Leitl: „Wäre sehr verlockend, den wilden Mann zu spielen“

INTERVIEW: WIRTSCHAFTSKAMMER-PR�SIDENT CHRISTOPH LEITL
INTERVIEW: WIRTSCHAFTSKAMMER-PR�SIDENT CHRISTOPH LEITL(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Bei Unternehmern sei die Stimmung aufgeheizt, sagt WKO-Chef Leitl. Österreichs Potenzial dürfe nicht mehr „vergeigt“ werden.

Welche Rolle spielt für Sie derzeit die Regierung, ist sie Impulsgeber oder eher Bremsklotz?

Christoph Leitl: Wir müssen es schaffen, den ständigen Kaufkraftverlust zu stoppen und die Substanz der Betriebe zu stärken. Heuer haben wir eine Kollektivvertrags-Lohnerhöhung von zwei Prozent. Diese kostet die Betriebe drei Prozent, aber nur ein Prozent, also ein Drittel, kommt wegen der Steuerlast bei den Leuten an, während zwei Drittel beim Staat landen. Bei 0,4 bis 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum steigen die Steuereinnahmen um vier Prozent, also um das Zehnfache. Trotzdem können wir das Budget nicht ausgleichen – im Gegensatz zu den Deutschen.

Die SPÖ will aber auf jeden Fall irgendeine Form von „Reichen“-Steuern zusätzlich einführen.

Wir haben drei Steuerreformen hinter uns, immer hat man uns erklärt, das sei die letzte, wo etwas erhöht wird. Wieder an der Steuerschraube zu drehen, ist ein absolutes No-Go. Der Staat muss nur drei Jahre lang je ein von drei bis vier Prozent jährlicher Ausgabensteigerung einsparen, das ist läppisch.

Befürchten Sie, dass die Steuerreform als Reförmchen endet?

Bei dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, werden die Leute sagen, das war ein Getöse. Zwei Jahre geredet und gestritten, und dann kommt das heraus? Mein Vorschlag wäre: Betriebe, die gut gehen, sollen pro Jahr 1000 Euro Prämie an Mitarbeiter auszahlen können mit 25 Prozent Pauschalabgabe als Körperschaftsteuer-Ersatz. Der Finanzminister verliert nichts, die Betriebe zahlen Geld, das sonst in der Firma bliebe, an ihre Mitarbeiter aus und diese haben von 1000 Euro ganze 750 netto auf der Hand.

Sie verfügen über mehr als ein Dutzend Wirtschaftsbund-Abgeordnete im Parlament, ohne die die Koalition keine Mehrheit hat. Gibt es Überlegungen, gegen ein Steuerpaket zu stimmen?

Ich gehe mit Andeutungen, ich will gar nicht das Wort Drohung sagen, sehr vorsichtig um. Sonst geraten wir auf gefährliches Terrain. Die Stimmung unter Unternehmern ist aufgeheizt, und natürlich wäre es sehr verlockend, den wilden Mann zu spielen, aufzustehen und Regelungen zu blockieren. Wenn das aber jeder macht, etwa auch die Gewerkschaft, dann ruinieren wir unser demokratisches System.

Sie drängen auf ein Konjunkturpaket. Ist das finanzierbar?

Wir bauen pro Jahr in Österreich 7000 Wohneinheiten zu wenig und haben daher Knappheit sowie hohe Mieten. Warum bauen wir die 7000 Wohnungen nicht? Die paar Millionen werden wir haben. Pro Tag geben wir allein 25 Mio. Euro Bundeszuschuss für die Pensionen aus, also heuer schon über 600 Mio. Euro. Schweden oder die Schweiz haben das nicht, und das erklärt auch, wieso wir noch im Sumpf sind und andere schon draußen.

Hat sich Österreich zu lange schöngeschminkt?

Österreich hat tatsächlich in einer Illusion gelebt. Ich hätte mit meinem Befund gern unrecht gehabt. Wir haben so viel Potenzial, wir sind Europameister in der dualen Ausbildung, liegen beim Globalisierungsindex der renommierten ETH Zürich auf dem 4. Platz weltweit vor Singapur, vor Deutschland und der Schweiz, sind Erster bzw. Zweiter bei der Nachhaltigkeit und der Mitarbeitermotivation. Da heißt's immer, der Leitl haut auf die Regierung. Nein, wir fordern als Wirtschaft, dass unsere ungeheuren Potenziale genutzt und nicht vergeigt werden.

Werden wir nach März noch diese Regierung haben?

Aber ja, was soll denn anders werden, wenn es die Regierung zerreißt? Die ÖVP hat neue Köpfe, denen ich einiges zutraue. Und Bundeskanzler Werner Faymann ist ein Pragmatiker, er muss sich aber frei machen von ideologischen Einflüsterern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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