Streitgespräch: "Wir müssen und sollen mehr bauen"

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THEMENBILD: MIETE / WOHNUNGEN / WOHNBAU / MIETPREISE / EIGENTUM / IMMOBILIENAPA/HELMUT FOHRINGER
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Darf und soll man Wohnen dem freien Markt überlassen? Grüne-Gemeinderat Christoph Chorherr verteidigt das Wiener "Erfolgsmodell". Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn spricht von einem Regulierungs-Scherbenhaufen.

Christoph Chorherr: Wir wagen ein spannendes Experiment, ein ganz unösterreichisches, nämlich ein kultiviertes Streitgespräch. Es geht um das Thema leistbares Wohnen in Wien. Wien ist eine boomende Stadt. Die Bevölkerung wächst jährlich um 25.000 bis 30.000 Menschen. Und die Frage ist, welcher politische Ansatz gewährleistet am ehesten faire Wohnverhältnisse.

Franz Schellhorn: Wien expandiert und erreicht bald wieder die Einwohnerzahl aus dem Jahr 1914 – nämlich zwei Millionen. Aber wir erkennen auch, dass etwa die Mieten seit 2005 doppelt so stark gestiegen sind wie die allgemeinen Preise. Wir von der Agenda Austria erachten es als problematisch, dass es einen zweigeteilten Markt gibt, dass Wohnen vor allem für neue Mieter wahnsinnig teuer geworden ist.Wer heute einen neuen Mietvertrag unterschreibt, hat deutlich mehr Aufschläge zu bezahlen als früher. Trotz der hohen Regulierung am Wohnungsmarkt. Oder, wie ich meine: gerade wegen der Regulierungsdichte.

Chorherr: Ja, je älter ein Mietvertrag ist, desto geringer ist das Problem. Schwierigkeiten haben jene, die eine neue Wohnung suchen.

Schellhorn: Bei den älteren Verträgen zahlen die Leute zum Teil niedrigere Mieten als Betriebskosten.

Chorherr: Ja, aber das wird ein bisschen überschätzt. Der sogenannte Friedenszins ist ein Nebenschauplatz.

Schellhorn: Aber es gibt ihn immer noch.

Chorherr: Es gibt ihn immer noch, es gibt aber auch Lottosechser.

Schellhorn: Es gibt aber mehr Friedenszinswohnungen als Lottosechser.

Chorherr: Reden wir also von jenem großen Teil des Wiener Wohnungsmarktes, den Sie als überreguliert bezeichnen: über die Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Menschen, die auch in neue Genossenschaftswohnungen kommen, zahlen deutlich weniger als jene, die auf den freien Markt angewiesen sind. In Gemeindewohnungen beträgt die Miete im Schnitt 3,71 Euro pro Quadratmeter, in Genossenschaftswohnungen 3,44 Euro. Dieses Erfolgsmodell in Wien ist nicht uns Grünen, sondern den Groß- und Urgroßvätern der Sozialdemokratie zuzuschreiben. Mit den Genossenschaftswohnungen schaffen wir einen dem Kapitalismus entzogenen Körper, weil Kosten-Mieten verlangt werden. Dieses Erfolgsmodell sollten wir fortsetzen. Wir sollten einen möglichst hohen Anteil dieser gebundenen Wohnungen bereitstellen. Denn der freie Markt muss natürlich teurer sein, weil er Renditen erzielen muss. Eine Genossenschaftswohnung muss das nicht.

Schellhorn: Es gibt keinen Wohnungsmarkt in Österreich. Der Begriff „Markt“ ist hier nicht zutreffend. Der Staat subventioniert die Gebäude, er subventioniert die Mieten, der Staat greift rigoros in die Mietverträge ein, er subventioniert die Bauträger, er kontrolliert einen Großteil der Nebenkosten wie Strom, Gas, Wasser, Müll- und Kanalgebühr. Von Markt ist da nicht mehr viel zu sehen. In Wien ist die Regulierungsdichte enorm. Einer von acht Mietverträgen kommt am sogenannten freien Markt zustande. Und wir müssen trotzdem darüber diskutieren, dass sich junge Familien in diesem überregulierten Markt die Mieten nicht mehr leisten können. Das große Erfolgsmodell, von dem Sie sprechen, ist ein großes Erfolgsmodell für die Politik. Österreich hat einen der niedrigsten Anteile an Eigenheimen in ganz Europa. Und das finde ich schlecht. Denn meiner Meinung nach wäre es besser, man besitzt Wohnraum und nicht nur Autos. Es wäre wünschenswert, wenn jeder frei wohnen könnte und dabei nicht von der Politik abhängig ist. Ich würde sagen, wir stehen vor einem Regulierungs-Scherbenhaufen.

Chorherr: Wenn ich mir die durchschnittlichen Wohnungspreise in London, Paris oder Hamburg ansehe, dann ist im Vergleich dazu Wien mit seinem Mietpreis-Niveau ein ziemliches Erfolgsmodell. Und das hängt damit zusammen, dass der große gemeinnützige Sektor preisdämpfend wirkt. Ich gebe Ihnen Recht, dass junge Familien am Wiener Wohnungsmarkt ein Problem haben. Ich sage ja nicht: Alles ist super. Wir müssen und sollen mehr bauen. Wenn wir in Wien nicht neuen Wohnraum schaffen, passiert dasselbe wie in Paris und London. Die Leute ziehen ins Umland, und das bringt all die ökologischen Probleme mit sich. Das größte Problem für leistbares Wohnen sind die Grundstückspreise. Und deshalb meinen wir von den Grünen, dass das Gut „Grund und Boden“ nicht dem Markt überlassen werden soll. Hier sollte regulierend eingegriffen werden. „Grund und Boden“ ist einer der größten Kostentreiber.

Schellhorn: Sie haben ja als ultima ratio sogar eine Enteignung vorgeschlagen. Das wäre dann die endgültige Kapitulation, wenn man enteignet, um neuen Wohnraum zu schaffen. Ich stimme Ihnen zu, dass man mehr bauen muss. Wir unterscheiden uns nur in einer Kernfrage: Sie sagen, die öffentliche Hand muss bauen.

Chorherr: Genossenschaften sind nicht die öffentliche Hand.

Schellhorn: Aber sie werden gefördert. Wenn Sie sagen, „man wirkt preisdämpfend“, dann geht das auf Kosten kommender Generationen, weil man Geld zur Hand nimmt, das nicht da ist. Ich wäre dafür, dass man den privaten Wohnbau stärkt, dass man das private Kapital arbeiten lässt. Die Förderung im Wohnungsbau ist derzeit völlig unsozial, weil sie an den untersten Einkommensschichten völlig vorbeigeht. Man sollte nicht Objekte, sondern Subjekte fördern. Aber da kommt von Seiten der Sozialdemokratie sofort ein Nein. In Wien kann jeder, der weniger als 3000 Euro netto verdient, eine Gemeindewohnung beantragen. 3000 Euro netto im Monat verdienen 94 Prozent der Österreicher nicht. Sozialer Wohnbau sollte doch für jene sein, die es sich überhaupt nicht leisten können. Und nicht für Abgeordnete wie den Herrn Pilz.

Chorherr: Auf dieses Argument habe ich natürlich gewartet, es kommt immer wieder. Eine unglaubliche zivilisatorische Errungenschaft haben wir in Wien: Es ist super, dass nicht nur Arme und Arbeitslose im Gemeindebau wohnen, sondern, dass es eine Durchmischung gibt.

Schellhorn: Das ist ein Vorteil, da sind wir einer Meinung.

Chorherr: Und ich gebe Ihnen Recht: Wenn jemand in den Vorzug einer Gemeindewohnung gekommen ist, kann es später auch eine Art Förderungsausgleich geben.

Schellhorn: Er soll ruhig in der Wohnung bleiben dürfen.

Chorherr: Hier sind wir einer Meinung. Nicht jedoch bei der von Ihnen geforderten Subjektförderung, die es in Wien übrigens auch gibt.

Schellhorn: Aber im Vergleich zur Objektförderung ist sie minimal.

Chorherr: Ich finde es intelligenter, öffentliches Geld in die Hand zu nehmen und damit Werte zu schaffen. Nämlich Genossenschaftsbauten, die für Jahrhunderte zur Verfügung stehen. Das ist besser als – siehe Paris und London – immer stärker steigende Wohnungspreise zu subventionieren, ohne eine Wertschöpfung zu erzielen. Aus meiner Sicht ist eine Objektförderung, die Werte schafft, die das Vermögen der Stadt erhöht, der bessere Weg.

Schellhorn: Aber die Objektförderung ist eine Subventionierung der Bauwirtschaft. Und es ist deshalb kein Wunder, dass im öffentlichen Bereich so teuer gebaut wird. Ich glaub nicht, dass ein privater Investor weniger nachhaltig baut.

Chorherr: Der Anteil der Genossenschaftsbauten geht auch in Wien prozentuell zurück.

Schellhorn: Aber er ist nach wie vor nirgendwo so hoch wie in Wien. Die Stadt Wien ist mit mehr als 220.000 Wohnungen der größte Vermieter Europas.

Chorherr: Deshalb haben wir auch ein relativ niedriges Miet-Niveau, das werden Sie wohl zugeben.

Schellhorn: Und deshalb wundere ich mich auch, dass die rot-grüne Stadtregierung beklagt, dass Wohnraum nicht mehr leistbar ist. Für jene mit alten Mietverträgen funktioniert die Regulierung tatsächlich perfekt. Nur für die Neumieter ist es ein Problem. Und wer heute um 1500 Euro in Wien – solche Preise sind nicht mehr so selten – eine Wohnung für eine Familie sucht, der muss 2800 Euro brutto verdienen, nur um sich die Miete leisten zu können.

Chorherr: Ich glaube, dass man im Wohnbau ganz grundsätzlich nicht von „Markt-Fairness“ sprechen kann. Vermieter und Mieter verhandeln ja nicht auf Augenhöhe. Wenn jemand dringend eine Wohnung sucht, muss er irgendeine nehmen. Deshalb müssen Auswüchse begrenzt werden. Es muss durch Regulative sichergestellt werden, dass Wohnen ein Grundbedürfnis ist.

Schellhorn: Ich weise trotzdem darauf hin, dass die Objektförderung ein Fehler ist. Nicht einmal ein Viertel der Sozialwohnungen wird vom untersten Fünftel der Einkommensbezieher bewohnt. Hier werden günstige Wohnungen an Leute verteilt, die sich eigentlich teurere Wohnungen leisten könnten.

Chorherr: In der Tat gibt es dieses Problem. Der Genossenschaftsektor hat für die untersten zwei Einkommens-Dezile kaum Angebote. Das muss man lösen. Der freie Markt wird das Problem aber sicher nicht lösen.

SteckbriefE

Christoph Chorherr
ist Gemeinderat und Planungssprecher der Grünen in Wien. Von 1991 bis 1997 war er erster Nicht-amtsführender Stadtrat der Grünen in Wien, 1996 bis 1997 war er Bundessprecher der Grünen, 1997 bis 2004 Klubobmann der Wiener Grünen.

Franz Schellhorn
leitet seit Februar 2013 den liberalen Thinktank Agenda Austria, der sich unabhängig von Parteien und Interessenvertretungen finanziert. Schellhorn war zuvor stellvertretender Chefredakteur der „Presse“ und Leiter der Wirtschaftsredaktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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