Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, ortet diplomatisches Versagen der EU im Ukraine-Konflikt. Für Österreich hofft er, dass sich ÖVP und SPÖ endlich in Sachen Bildungsreform bewegen.
Zufrieden mit der neuen Regierung?
Georg Kapsch: Das ist keine gute Frage.
Wieso nicht?
Ich kann Ihnen nicht sagen, ob ich zufrieden bin, wenn die noch gar nicht begonnen haben zu arbeiten. Jetzt werden wir sehen, wie die beiden Parteien künftig kooperieren. Und wir werden sehen, was an Strukturreformen, Steuerreformen und was in der Bildungsdebatte weitergeht.
Was die Bildungsreform betrifft, hat ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner bereits seine Dialogbereitschaft bekundet.
Ja, und das freut mich sehr. Das öffnet uns den Weg, in eine intensive Diskussion einzusteigen.
Sie haben sich beim Thema Gesamtschule viel offener gezeigt, als es etwa in der ÖVP der Fall war.
Wir sind ja nie wirklich in die Diskussion gekommen, was eine gemeinsame Schule überhaupt bedeuten sollte. Die Industriellenvereinigung arbeitet derzeit an einem Konzept, und das werden wir in absehbarer Zeit vorstellen. Dann wird auch klar, was wir unter einer gemeinsamen Schule verstehen. Ich bitte um Verständnis, dass ich das jetzt noch nicht ausplaudern kann. Das Missverständnis in Teilen der ÖVP besteht meiner Meinung darin, dass unter gemeinsamer Schule eine Fusion der Unterstufe der AHS und der Hauptschule verstanden wird. Das verstehen wir mit Sicherheit nicht darunter. Das muss ein völlig neues Konzept sein.
Finden Sie es nicht merkwürdig, dass ein ÖVP-Chef gehen muss, weil er als Finanzminister keine neuen Steuern will? Und dass sein Nachfolger Mitterlehner sich bei den Steuern gesprächsbereit zeigt – und dafür sogar Jubel erntet?
Er hat zwar angekündigt, dass er bereit ist, über das Thema zu reden. Er hat aber gleichzeitig klar gemacht: Neue Steuern nein, keine Vermögenssteuern und keine Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Und dann gibt es allerdings noch die Grundsteuer.
Die gehört ohnehin reformiert. Man muss allerdings bei der Land- und Forstwirtschaft sehr aufpassen. Diese sollte man mit einer Vermögenssteuer – und eine Grundsteuer ist nichts anderes – nicht noch stärker belasten. Die verdienen mit Ausnahme einiger Großbauern schon heute wenig.
Dann bleibt am Ende vor lauter Ausnahmen nichts übrig.
Man sollte nicht Ausnahmen, sondern Grundstückskategorien definieren, etwa nach Verwendungszweck und Lage.
Wären Sie auch über eine Millionärssteuer gesprächsbereit?
Das ist ja die Vermögenssteuer. Nur haben Gewerkschaft und SPÖ unterschiedliche Vorstellungen, sie gehen etwa von anderen Freibeträgen aus. Also offensichtlich tendiert die Gewerkschaft dazu, den Mittelstand voll zu belasten. Wenn wir das machen, ruinieren wir endgültig alles in diesem Land.
Wo würden Sie mit der Re-Industrialisierung beginnen?
Bei der Re-Industrialisierung steht eines klar im Mittelpunkt: Und das ist mehr Freiheit für die Menschen, mehr Freiheit für die Unternehmen. Wir versuchen die Probleme, die wir haben, durch noch mehr Regulierung in den Griff zu bekommen und merken gar nicht, dass diese Regeln kontraproduktiv sind. Wenn wir Wachstum wollen, geht das nur über Liberalisierung und Deregulierung.
Die neue EU-Kommission ist das richtige Signal dafür?
Es geht weder in Brüssel, noch in Österreich in diese Richtung. Hierzulande gibt es ja eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Entbürokratisierung und Deregulierung beschäftigt.
Von Michael Spindelegger initiiert.
Ich denke schon, dass diese Gruppe zu Ergebnissen kommen könnte. Was nicht angegangen wurde, ist eine große Verwaltungs- und Verfassungsreform.
Hätten Sie einen konkreten Reformvorschlag anzubieten?
Wir könnten etwa die Bezirke von 95 auf 35 reduzieren. Und dann kommt die Frage des Föderalismus. Prinzipiell kann ein föderaler Staat genauso funktionieren wie ein zentraler. Was wir in Österreich haben, ist aber ein Mittelding. Und dieses Mittelding funktioniert auf die Dauer nicht. Wir haben sehr viele Pflichten beim Bund und sehr viele Rechte bei den Ländern. Man muss sich irgendwann für die eine oder andere Variante entscheiden.
Also könnten wir einen Föderalismus wie in der Schweiz auch in Österreich leben?
Ja, nur fürchte ich, dass wir demokratiepolitisch nicht so weit sind wie die Schweiz.
Wäre nicht die erste Lektion dahingehend, dass man die Bürger mehr in die Verantwortung nimmt?
Ja, und da könnte man in der Gemeinde beginnen. Die Gemeinde könnte die Bürgerinnen und Bürger fragen: Wollt ihr etwa ein neues Kulturzentrum? Wenn ihr es wollt, müsst ihr es bezahlen. Diese Verantwortung muss der Bevölkerung nahe gebracht werden.
Sie würden also befürchten, dass eine Volksabstimmung über eine sechste Urlaubswoche hierzulande nicht wie in der Schweiz mit einem klaren Nein beantwortet werden würde.
Ich glaube nicht, dass dies in Österreich mit so großer Mehrheit abgelehnt werden würde.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Ukraine?
Ich bin kein Politiker, aber ich glaube, dass hier von Anfang an sehr vieles falsch gelaufen ist. Wir haben als Europa den Menschen in der Ukraine Hoffnungen gemacht, die wir nie einhalten konnten. Wenn man bedenkt, dass ein großer Anteil der Exporte der Ukraine nach Russland geht, frage ich mich: Wie soll das wirtschaftlich überhaupt funktionieren, wenn Russland nichts mehr abnimmt?
Waren die Sanktionen gegen Russland richtig?
Ich bin der Überzeugung, dass Sanktionen nur die ärmere Bevölkerung treffen. Sanktionen sind nicht der richtige Weg, um diese Krise zu lösen.
Im Iran haben die Sanktionen, die dort die Bevölkerung vermutlich noch härter getroffen haben, doch zum Einlenken der Machthaber geführt.
Ich glaube aber nicht, dass man den Iran mit Russland vergleichen kann.
Es zeigt zumindest, dass Sanktionen auch funktionieren können.
Und wie viele Jahre hat das im Iran gedauert? Zwanzig? Und glauben wir, dass wir solche Sanktionen mit Russland auf Dauer durchhalten?
Sie hätten sich mehr Diplomatie ganz zu Beginn der Krise erhofft?
Schaun Sie, ich bin kein Politiker.
Aber Sie sollen ganz gute Kontakte in die Politik haben, hört man.
Ja, aber nicht zu jenen Leuten, die hier die Entscheidungen treffen. Das sind ja nicht die österreichischen Politiker.
Spüren einzelne Industriebetriebe – abgesehen von der Kurzarbeit bei MAN – die Sanktionen bereits?
Selbstverständlich. Ich bin ja mit meinem Unternehmen selber ein Leidtragender dieser Situation. Wir sind aber nicht diejenigen, die sagen: Wir wollen jetzt Subventionen haben. Denn wo beginnt man und wo hört man dabei auf?
Dann würde man voll bei den heimischen Hoteliers beginnen, wenn das Wetter schlecht ist.
Das ist eben Schicksal, ich muss das auch zur Kenntnis nehmen.
Für einen Schlanken Staat
Georg Kapsch ist seit 2012 Präsident der Industriellenvereinigung. Der 55-Jährige leitet seit 2001 die Kapsch AG. Das 1892 gegründete Unternehmen beschäftigt weltweit knapp 5500 Mitarbeiter.
In der ÖVP sorgte Kapsch mit seinen Vorschlägen zur Bildungsreform für Unmut. Er spricht sich für eine Gesamtschule aus. Die Industriellenvereinigung arbeitet aktuell an einem Positionspapier.
Verwaltung: Ginge es nach Kapsch, würden zwei Drittel der Bezirkshauptmannschaften eingespart.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)