Wirtschaftsleistung: Ein rechnerisches Wirtschaftswunder

(c) Bilderbox
  • Drucken

Eine europaweite Umstellung der BIP-Berechnung sorgt dafür, dass sich die österreichische Wirtschaftsleistung über Nacht um 9,5 Mrd. Euro erhöht. Das senkt auch die am BIP bemessene Staatsschuldenquote.

Wien. Über Nacht ist die Wirtschaftsleistung Österreichs um 9,5 Mrd. Euro gestiegen. Und die Staatsschulden- und Defizitquote haben sich deutlich verringert. Leider freilich nur auf dem Papier: Ab 1. Oktober wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) europaweit nach neuen Standards (ESVG 2010) berechnet. Und die ergeben eben höhere Werte als das Rechenwerk nach dem bisher in Gebrauch stehenden ESVG 1995 (ESVG steht für Europäisches System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung).

So gut wie alle europäischen Staaten weisen also ab sofort eine höhere Wirtschaftsleistung aus (die USA haben schon früher umgestellt). Das wird jetzt zwar keine rechnerische Scheinkonjunktur auslösen, denn die Vergleichswerte werden nach dem neuen System „rückgerechnet“ (siehe Grafik). Aber einen angenehmen Nebeneffekt hat die neue Methode für die schuldengeplagten Euroländer dennoch: Ist das BIP höher, dann sinken die am BIP bemessenen Staatsschulden und Defizitquoten. Die Statistiker bewirken also, dass sich die Maastricht-Kriterien wieder ein bisschen leichter einhalten lassen.

Um wie viel die österreichische Staatsschuldenquote durch die BIP-Neuberechnung sinkt, wollte Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer bei der Präsentation des neuen Rechenwerks Montagabend noch nicht sagen: Das werde in der kommenden Woche bekannt gegeben.

Schuldenquote würde explodieren

Rechnen wir also selbst, so schwer ist das ja nicht: Ende 2013 hat Österreich bei einem nach der alten Methode errechneten BIP von 313,1 Mrd. Euro eine offizielle Staatsschuld von 233,3 Mrd. Euro ausgewiesen. Ergibt eine Staatsschuldenquote von 74,5 Prozent. Nach der neuen Berechnung wäre das BIP bei 322,6 Mrd. Euro gelegen. Die Staatsschuldenquote geht dadurch auf 72,3 Prozent zurück. Praktisch, nicht? Weniger gravierend wirkt sich das beim Budgetdefizit aus: Das wäre im Vorjahr nach der neuen Berechnung bei 1,55 statt bei 1,6 Prozent gelegen.

Für heuer gibt es noch keine „harten“ Zahlen für die Berechnung. Fest steht, dass das BIP langsamer als geplant wachsen wird und dass die Staatsschulden wegen der Einrechnung der Hypo-Bad-Bank und vieler ausgelagerter Schulden (ÖBB-Infrastruktur, BIG etc.) nach der alten Rechnung auf mindestens 82 bis 83 Prozent des BIPs explodieren werden. Durch die neue BIP-Berechnung könnte es „gelingen“, die Schuldenquote in die Gegend von 80 Prozent, vielleicht sogar leicht darunter zu drücken.
Das war freilich nicht die Zielsetzung für die neue Berechnungsmethode, die ja schon auf einer UN-Vorgabe aus dem Jahr 2008 datiert. Da ist es eher darum gegangen, die Berechnung global zu vereinheitlichen und den veränderten Wirtschaftsbedingungen anzupassen. Ein großer Brocken beim „BIP-Aufblasen“ durch die neue Rechenmethode ist die Klassifizierung von Forschungs- und Entwicklungsausgaben als Investitionen statt, wie bisher, als Vorleistungen. Dadurch werden die Entwicklungsaufwendungen für ein Produkt (die im Endpreis, der ins BIP eingeht, ohnehin enthalten sein sollten) diesem noch einmal BIP-erhöhend zugeschlagen.

In Österreich steigt das Bruttoinlandsprodukt dadurch um stolze 7,3 Mrd. Euro. Mit weiteren 5,5 Mrd. Euro schlägt sich eine Neuklassifizierung von Markt- bzw. Nichtmarktproduzenten zu Buche. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob ein Unternehmen dem Sektor Staat zugeschlagen wird. Das ist der Fall, wenn es weniger als 50 Prozent seiner Kosten durch Verkaufserlöse deckt. Diese Hürde verschiebt sich, weil jetzt auch Zinsen als Kosten gewertet werden.

Auf der anderen Seite bringt die Neuberechnung auch BIP-senkende Effekte. So werden etwa die bisher „unterstellten“, aber nicht bezahlten Arbeitgeberbeiträge zu den Beamtenpensionen (3,2 Mrd. Euro) neuerdings vom BIP abgezogen.



Keine Rolle spielt in Österreich ein Umstand, der in einigen europäischen Ländern für beachtliches mediales „Rauschen“ gesorgt hat: Dass nämlich nach dem ESVG 2010 auch die (naturgemäß nur geschätzten) Umsätze aus illegalen bzw. nicht rechnungslegungspflichtigen Tätigkeiten (Drogenhandel, Prostituion etc.) in die BIP-Berechnung einbezogen werden, was die Wirtschaftsleistung naturgemäß erhöht.

In Österreich wirkt das freilich nicht BIP-steigernd, weil diese „Dienstleistungen“ schon seit fünf Jahren im BIP enthalten sind. Die Statistiker nehmen das Volumen von Schattenwirtschaft und der „illegalen Produktion“ (Drogenhandel, Zigarettenschmuggel, Prostitution) mit 11,4 Mrd. Euro oder 3,7 Prozent des BIPs an. Der überwiegende Teil davon (knapp 11 Mrd. Euro) entfällt auf den Pfusch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

BIP BIP Hurra - eine Reform

Österreichs Staatsschuldenquote wurde über Nacht gesenkt. Dass wir das noch erleben durften!
Eurogeldscheine - 500 Euroscheine
Österreich

Neuberechnung: Österreichs BIP höher, aber "nicht geschönt"

Aufgrund neuer EU-Standards ist Österreichs Bruttoinlandsprodukt 2013 über Nacht um 9,5 Milliarden Euro gewachsen. Begründet wird die Neuberechnung mit veränderten Wirtschaftsprozessen.
Rome As Italy Returns To Recession In Second-Quarter
International

Italien: Drogen und Co. lassen Schuldenberg schrumpfen

Italiens Gesamt- und Neuverschuldung sind über Nacht zurückgegangen. Grund ist eine neue Berechnungsmethode des BIP.
SP�-KLUBTAGUNG: SCHIEDER / FAYMANN
New Articles

Staatsfinanzen: Steuerreform trotz Schulden

Die Regierung lässt nach der Neuberechnung nicht an der Steuerentlastung rütteln. Aber Differenzen um das Volumen bleiben.
THEMENBILD: HYPO ALPE-ADRIA-BANK
Leitartikel

Hohe Schulden, keine Reformen – bleiben wir einfach optimistisch

Ausgelagerte Schulden und Milliardenhilfen an die Banken. Langsam lichten sich die Nebel über den wahren Staatsschulden. Alles ist dies aber noch nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.