Leitl: „Ich gehe nicht von einer Rezession aus“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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WKÖ-Präsident Leitl im Gespräch mit der "Presse" über Koalitionen, EZB-Versagen und teure Strom-Monopole.

Die Presse: Die Regierung legt sich jetzt auf eine österreichische Sperrminorität bei der AUA fest. Ist so etwas sinnvoll?

Christoph Leitl: Ich begrüße das, weil es sich bei der AUA nicht um ein normales, sondern um ein für den Standort wichtiges Unternehmen handelt.Es ist sozusagen ein Teil unserer Infrastruktur. Österreich hat sich in Osteuropa, im arabischen Raum und in den GUS-Staaten eine hervorragende Position geschafft. Und zu guten Wirtschaftsbeziehungen gehören gute Verkehrsverbindungen.

Dazu braucht man Einflussnahme auf eine Fluggesellschaft?

Leitl: Wenn man die Sperrminorität nur dazu verwendet, diese Infrastrukturaufgabe im Auge zu haben, wäre selbst eine von der ÖIAG gehaltene Beteiligung in Ordnung. Wenn sich jetzt eine österreichische Gruppe findet, die diese Kernaktionärsfunktion im Sinne des Standorts übernimmt, dann ist das ein ausgesprochen gutes Ergebnis.

Nicht nur bei der AUA, auch in anderen Streitpunkten – etwa bei der Pflege oder dem verpflichtenden Kindergartenjahr – gewinnt man langsam den Eindruck, als würde die Koalition erst richtig funktionieren, seit sie zerbrochen ist.

Leitl: Ja, den Eindruck habe ich auch. Das ist wie bei einem Ehepaar, das sich nach der Scheidung besser versteht als vorher. Ironisch könnte man sagen, schade, dass die Scheidung nicht früher erfolgt ist. Dann wären einige Probleme noch weitergebracht worden, die jetzt nicht mehr weitergebracht werden können.


Wenn man sich die jüngsten Umfragen anschaut, müssen sich die beiden Koalitionspartner ohnehin zusammenraufen, oder das Land wird unregierbar. Sehen Sie dafür Chancen?

Leitl: Offensichtlich ist man durch die massive Reaktion der Bevölkerung ein bisschen zur Besinnung gekommen. Die Bevölkerung hat diese Vorkommnisse ja überhaupt nicht goutiert und sie nicht als professionell und verantwortungsvoll empfunden. Vielleicht führt das dazu, dass die bestehende Regierung noch ein paar Dinge erledigt und die Legislaturperiode nicht so desaströs beendet, wie es vor ein, zwei Wochen noch ausgesehen hat.

Welche Koalitionsvariante würden Sie denn für die nächste Legislaturperiode bevorzugen?

Leitl: Wie es aussieht wird keine Zweier-Koalitionsvariante eine Verfassungsmehrheit haben. Damit hat schon jede künftige Regierung eine bequeme Ausrede dafür, wieso sie die großen Brocken im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich und bei der Verwaltungsreform nicht angehen kann. Diese Chancen hat leider die jetzige Koalition vergeben. Vor dem Vorliegen des Wahlergebnisses sind alle künftigen Varianten reine Spekulation, an der will ich mich nicht beteiligen.

Wie schätzen Sie denn die wirtschaftliche Lage ein? Steuern wir auf eine Rezession zu?

Leitl: Ich gehe nicht von einer Rezession aus, aber die Zeiten werden härter. Große Wachstumsraten und Beschäftigungszuwächse gehören der Vergangenheit an, wir werden uns in Zukunft noch mehr anstrengen müssen. Und wir brauchen dazu auch eine Regierung, die ein zuverlässiger Partner der Wirtschaft ist. Wir werden jede künftige Koalition danach beurteilen, ob sie eine solche Partnerschaft gewährleisten kann.

Wenn Sie sehen, wie die EZB auf die Weltwirtschaftskrise reagiert – beruhigt Sie das?

Leitl: Nein, überhaupt nicht. Die EZB ist völlig verkehrt gestrickt. Sie versucht, eine internationale Inflation europäisch zu bekämpfen, indem sie die Zinsen erhöht und damit das ohnehin schwache Wachstum weiter eindämmt. Sie steht damit im Gegensatz zu den Wachstumszielen der Europäischen Union und überlässt freiwillig wichtige Exportmärkte den Amerikanern. Was daran sinnvoll sein soll, kann ich wirklich nicht erkennen.

Die EZB ist eben auf Inflationsbekämpfung fixiert.

Leitl: Wenn ich sehe, dass wir in Europa vier Prozent Inflation haben und in Amerika fünf Prozent, dann kann diese geringfügige Differenz die ungeheuren Kosten, die mit der EZB-Politik verbunden sind, nicht rechtfertigen.

Soll die EZB also ihr Stabilitätsziel aufgeben?

Leitl: Nein, überhaupt nicht. Sie soll aber diese irrsinnige Strategie der Zinserhöhungen aufgeben und ein Zinssenkungssignal beispielsweise von einem Viertelprozent machen. Das wäre psychologisch wichtig. Und es kann mir niemand einreden, dass wegen einem Viertelprozent die Inflation steigt. Die Amerikaner sind mit den Zinsen herunter, die Europäer hinauf, und die Inflation ist fast gleich. Man muss also sagen: Von den Ergebnissen her ist die EZB gescheitert.


Heizen die Notenbanken mit ihren Geldspritzen für die Banken die Inflation nicht zusätzlich an?

Leitl: Ich bin kein Freund von staatlichen Finanzspritzen, die Notenbanken tun das aber, um das sehr komplexe Welt-Finanzsystem vor einer großen Krise zu retten, die auch die Gesamtwirtschaft schwer treffen würde. Aber natürlich muss man sich fragen: Was haben denn die Rating-Agenturen gemacht? Welchen Sinn haben sie? Was machen eigentlich all die Finanzmarktaufsichten? Wie steht es mit der Verlässlichkeit im Finanzsystem? Es sind ja vor allem die kleinen Betriebe, die über höhere Zinsen dafür die Zeche zahlen.

In Österreich versucht man jetzt, die Inflation für den Einzelnen etwas abzumildern. Sind diese Maßnahmen über einen kurzfristigen Effekt hinaus überhaupt wirksam?

Leitl: Durch die geplanten Maßnahmen, etwa das Molterer-Paket, gibt der Staat den Bürgern eigentlich nur das zurück, was er vorher an Kaufkraft abgeschöpft hat. Der Staat schneidet allein durch die international bedingten Energiepreissteigerungen heuer zusätzlich 800 Millionen Euro ab. Der Staat ist ein Inflationsgewinner, da kann er einen Teil zurückgeben.

Der Inflationsausgleich kommt ohnehin bei den Lohnverhandlungen auf den Tisch.

Leitl: Aber es wird da viel Druck aus den Lohnverhandlungen genommen. Das Molterer-Paket nimmt aus den Lohnverhandlungen ungefähr ein Prozent heraus. Damit kann man wie in den vergangenen Jahren eine Lohnrunde mit Augenmaß machen. Und wir verhindern, dass es zu einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale kommt.

Wenn man Kaufkraft zurückgeben will, könnte man ja gleich die Steuerreform vorziehen.

Leitl: Wenn man Kaufkraft zurückgibt, sollte man es dort tun, wo die Kaufkraft am meisten ins Gewicht fällt. Eine Steuerreform hat darüber hinaus ja andere Ziele, nämlich eine strukturelle nachhaltige Verbesserung von Zuständen und Nutzung von Chancen.

Das heißt konkret ...

Leitl: ...dass bei einer künftigen Steuerreform etwa die Benachteiligung der Selbstständigen bei der Sechstelbegünstigung (13./14. Monatsgehalt, Anm.) wegfällt, dass österreichische Spezialsteuern wie die Werbeabgabe oder die Kreditgebühr wegfallen. Ich möchte, dass die Kfz-Steuern gesenkt werden. Ich möchte attraktive steuerliche Anreize für die Mitarbeiterbeteiligung und die Weiterbildung älterer Arbeitnehmer. Eine Steuerreform soll strukturell wirken. Daher gehört sie gut und klug vorbereitet.

Die Teuerung hat nicht nur externe Ursachen, sondern hängt auch mangelndem Wettbewerb im Inland – Stichwort Stromwirtschaft – zusammen. Was sollte man denn da unternehmen?

Leitl: Ganz einfach: Wir haben einen Energiekontrollor, aber wir haben ihm keine Werkzeuge für seine Arbeit in die Hand gegeben. Das muss nachgeholt werden. Der Energieregulator braucht solche Werkzeuge dringend. Derzeit wird er von dem Stromgesellschaften am Nasenring durch die Arena gezogen. Damit kann er seiner Aufgabe nur sehr unvollständig nachkommen. Dass es ihm dennoch gelungen ist, die Durchleitungstarife um 150 bis 180 Millionen Euro abzusenken, ist angesichts der schwachen Instrumente, die er hat, geradezu erstaunlich, zeigt aber, welch großes Potenzial noch drinnen wäre, wenn man ihm eine stärkere Stellung gibt.

Da ist wohl der Gesetzgeber gefordert.

Leitl: Ja, da ist der Gesetzgeber gefordert. Auch wenn der Staat da gegen seine finanziellen Interessen handelt, weil die großen Profiteure derzeit ja die überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Stromgesellschaften sind. Wir haben den Standortvorteil der billigen Stromerzeugung aus Wasserkraft. Da sollte sich der Strompreis nicht nach irgendwelchen manipulierten Strombörsen richten, sondern nach den hiesigen betriebswirtschaftlichen Bedingungen.

auf einen blick

Die Regierung arbeitet besser, seit sie geplatzt ist, findet Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Auf Spekulationen über künftige Koalitionen will er sich nicht einlassen.

Die Europäische Zentralbank ist nach Ansicht Leitls mit ihrer Zinserhöhungspolitik gescheitert. Sie sollte aus psychologischen Gründen ein Zinssenkungssignal aussenden.

Der Stromwirtschaft mangelt es nach Ansicht des WKÖ-Präsidenten an Wettbewerb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2008)

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