Aiginger: "Grauslich, wie Finanztransaktionssteuer gekillt wurde"

Karl Aiginger
Karl AigingerDie Presse (Clemens Fabry)
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Der Ökonom fordert eine neue EU-Industriepolitik. Finanziert werden soll diese unter anderem durch eine Kürzung der Militärausgaben.

"Wir sind in einer kritischen Situation", warnt Wifo-Chef Karl Aiginger vor einem Zurückfallen Europas im internationalen Vergleich. Die Langfristziele, die sich die EU für 2020 gesteckt hat, würden nicht erreicht - wenn nicht noch im laufenden Jahr das Steuer herumgerissen werde, so der Ökonom am Dienstagabend in Brüssel.
 Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage seien jedoch kurzfristige Maßnahmen gefragt, so Aiginger. "Es muss heuer etwas geschehen", so Aiginger.

Armut gestiegen

So könnten etwa bereits bewilligte Großprojekte finanziell aufgestockt werden. "Es wird in der Binnennachfrage etwas geschehen müssen", so Aigner. Denn bereits jetzt lasse sich sagen, dass das EU-Beschäftigungsziel für 2020 nicht erreicht werde, die Armut anstatt zu fallen gestiegen sei und die nationalen Ziele in Umwelt, Industrie und Budget sich teils widersprächen.

Als positive Signale könne man hingegen den stabilen Euro, die niedrigen Zinsen für Problemländer und den Neustart einer selbstbewussteren Kommission unter Jean-Claude Juncker werten.

Die EU müsse angesichts niedriger Lohnkosten in den Schwellenländern und der billigen Energie in den USA eine neue Industriepolitik zu entwickeln. Die Einkommensunterschiede müssten verringert und eine absolute Reduktion von Energie- und Materialverbrauch erreicht werden. Ziel sei ein Wachstumskurs auf der Basis von sozial-ökologischen Faktoren. Die Wettbewerbsfähigkeit müsse steigen, wobei es hier nicht primär um einen preislichen Vorsprung gehen könne: "Wettbewerbsfähigkeit ist die Fähigkeit, gesellschaftliche Ziele zu erreichen."

Militärsysteme um "100 Milliarden zu teuer"

Woher die Mittel für einen radikalen Schwenk kommen sollen, ist für Aiginger bereits klar: "Die 28 nationalen Militärsysteme sind um 100 Milliarden Euro zu teuer." Auch die Subvention fossiler Energien in ähnlicher Höhe und die Förderung von Agrargroßbetrieben müsse angegangen werden, was ebenso für die Unterbindung von Steuervermeidung gelte. Und schließlich sei eine substanzielle Finanztransaktionssteuer gefragt, die leider derzeit nicht in Aussicht sei. "Es ist grauslich, wie die Idee der Finanztransaktionssteuer in Europa gekillt wurde", ärgerte sich Aiginger.

Dennoch behalte er seinen Optimismus: "Europa hat das Potenzial, zum besten sozioökonomischen Modell in der Welt zu werden."

Russischen Raum nicht aus den Augen verlieren

Dabei dürfe Europa die Einbindung seiner Nachbarn nicht aus den Augen verlieren. So sinke der Anteil des Euroraums am Welt-BIP zwischen 2010 und 2050 von 17,4 auf 9,5 Prozent. Rechne man die Nachbarn wie den Maghreb oder den russischen Raum hinzu, betrage der Rückgang hingegen lediglich zwei Prozentpunkte von 30 auf 28 Prozent.

"Europa ist ein Erfolgsmodell in der Midlife Crisis", meint Aiginger. Deshalb müsse eine Vision gefunden werden, damit die Tagespolitik nicht die Überhand gewinne. "Europa war immer dann erfolgreich, wenn es wusste, was es wollte", so der Wirtschaftsforscher. Aiginger arbeitet deshalb mit dem Wifo seit 2012 im Rahmen des auf vier Jahre angelegten Projekts "Welfare, Wealth and Work for Europe" an einer Zukunftsstrategie für die EU bis zum Jahr 2050. Dabei koordinieren die Wiener 33 Partner aus zwölf Ländern.

(APA)

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