Ökonom Krämer: „Panik ist ein gutes Geschäftsmodell“

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Wir fürchten uns vor den falschen Dingen, sagt der Ökonom Walter Krämer. Und das kostet. Dabei reicht ein Blick auf die Fakten, um die Angst vor Gift im Essen oder Deflation zu zerstreuen.

Die Presse: Ich frage Sie als Statistikprofessor: Kann man Ihren Zahlen trauen?

Walter Krämer: Was meinen Sie genau mit „trauen“?

Wie vertrauenswürdig sind Statistiken? Sie selbst sagen ja: „Je mehr Daten, desto leichter lässt sich damit manipulieren und verunsichern.“ Sprechen Sie da nicht gegen Ihre eigene Zunft?

Man kann mit Zahlen und mit Text lügen, wie man will. Das ist trivial. Aber ich will mein eigenes Gewerbe nicht in Verruf bringen. Im Gegenteil. Kunstfehler sind in der Statistik leichter zu durchschauen als etwa in der Medizin. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Manipulationen überall so leicht zu durchschauen wären, wie in der Statistik.

Dennoch halten sich irreführende Zahlen hartnäckig. Vor welcher Statistik sollten wir uns derzeit denn besonders hüten?

Ich habe vor einiger Zeit die horrenden Jugendarbeitslosenquoten in Europas Südländern näher angeschaut: 60 Prozent in Griechenland, 50 Prozent in Spanien. Diese werden benutzt, um in den reichen Ländern Stimmung für Hilfszahlungen zu machen. Der Nenner dieser Zahl ist seltsam manipuliert. Die arbeitslosen Jugendlichen wurden durch die Jugendlichen geteilt, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Alle, die in Ausbildung sind oder ein Praktikum gemacht haben, waren nicht dabei. Zählt man sie dazu, ist nicht mehr jeder Zweite arbeitslos, sondern nur noch jeder Fünfte.

Sie haben 2012 auch den Ökonomenaufruf angeregt, in dem Sie mit Kollegen die Wirtschaftspolitik der EU hart kritisiert haben.

Anlass war auch da eine Art, wie mit Statistik Missbrauch betrieben wird. Da werden die Target-Zahlen, also die Kredite, die sich die südlichen Länder indirekt bei der EZB besorgen, indem sie ihre Konten überziehen, einfach nicht als Kredite ausgewiesen. Dabei sind es riesige Kredite, die etwa Deutsche im Umfang von 500 Mrd. Euro den Südländern geben. Sie sind durch nichts gedeckt.

Viel Chancen, sich zu wehren, gibt es nicht. Der Ökonomenbrief hat nichts geändert.

Die Eurokrise ist sediert worden, damit keiner mehr laut schreit. Aber das Übel ist nicht aus der Welt. Das trifft auch Österreich. Auch Ihr Land hat einen Leistungsbilanzüberschuss und damit Forderungen an das Ausland. Eines Tages werden Sie merken, dass sie dem Ausland die Exporte geschenkt haben.

Sie untersuchen auch die Ökonomie der Angst. Was kann man darunter verstehen?

Es ist ein trauriges Phänomen, dass viele unserer Reaktionen auf Gefahr und Risiko Erbschaften der Affen im Urwald sind. Unser Verhalten bei Angst und Risken ist genetisch programmiert und heute oft irrational. Wir haben vor den falschen Dingen Angst. Wir laufen vor Dingen davon, die uns vor einer Million Jahren bedroht haben. Das ist teuer und ineffizient.

Wovor fürchten wir uns denn zu sehr?

Gift in Lebensmitteln. Vor drei Jahren gab es die Dioxinpanik. Einen Monat lang schrieben alle, dass wieder Dioxin gefunden wurde, wieder eine Schweinefarm geschlossen, wieder ein Hühnerstall aus dem Verkehr gezogen wurde. Dann kam raus: Es gab nie die geringste Gefahr. Das Dioxin, das gefunden wurde, war in Millionstelgramm in Eiern vorhanden. In normalem Ostseefisch ist dreimal mehr drin. Aber sobald etwas gefunden wird, geraten Leute in Panik und fragen nicht, ob es auch gefährlich ist. Panik ist ein gutes Geschäftsmodell. Was etwa die Zeitschrift „Ökotest“ macht, ist kriminell. Sie finden ständig etwas und sagen oft nicht dazu, ob das den Grenzwert überschreitet oder nicht. Leider fallen viele Leute darauf herein.

Inwiefern stehen uns da die Gene im Weg?

Im Urwald hat man Gift im Essen nur entdeckt, wenn man daran gestorben ist. Nur die Leute, die Angst vor Gift im Essen hatten, haben sich vermehrt. Und diese Angst haben wir heute noch. Wir sind die Kinder derer, die panische Angst vor Gift im Essen hatten. Angst zu haben war historisch sehr wertvoll. Die Dinge, vor denen wir damals Angst hatten, sind heute aber nicht mehr gefährlich.

Teilen alle Menschen dieselben Ängste?

Nein. Als mein Kollege das erste Mal in den USA zu Weihnachten eingeladen war, waren die Amerikaner entsetzt, als er Wachskerzen auf den Baum stecken wollte. Das sei doch viel zu gefährlich. Unter dem Christbaum lag für den zwölfjährigen Sohn aber eine nagelneue Winchester-Rifle mit echter Munition. Davor haben sie keine Angst. Aber Wachskerzen sind Teufelszeug.

Sie sagen, diese irrationale Sorge kostet viel. Lässt sich das beziffern?

Bei der BSE-Panik Anfang des Jahrtausends haben wir 1,5 Mrd. Euro für nichts und wieder nichts ausgegeben. Für die Tötung völlig gesunder Kühe, die Schließung von Bauernhöfen, die ungefährdet waren.

Im Moment wird in Europa Angst vor einer Deflation geschürt. Zu Recht?

Nein, die Leute haben da den falschen Preisindex im Auge. Sie schauen auf den Preisindex für die Lebenshaltung. Da sind aber nur Konsumgüterpreise drinnen. Investitionsgüter, Immobilien und Kunst bleiben außen vor. Und sie steigen. Deflation ist Kokolores. Die Preise steigen im Euroraum gewaltig.

Ist die Stimulationspolitik der EZB also kontraproduktiv?

Mario Draghi (EZB-Präsident; Anm.) ist der bezahlte Handlanger der Großbanken, der auf Teufel komm raus deren Investitionen sichern will. Er war lange bei Goldman Sachs und weiß, für wen er wirklich arbeitet. Als EZB-Chef ist er eine glatte Fehlbesetzung.

Was bedeutet das für normale Bürger?

Vertrauen Sie nicht auf Ihre Altersvorsorge und Pension. Kaufen Sie sich ein Häuschen, wenn sie noch keines haben.

Beruhigt Geld allein nicht ausreichend?

Nein. Geld kann auch wertlos werden.

Eines muss man Draghi zugutehalten. Die Sorge um den Euro ist fast verschwunden.

Kurzzeitig. Aber man kann eine Krankheit nicht ewig verdecken. Solange die Südländer nicht in der Lage sind, ihre Schulden ehrlich zu begleichen, bleibt die Sorge bestehen.

Halten Sie wirklich griechische Anleihen?

Ja, als Experiment. Was da passiert ist, ist abenteuerlich. Die Anleihe wurde halbiert, die Laufzeiten wurden verlängert. Eine Tranche wäre 2016 fällig gewesen, Nennwert 100 Euro. Nun ist sie im Jänner 2042 fällig, Nennwert 3000 Euro. An der Börse bekomme ich heute 40 Euro dafür: gerade ein Prozent des Werts.

ZUR PERSON

Walter Krämer (*1948) ist Professor für Statistik an der TU Dortmund. Vor zwei Jahren führte er den „Ökonomenaufruf“ an und kritisierte gemeinsam mit Kollegen die Wirtschaftspolitik der EU scharf.


In seinen Büchern entlarvt er, wie Menschen durch manipulierte Statistiken in die Irre geführt werden. Sein jüngstes Werk, „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ (Campus-Verlag, 2014), widmet er der Ökonomie der Angst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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