Hella-Chef Kraler: "Ich will gar keinen Ferrari fahren"

Franz Kraler
Franz KralerNorbert Rief
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Die Firma Hella ist einer der führenden Hersteller von Jalousien und Rollos. Eigentümer Franz Kraler erklärt, warum man trotzdem in Osttirol bleibt und warum man noch nie Gewinn ausgeschüttet hat.

Hella macht fast 200 Millionen Euro Umsatz im Jahr, Sie haben europaweit 1500 Mitarbeiter – und die Firmenzentrale ist ausgerechnet in Abfaltersbach in Osttirol. Viel weiter weg von allen wirtschaftlichen Zentren kann man kaum sein.

Franz Kraler: Das ist richtig. Aber mein Vater war Bürgermeister von Abfaltersbach und wollte immer Arbeitsplätze in die Gemeinde bringen. Als er mit seinem Freund Franz Aichner 1959 den Rollo- und Jalousienhersteller Hella aus der Insolvenz übernommen hat, hat er die paar Maschinen und Materialien aus der Konkursmasse nach Abfaltersbach gebracht. Hier haben wir mit zwei Mitarbeitern im Jugendheim angefangen, und im Lauf der Jahre sind wir halt gewachsen.

Hat man im Zug des starken Wachstums nie überlegt, woanders hinzugehen?

Natürlich haben wir ein logistisches Problem durch den Standort. Das wird aber ausgeglichen durch die sehr engagierten, fleißigen Mitarbeiter. Sie sind Tag und Nacht für das Unternehmen da, wenn man sie braucht. Das hat sicher auch mit der Einstellung und dem Lebensstil in Osttirol zu tun.

Ist es schwer, hier in der Gegend gute Mitarbeiter zu finden?

Wirklich gute Mitarbeiter zu bekommen ist schwer. Aber es ist auch schon schwer, normale Mitarbeiter zu bekommen. Wir haben in Osttirol eine Arbeitslosenrate von nahezu zehn Prozent, aber wir finden trotzdem kaum männliche Hilfskräfte.

Weil man als Arbeitsloser und mit Pfusch wahrscheinlich gleich viel oder mehr verdient als als Hilfskraft.

Ja, vielleicht so etwas in diese Richtung, ich will das nicht so sagen. Aber wenn man eine solche Arbeitslosenrate hat und trotzdem keine Arbeiter bekommt, dann gibt es vermutlich einen gewissen Missbrauch des Sozialsystems. Diese Entwicklung macht uns als Unternehmen zunehmend Sorge, da muss die Politik gegensteuern.

Apropos: Unternehmer kritisieren immer wieder die hohen Arbeitskosten in Österreich. Gab es nie die Versuchung, die Produktion von Osttirol in billigere Länder, nach Osteuropa oder China etwa, zu verlagern, um höhere Margen zu erzielen?

Überlegungen gab es schon. Aber unsere Grundstrategie ist es, in Abfaltersbach mindestens die aktuelle Mitarbeiterzahl zu halten. Allerdings kann man manche Produkte, die ein Zusatz zu unseren bestehenden Produkten sind, mit den derzeitigen Lohnkosten einfach nicht in Österreich fertigen. Diese Produkte stellen wir schon jetzt teilweise in Tschechien her, etwa textile Innenbeschattungen.

Wenn man in so einem abgelegenen Tal produziert, umfasst die Managerverantwortung dann auch soziale Verantwortung gegenüber der lokalen Bevölkerung?

Natürlich. Wenn man so viele Arbeitsplätze bietet, 560 sind es aktuell, dann hat man auch Verantwortung gegenüber der Region. Als wir die 50 Prozent von Franz Aichner übernommen haben und Hella ganz in unserem Besitz war, hat mir mein Vater gesagt: Du bist nicht Eigentümer des Unternehmens, du bist Verwalter des Unternehmens. Deine Aufgabe ist es, die Firma in eine gute Zukunft zu führen und auf die Mitarbeiter zu schauen. Deshalb werden wir, solange wir noch ein paar Euro Gewinn machen, auch in Abfaltersbach produzieren.

Der Umsatz von Hella hat sich in den vergangenen 14 Jahren fast vervierfacht. Wie ist es dazu gekommen?

Wir hatten von 1996 bis 1999 eher eine stagnierende Entwicklung – auf hohem Niveau, aber es war zu wenig Entwicklung in die Zukunft. Die Frage war, ob wir zurückgehen auf unseren Kernbereich, ob wir also im Nischenbereich bleiben oder ob wir expandieren. Wir haben uns in einer Konzernklausur einstimmig für die Expansion entschieden. Es gab eine klare Wachstumsstrategie und das Ziel, hohe Stückzahlen zu produzieren, damit wir eine entsprechende Wertschöpfungstiefe erreichen und dadurch europaweit konkurrenzfähig mitspielen können. Weil das zu langsam ging, haben wir unter anderem in Deutschland und Italien Firmen übernommen.

Dass Billigkonkurrenz aus China die ganze Strategie zunichtemacht, davor fürchten Sie sich nicht?

Es gibt schon Billigprodukte in Österreich und Deutschland. Unsere Produkte schauen vielleicht sehr einfach aus, aber dahinter steckt in der Fertigung eine hohe Komplexität. Das ist eine Maßschneiderei, die wir betreiben. Das Problem ist teilweise, dass wir neue Produkte entwickeln, und andere kopieren sie und bauen sie nach. Aber die Qualität unterscheidet uns.

Gab es jemals die Überlegung, mit dem Unternehmen an die Börse zu gehen?

Eigentlich nicht. Aus dem einfachen Grund, dass unsere Philosophie eine ganz andere ist. Börsenotierte Unternehmen sind in der Regel auf kurzfristige Profite ausgerichtet, das liegt uns als Familienbetrieb absolut fern. Wir denken langfristig und in größeren Dimensionen. Für uns war klar, dass wir die Firma in der Familie behalten, solange wir sie selbst finanzieren können. Wir nehmen auch nichts aus dem Unternehmen heraus, alles wird wieder investiert.

Sie haben sich noch nie einen Gewinn ausgeschüttet?

Nein, mit Ausnahme des Unternehmerlohns ist immer alles investiert worden. Mein Sohn arbeitet im Unternehmen und bekommt dafür ein ganz normales Gehalt. Eine meiner Töchter ist Ärztin, eine andere Landschaftsgärtnerin, eine Betriebswirtin. Sie verdienen alle ihr eigenes Geld, da gibt es keine Notwendigkeit für eine Gewinnausschüttung.

Haben unterschiedliche Länder bei Rollos und Jalousien unterschiedliche Ansprüche? Die US-Amerikaner verwenden ja beispielsweise kaum Außenrollos.

Ja, die Amerikaner haben in erster Linie Innenjalousien als Sichtschutz. Die Italiener dagegen verwenden Außenrollos als Schutz gegen die Hitze. In den USA entdeckt man das erst langsam, da gibt es große Zukunftschancen für uns. Die Franzosen haben wieder ganz eigene Vorstellungen, wie Aufsatzsysteme auszusehen haben, und sie haben auch eine andere Architektur. Auch die Italiener, was Markisen betrifft. Wir müssen unsere Produkte in Funktion und Aussehen entsprechend anpassen, das macht die Herstellung komplexer und zu einer Herausforderung.

Mit Interesse habe ich in der Produktion gesehen, dass Hella verstärkt Insektenschutz anbietet. Wird das auch in unseren Breiten zu einem Problem?

Das ist ein Phänomen der vergangenen fünf bis sieben Jahre. Die Entwicklung hängt mit Sicherheit mit dem Temperaturanstieg bzw. mit der Klimaveränderung zusammen: Die Sommer werden wärmer und feuchter, und die Insektenplage wird größer. Insektenschutz ist für uns neben Sonnen- und Wetterschutz auf jeden Fall zu einem guten Zusatzprodukt geworden.

Wo geht es noch hin, wo sehen Sie das Unternehmen in fünf beziehungsweise zehn Jahren?

Wir haben nicht den Anspruch, das größte Unternehmen Europas oder der Welt zu werden. Wir wollen dem Kunden eine hervorragende Dienstleistung bieten und ein gutes Produkt mit hohem Nutzen, hoher Qualität und mit hoher Kompetenz. Europa wird nicht mehr weiterwachsen, es wird einen Verdrängungswettbewerb geben und einen harten Konkurrenzkampf. Wir wollen uns vom Kuchen ein größeres Stück abschneiden, und das geht nur mit höchster Kompetenz und entsprechender Konkurrenzfähigkeit.

Sie haben die Firma mittlerweile an Ihre vier Kinder übergeben. War es schwer loszulassen, wenn man das Unternehmen von einer kleinen Osttiroler Firma zu einem großen Konzern aufgebaut hat?

Ich hatte 2004 eine schwere Krankheit. Da war für mich klar, dass ich die Nachfolge regeln muss. Er ist mir eigentlich leichtgefallen, weil ich es den Kindern damals beim Notar zwar überschrieben, mir aber noch Entscheidungsmacht ausbedungen habe. Um Kontinuität zu bewahren, habe ich auch unseren gesamtverantwortlichen Geschäftsführer, Martin Troyer, am Unternehmen beteiligt. Mittlerweile trifft das Management alle wesentlichen Entscheidungen, eigentlich würde es mich gar nicht mehr brauchen.

Ich muss noch einmal auf Abfaltersbach zurückkommen: Ein Problem einer so kleinen Gemeinde ist doch auch, dass man sich als erfolgreicher Unternehmer keinen Ferrari kaufen kann, weil sich sonst das ganze Dorf den Mund zerreißt.

Mein Vater hat immer Bescheidenheit gelebt und gepredigt, das ist in unserer Familie drinnen. Das ist auch die Mentalität im Tal und im ganzen Osttirol. Wir haben immer versucht, im Lebensstandard und in der Lebensführung einfach zu sein. Ich habe gar nicht das Bedürfnis, einen Ferrari zu fahren.

Was fahren Sie privat?

Einen VW Tiguan.

Fakten

1959 übernahm Alois Kraler mit Franz Aichner die in Konkurs gegangene Firma Hella, die Jalousien und Rollos herstellte. Hella war der Name der Ehefrau des früheren Besitzers, einer Schwedin.

1974 verkaufte Aichner seinen Anteil an die Familie Kraler, die das Unternehmen seither allein führt.
Der konsolidierte Umsatz wird
heuer knapp 200 Millionen Euro betragen.

Steckbrief

Franz Kraler, geboren 1947, absolvierte die Bundesfachschule für Metallbearbeitung in Fulpmes und arbeitete danach im elterlichen Betrieb Hella.

1974 wurde er gewerberechtlicher Geschäftsführer mit einem 50-prozentigen Anteil an der Firma.

1983 übernahm Franz Kraler die restlichen 50 Prozent des Unternehmens. 2011 wechselte er als Vorsitzender in den Aufsichtsrat der Hella Holding GmbH. Kraler ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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