Warum wir bei Wildfremden wohnen

THEMENBILD-PAKET WINTER: TOURISMUS/WINTER
THEMENBILD-PAKET WINTER: TOURISMUS/WINTERAPA/BARBARA GINDL
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Dank Airbnb erlebt das alte Fremdenzimmer einen neuen Boom. Privatquartieremacheneinigereich, viele glücklich und manche zornig. Über eine Mode voller Widersprüche.

Es begab sich! Aber was begab sich denn wirklich, ganz irdisch betrachtet, bei der Herbergssuche des Paares Maria und Josef? Eine Volkszählung führte zu einem akuten Bettenengpass in Bethlehem. Das klassische Hotelgewerbe der Kleinstadt hatte seine Kapazitätsgrenze erreicht, wie bei Kongressen oder großen Events. Also mussten die Last-Minute-Bucher auf eine alternative Übernachtungsmöglichkeit zurückgreifen. Da boten sich private Quartiere an, zu deutlich geringeren Kosten, aber auch jenseits der üblichen, behördlich kontrollierten Standards. Bis hin zum Stall.

Komfortabler, aber im Grunde wenig anders würde es heute funktionieren. Nur käme kein zeitgemäßer Reisender auf die Idee, hochschwanger und mit Gepäck beladen sämtliche Anbieter abzuklappern, um sich über die prekäre Buchungslage zu informieren. Das Internet bietet uns schon vor der Abreise einen bequemen Marktüberblick vom Couch-Cockpit aus. Nicht nur über Hotels und Pensionen. Längst vom Netz erfasst ist auch ein Markt, den Kontrollfreaks für grau halten, der aber bunter kaum sein könnte. Ob man dazu Privat-, Fremden-, oder Gästezimmer sagt: Immer geht es darum, mit den Gastgebern unter einem Dach zu hausen – oder ihre ganze Wohnung für kurze Zeit zu okkupieren.

Gefühlte Pioniere. Den großen digitalen Marktplatz dafür gibt es erst seit sechs Jahren. Aber mittlerweile hat er einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie das Lukasevangelium: Airbnb, eine Plattform auf Provisionsbasis für eine Million Quartier-Anbieter in 190 Ländern. Für manche läutet sie eine neue Zeitrechnung im Tourismus ein – und eine ökonomische Revolution.Mein Heim soll das deine sein: Das erscheint zunächst als wahrhaft christlicher Ansatz. Wer Tür und Herz für Menschen aus aller Welt öffnet, fühlt sich als Pionier der „Share Economy“: Der Kapitalismus weiche der Gemeinschaft, die Gier dem Teilen der Güter. Aber in ihrer reinen, selbstlosen Form ist die Lehre nur beim Couchsurfing verwirklicht. Dieses Netzwerk der Gratis-Gastfreundschaft existiert seit zehn Jahren. Es ist ein wenig aus der Mode gekommen, wie das Urchristentum. Heute präsentiert man sich auf Airbnb und denkt dabei durchaus als Homo oeconomicus: Man nutzt brachliegende Ressourcen und münzt sie in ein Zusatzeinkommen um. So lassen sich Miete oder Betriebskosten leichter tragen, zumal in teuren, von Reisenden begehrten Städten. Trifft sich gut.

Das Kinderzimmer der ausgezogenen Tochter bringt plötzlich 60 Euro pro Nacht ein. Die Wohnung, während man auf Urlaub ist, weit über hundert. Da bricht bei manchen die alte Gier durch: Eine Wohnung im Trendviertel einer Touristenmetropole zu kaufen und dann nur tage- oder wochenweise zu vermieten, erweist sich als lukratives Geschäftsmodell. Solche Ferienapartments verschärfen die Wohnungsknappheit, weshalb New York und Berlin sie verboten haben. Ganz andere Beträge schauen freilich für die Gründer von Airbnb heraus: Ihre Firma ist laut letzter Finanzierungsrunde zehn Milliarden Dollar wert.

Nicht neu, aber illegal. Die Idee macht also Geld. Aber ist sie wirklich neu? Buchungsplattformen für Betten findet man zuhauf, die erfolgreichste ist Booking.com. Und das Angebot? Fremdenzimmer im familiären Rahmen, ohne Zimmerservice, aber mit Frühstück – das gibt es hierzulande, seit es Sommerfrische und Wintersport gibt. In der angelsächsischen Welt heißt es Bed and Breakfast, in Frankreich Chambres d'hôtes, in Spanien Casa rural, in Italien Affittacamere. Origineller ist das fallweise Überlassen der eigenen Wohnung. Aber wirklich neu an Airbnb ist nur die dunkle Graustufe des Marktes.

Sicher: Auch viele traditionelle Ferienzimmervermieter überreichen nicht jedem Gast zum Abschied eine lupenreine Rechnung, samt Umsatzsteuer, Kurtaxe und Hotelabgabe. Aber sie führen in der Regel registrierte Betriebe auf dem Radar der Behörden. Also zahlen sie im Prinzip Steuer, versichern allfällige Zimmermädchen, sorgen für Brandschutz und erlauben Hygienekontrollen. Bei Airbnb ist das definitiv die Ausnahme. Die Macher der Plattform zucken mit den Schultern: Sie vermitteln ja nur. Ob sich die Anbieter in der Grenzregion zwischen „gelegentlichem“ und „gewerblichem“ Einquartieren von zahlenden Gästen an Gesetze halten, ist ihnen egal. Erst recht pfeifen die Gäste selbst darauf. Leicht paradox: Gerade die Apologeten der Gemeinschaftsgüter und damit eines mächtigen Staates freuen sich diebisch über Preise, die nur deshalb so niedrig sind, weil dabei der Staat überlistet und die Gemeinschaft um ihren üblichen Anteil geprellt wird.

Für Kommunikative. Doch nicht alle Privatzimmerbucher wollen nur billig reisen. Wohnen bei Fremden kommt zwar immer günstiger als ein vergleichbares Hotel. Aber es kann durchaus dezenter Luxus sein, bis hin zur Suite im Schloss samt Schwimmbad im Park. Das lässt sich vor allem in französischen Chambres d'hôtes oder im britischen Bed and Breakfast erleben. Sie stehen für eine charmante sowie kultivierte Form des Reisens. Es geht um den persönlichen Kontakt zu Einheimischen, oft samt Kindern und Hunden, um das authentische Eintauchen ins Leben am Land oder den Flair einer Stadt. Zur Begrüßung gibt es einen Aperitif und eine freundliche Plauderei am Kamin. Das Frühstück wird an der Table d'hôte zusammen mit anderen Gästen zelebriert. Danach versorgen der leutselige Host in Cornwall oder die temperamentvolle Madame in der Provence ihre Schützlinge mit Ratschlägen für Ausflüge und Abendessen. Auch wenn man den Rest des Tages für sich hat: Kommunikative Scheu ist eine schlechte Voraussetzung für einen Urlaub „at home away from home“.

Wer so viel Nähe zu Fremden nicht schätzt, mietet eine Wohnung und holt sich seine Frühstückskipferl selbst. Kurzzeitbewohner haben eigene Motive: Sie geben sich der Illusion hin, sie wären an einem so schönen, berühmten oder geschichtsträchtigen Ort zuhause. Einmal im Leben als Venezianer durchgehen, als Pariser Bohemien, als Schlossherr! Wer wirklich authentisch schlafen will, mietet sich – passend zur Destination – in einer Höhle, einem Iglu oder einem Baumhaus ein. Wird alles angeboten. Was im Programm noch fehlt: ein Stall in Bethlehem.

Zahlen

Der neue Markt ist bunt in seiner Vielfalt, aber rechtlich im Dunkelgraubereich. Bed and Breakfast kann auch Luxus bedeuten, kontaktscheu sollte der Gast aber nicht sein.

38

Hotels und Pensionen zählt die Touristik-Webseite Tripadvisor aktuell in Bethlehem.


25

Millionen Nutzer haben bisher ein Privatquartier über die Plattform Airbnb gebucht.


5

Zimmer darf eine Übernachtungsmöglichkeit in Frankreich maximal anbieten, um als Chambres d'hôtes (Gästezimmer) durchzugehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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