Steuern: Österreich ist reif für den Nobelpreis

FRANCE NOBEL PRIZE ECONOMICS
FRANCE NOBEL PRIZE ECONOMICSAPA/EPA/XAVIER DE FENOYL
  • Drucken

Wirtschafts-Nobelpreisträger Jean Tirole fordert Steuern für Firmen, die Mitarbeiter entlassen. Österreich ist weit voraus. Hier kostet seit 2013 jede Kündigung Auflösungsabgabe.

Wien. So ein Nobelpreis ist eine tolle Sache, selbst wenn es sich dabei – wie beim Wirtschaftsnobelpreis – nur um einen von der Schwedischen Reichsbank gestifteten Ableger handelt. Das Tolle daran: Was auch immer der Geehrte von diesem Moment an öffentlich sagt, wird plötzlich relevant. Ganz egal, wieviele Jahre die Herren (und seltener Damen) diese Würde schon mit sich herumtragen. Und ganz egal, ob ihre Idee dann wirklich noch so gut ist, wie jene, für die sie ausgezeichnet wurden.

Der jüngste Ökonom in der Riege der Wirtschafts-Nobelpreisträger, der Franzose Jean Tirole, hat noch nicht mit Altersschwäche zu kämpfen. Aber auch er hat in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine kontroversielle Idee ausgepackt, die er vor Jahren (im stillen Kämmerlein der Toulouse School of Economics) erarbeitet hat: Unternehmen, die Mitarbeiter kündigen, sollen eine eigene Steuer bezahlen, forderte der Forscher.

115 Euro für jede Kündigung

Unternehmer, die jetzt kopfschüttelnd „typisch Frankreich“ sagen wollen und sich freuen, im eigenen Land vor solchen Ideen bewahrt zu werden, seien gewarnt: Erstens ist der Gedanke, wie Tirole ihn formuliert, wissenschaftlich fundiert und diskutabel. Und zweitens: Österreich ist dem Ökonomen längst einen fatalen Schritt voraus.

Denn hierzulande ist die Tirole-Steuer für Entlassungen seit Anfang 2013 Realität. 115 Euro mussten Unternehmer heuer bezahlen, wenn sie sich von einem Mitarbeiter trennen wollten. Sollte sich also just das alte Regierungs-Duo Faymann/Spindelegger, die oft für ihre Wirtschaftsferne gescholten wurden, als regelrechte Vordenker in Sachen Ökonomie erweisen? Ist Österreich, oder besser die österreichische Regierung, überreif für den Wirtschaftsnobelpreis?

Weit entfernt vom Original

Ganz so rosig sind die Aussichten für die Spitzenpolitiker leider nicht. Denn die Wiener Variante hat mit dem Grundgedanken des französischen Originals nicht mehr viel zu tun. Da wäre etwa Grundsatz Nummer eins, den Tirole vertritt: Die Steuer müsse aufkommensneutral sein, also keine zusätzliche Belastung für Firmen bedeuten. Die Regierung hätte also im Gegenzug für die Auflösungsabgabe andere Belastungen streichen müssen. Hätte.

Auflösungsabgabe dürfte fallen

Der Grundthese von Tirole kann man durchaus etwas abgewinnen: Wenn ein Unternehmen heute Mitarbeiter entlässt, verursacht es Kosten für die Arbeitslosenversicherung. Die tragen all jene Unternehmen, die noch Mitarbeiter beschäftigen. Die Firmen, die viel Personal haben, bezahlen also im Grunde für jene, die ihre Angestellten feuern. Mit einer entsprechenden Abgabe könnten die Lasten besser verteilt werden, sagt er.

Wegen 115 Euro wird sich aber kaum ein Unternehmen in Österreich ernsthaft entscheiden, einen ungeliebten Mitarbeiter doch noch zu halten. Was bleibt, ist eine Bagatell-Abgabe, die Firmen ärgert und die Staatskasse etwas auffettet.

Ein allzu langes Leben hat die Auflösungsabgabe aber vermutlich ohnedies nicht mehr. Das Sozialministerium verhandelt mit den Sozialpartnern über das sogenannte Bonus-Malus-System, das Unternehmen vorschreiben soll, wieviele ältere Mitarbeiter sie beschäftigen müssen. Der Plan stößt auf wenig Gegenliebe, doch langsam zeichnet sich ein Kompromiss ab – wenn die Nobelpreis-Steuer fällt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.