Wifo-Chef Aiginger: „So kann es nicht mehr weitergehen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ökonom Karl Aiginger warnt vor einer Steuerreform ohne Strategie und einer Gegenfinanzierung durch neue Steuern. Neben Arbeitnehmern müssten auch Firmen entlastet werden.

Die Presse: Fangen wir positiv an. Was ist denn das Beste, was der Wirtschaft 2015 passieren kann?

Karl Aiginger: Dass wir einsehen, dass wir auf diesem Weg nicht mehr weiterkönnen. Es hat bisher nur funktioniert, weil wir jedes Loch mit Staatsausgaben gestopft haben – weswegen wir jetzt die Steuern nicht deutlich senken können.


Was bedeutet das konkret?

Gegenüber den 1970er-Jahren ist die Abgabenquote um zehn Prozentpunkte gestiegen, die Staatsschuldenquote von 20 auf mehr als 80 Prozent. Jedes Mal, wenn es ein Problem gegeben hat, wurden Schulden oder Abgaben erhöht.


Und das geht jetzt nicht mehr?

Nein. Bei Abgaben sind wir bei 45 Prozent und die Staatsausgaben sind bei 52 Prozent des BIPs. Das müssen wir irgendwie finanzieren.


Wo kann man das sehen?

Das sieht man überall. Der Unterschied zwischen dem, was ein Unternehmen zahlt, und dem, was der Arbeitnehmer nach Hause trägt, ist schnell bei 50 Prozent und sehr bald sogar bei 100 Prozent. Deswegen sind die Firmen sehr zurückhaltend bei Anstellungen – das sieht man in der Arbeitslosenrate. Und dass die Arbeitnehmer immer weniger bekommen, das wirkt sich negativ auf den Konsum aus. Wir haben jetzt seit sieben Jahren sinkende Reallöhne.


Steigen die Löhne nicht stetig?

Ja, sie steigen um etwa zwei Prozent. Aber davon frisst 1,5 Prozentpunkte die Inflation weg. Ein Drittel davon verursacht der Staat durch höhere Steuern und Gebühren. Dazu kommt die kalte Progression mit noch einmal einem halben Prozentpunkt. Das ist ein Keil, der so groß ist, dass die Firmen kaum noch Arbeitsplätze schaffen. So kann es nicht mehr weitergehen.


Ausgaben, Schulden, Steuern . . .

. . . genau, wir stehen an und haben kein Geld für Forschung, Umwelt und neue Technologien. Und dazu kommen bei den Pensionen noch ungedeckte Verpflichtungen.


Das ist keine sehr positive Botschaft so kurz vor Weihnachten.

Aber ich habe das Gefühl, dass die Politik langsam aufwacht und sieht, dass hier Reformen notwendig sind. Und ich wünsche mir für das kommende Jahr, dass sich das umsetzt in eine Steuerreform, die auch strategisch ist und nicht nur verwaltend. Dass auch die Staatsausgaben durchforstet und Ziele für Beschäftigung, Umwelt und Gesundheit bestimmt werden.


Haben Sie in den vergangenen 20 Jahren schon einmal eine „strategische“ Steuerreform erlebt?

Nein. Dass zuerst Ziele gesteckt wurden, hat es nicht gegeben. Und es sieht bisher auch nicht so aus, als würde es das diesmal geben.


Es gibt also kaum Hoffnung?

Es wird sich herausstellen, dass, wenn man die niedrigen Einkommen auch entlasten will, die Steuerreform größer sein muss, als sie derzeit geplant ist. Und dann wird man eine Gegenfinanzierung brauchen. Da gibt es die gute und die schlechte Variante. Schlecht sind neue Steuern. Gut wäre eine Senkung der Staatsausgaben.


Österreich zahlt Minizinsen. Könnten wir nicht ein bisschen mehr Staatsschuld draufpacken?

Es ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt für Neuverschuldung. Aber man muss damit schon Ausgaben tätigen, die einen Investitionscharakter haben. Wenn man die Schulden aber für die Fortsetzung der Vergangenheit verwendet, wäre das schlecht. Da liegt die Gefahr. Der Bund hat im öffentlichen Bereich mit dem Sparen ja noch gar nicht begonnen. Der öffentliche Konsum steigt seit drei Jahren deutlich stärker als der private. Also die Beamtengehälter. Insgesamt wird aber vorgegaukelt, wir würden sparen.


Und die EU-Krisenstaaten? Sind das Erfolgsgeschichten?

Es sind Geschichten von Notoperationen, die unnötige Opfer mit sich gebracht haben. Aber auch hier wurde zu wenig in die Zukunft investiert. Es wurde nichts aufgebaut. Keine Betriebsgründungszentren, keine Software-Cluster.


Stichwort Juncker-Plan: Ist das ein gangbarer Weg?

In Südeuropa braucht jedes Land einen eigenen Plan. Griechenland könnte ein Solarenergie-Musterland sein, aber jetzt hat die Regierung die Sonderbesteuerung von Heizöl zurückgenommen. Das ist der falsche Weg. Die Krise wurde nicht genützt, um in neue Strukturen zu investieren. Irland hat zumindest ein gutes Ausbildungssystem. In Griechenland aber sind die Unis total wirtschaftsfern.


Das klingt so, als würden Sie Österreichs Unis beschreiben.

Wir haben die Fachhochschulen ausgebaut und sind in der Berufsausbildung Spitze. Da haben wir ein paar Sterne. Die Forschungsquote hat sich von einem auf 2,8 Prozent erhöht. Aber seit fünf Jahren stagniert sie leider.

Zur Person

Karl Aiginger (geb. 1948) ist seit 2005 Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Der studierte Volkswirt war als Gastprofessor in Stanford, an der UCLA sowie am M.I.T tätig. Seine Forschungsschwerpunkte: Wettbewerbspolitik, Industrieökonomie, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Das Wifo erwartet für Österreich im kommenden Jahr nur ein Wachstum von 0,5 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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