in Österreich eher ungewöhnlich.

Die Sozialpartnerschaft ist nach wie vor wichtig. Darum beneiden uns viele. Aber sie muss wieder zu einer Produktivität finden. Wir müssen uns überlegen: Wie strikt muss eine Gewerbeordnung sein? Und wie flexibel können Arbeitszeiten sein? Da finde ich es wichtig, dass man seinen Mund aufmacht. Insofern bin ich kein Wissenschaftler, der im Elfenbeinturm sitzt. Wenn ich etwas rausfinde, möchte ich es auch verbreiten. Und ich stelle mich auch der Diskussion.

Gibt es bei Ökonomen vielleicht zu wenig Wettbewerb?

Es ist lustig. Wir Ökonomen reden wahnsinnig viel über Wettbewerb, aber nie über unseren eigenen. Nie. Da heißt es, man kann das nicht messen, das ist ganz schwierig. Das ist alles Immunisierung. Aber den Studenten predigen wir, Wettbewerb sei das Allerbeste.

Warum bearbeiten nur wenige Ökonomen Themen wie die Schwarzarbeit?

Ich habe da fast ein Monopol, was mir aber überhaupt nicht recht ist. Beim Pfusch hat man halt keine Statistik Austria. Da muss man sich fragen: Ist das plausibel? Und dann muss man sich der Kritik stellen. Als ich in Österreich in den 1990ern damit begonnen habe, hab ich viel Kritik bekommen. Das ist doch alles falsch, viel zu hoch, viel zu tief! Da braucht man ein dickes Fell. Aber mir ist es wichtig, relevante Themen aufzugreifen.

Die da wären?

Pfusch und Steuerhinterziehung. Durch Mehrwertsteuerbetrug verlieren wir jährlich 800 Mio. Euro - obwohl wir eigentlich jeden Cent brauchen. Also durch Scheinexporte, die im Inland ohne Mehrwertsteuer verkauft werden. Ich würde behaupten, mit 300 guten Steuerfahndern, die wir sogar haben und einfach freistellen müssen, würden wir die Hälfte davon reinholen. Das wäre eine fantastische Rendite.

Und beim Pfusch?

Der Pfusch beim Hausbau ist so in uns drin und auch von der Politik geduldet, da würde keiner was dagegen tun. In Oberösterreich würde jedes zweite Eigenheim nicht stehen, wenn es den Pfusch nicht gäbe. Ohne Pfusch wäre unser Wohlstand signifikant geringer, und die Leute wären unzufriedener, weil sie weniger beschäftigt sind. Und wer beschäftigt ist, der hat nicht viel Zeit zum demonstrieren. Pfusch und Nachbarschaftshilfe haben einen bedeutenden Wohlstandseffekt. Die Politiker spüren das auch, die sind ja nicht dumm. Und drei Viertel des im Pfusch verdienten Geldes wird ja wieder in der offiziellen Wirtschaft ausgegeben.

In Österreich lag Ihren Daten zufolge die Schattenwirtschaft 1975 bei 2,4 Prozent des BIP. 2011 waren es acht Prozent. Woran liegt diese starke Zunahme?

Wir haben natürlich die Belastung durch Steuern und Abgaben seit 1975 signifikant gesteigert. Damals hatten wir nicht mal eine Mehrwertsteuer in dem jetzigen Ausmaß. Wir haben massiv die Wirtschaft reguliert. Die Lohnnebenkosten wurden in Höhen getrieben, dass es für viele unerschwinglich wäre, ein Haus zu bauen. Erst jetzt werden die Steuerlast und die Arbeitskosten wieder ein bisschen in Frage gestellt. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir beim Pfusch nicht im Spitzenfeld sind. Deutschland hat sechs Prozentpunkte mehr.

Woran kann das liegen?

Vielleicht ist da auch ein Messfehler von mir drinnen, weil die Nachbarschaftshilfe sich nicht widerspiegelt. Ein Drittel davon kann ich erklären: Wir sind ein bisschen großzügiger bei der Regulierung in Österreich. Aber die anderen zwei Drittel kann ich nicht erklären, das gebe ich auch zu. Dazu kommt, dass die meisten Bürger bei uns die Steuerbelastung als unfair verteilt betrachten. Alle zahlen die Mehrwertsteuer, die die geringeren Einkommen sehr stark belastet. Dann kommt die Belastung durch die Sozialabgaben dazu. Und viele sehen das leider auch als Steuer, weil sie an das Versicherungsprinzip immer weniger glauben.

Was also machen?

Wir brauchen ein einfacheres Steuersystem. Mein Ziel wäre es auch, den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zu halten. Alle Studien zeigen, dass die Bereitschaft zur Hinterziehung ab 50 Prozent dramatisch ansteigt, weil man dann das Gefühl hat, die Hälfte bekommt der Staat. Das weckt alle Widerstände, weil die Menschen das nicht einsehen.

Was wären die wichtigsten Schritte?

Entscheidend wäre, dass bei einer ersten Steuerreform die kalte Progression zur Hälfte abgeschafft wird. Dass von den Lohnsteigerungen etwas mehr bleibt. Da könnte man sogar ein zusätzliches Defizit von einer Milliarde in Kauf nehmen, weil der zusätzliche Konsum das nach ein, zwei Jahren wieder ausgleichen würde. Da glaube ich schon noch, dass der Keynesianismus funktioniert.

Was stört Sie an Österreich am meisten?

Das Nichtstun der Politiker macht mich narrisch. Ich hab in einer Kolumne mal geschrieben: „Treten wir in den Steuerstreik und führen wir das Geld auf ein Sperrkonto ab, damit wir keine Hinterzieher sind. Glauben Sie mir, ich habe noch nie so viele Mails bekommen: Mach ich sofort, wie geht das? Daran sehe ich, dass auch meine braven Nachbarn schon ein bisschen geladen sind. Den Leuten reicht's. Mich fragen sie immer, weil ich häufig in Wien bin. „Sag mal, was machen die da unten?" Wenn die Regierung so weitermacht, verspielen beide Parteien ihren letzten Kredit. Das Land ist an der Kippe zu einer Steuerrebellion. Und der Strache sitzt in der ersten Reihe fußfrei. Das ist ein Spiel mit dem Feuer.

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