Gütesiegel: Die "lieben Schweine" aus dem Fernsehen gibt es nicht

Mutmaßlich glückliche Schweine
Mutmaßlich glückliche SchweineAPA
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Kaum ein Produkt ohne Gütesiegel, beworben mit Bauernhof-Idylle. Das schade der gesamten Landwirtschaft, sagt AMA Marketing-Chef Michael Blass.

Siebenundsiebzig Millionen Hühner, 5,4 Millionen Schweine, 609.000 Rinder, 145.000 Schafe, 4500 Ziegen sowie 943 Pferde haben Österreichs Bauern im Vorjahr geschlachtet, um Fleisch und Wurst daraus zu erzeugen. Dass die heimischen Lebensmittel auch ihren Weg zu den Konsumenten im In- und Ausland finden, ist unter anderem die Aufgabe von Michael Blass. Dabei ist der Mittfünfziger das genaue Gegenstück eines alteingesessenen Agrariers. Blass war Bewährungshelfer, machte seinen Doktor in Rechtswissenschaften und bewegt sich wohl noch heute in der Wiener Innenstadt sicherer als auf dem Traktor. Dennoch– oder gerade deswegen – sorgt er seit zwei Jahren als Chef der AMA Marketing dafür, dass die Lebensmittel seiner Mitgliedsbetriebe die Qualität halten und dafür Abnehmer finden.

Herr Blass, wann waren Sie das letzte Mal auf einem echten Bauernhof?

Michael Blass: Im Vorjahr, weil mich in meinem neuen Job interessiert hat, wie unsere Qualitätskontrollen funktionieren. Ich erinnere mich gut: Es war ein brütend heißer Sommertag, an dem ich in einem Seat Ibiza über staubige Straßen in Niederösterreich gefahren bin. Staubige Straßen deshalb, weil Schweinehaltung heute einfach nicht mehr in den Ortschaften stattfindet, sondern nach Möglichkeit weit abgetrennt, um die Bevölkerung nicht mit den Emissionen zu konfrontieren.

Und würden Sie dort auch gern Ihren Urlaub verbringen?

Ich bin jemand, der im Urlaub gern faul ist. Mir würde es schwer fallen, mich hinzulegen, wenn ich zusehen muss, wie andere Leute arbeiten.

Ich frage, weil – dank der Werbung – Landwirtschaft heute mit Idyll gleichgesetzt wird. Viele Bauern klagen darüber, dass den Konsumenten eine Welt vorgegaukelt wird, die sie in der Realität nicht einlösen können.

Diese Diskrepanz sehe ich auch. Viele Bauern sind enttäuscht und zornig über die Idyllisierung und die Paradiessehnsüchte, die auf eine Landwirtschaft projiziert werden, die in einem immer intensiveren Wettbewerb steht. Laufende Liberalisierungen, enormer Preisdruck, die Kaufzurückhaltung bei den Konsumenten. Die Landwirtschaft bringt dennoch eine enorme Leistung, erklärt aber viel zu wenig, wie sie in der Realität funktioniert.

Ist uns die Wahrheit nicht zuzumuten?

Doch, natürlich ist sie zumutbar. Die Kluft zwischen den romantisierten Erwartungshaltungen und der Wirklichkeit der Landwirtschaft hat damit zu tun, dass wir eine sehr rasche Entwicklung erlebt haben. Vor einem halben Jahrhundert war die Hälfte der Bevölkerung noch in der unmittelbaren Umgebung der Landwirtschaft tätig. Es gab einen starken Bezug, und die Landwirtschaft war ein einfaches Metier. Heute arbeiten dort wenige Menschen, die meisten haben keinen Bezug zur Branche, und das Wirtschaften auf dem Land hat sich so verändert wie die meisten anderen Berufe auch. Aber die Überbrückung dieser Kluft wird schwieriger, wenn in der Werbung mit Bildern einer Landwirtschaft gearbeitet wird, die stark an die romantische Malerei des 19. Jahrhunderts erinnert.

Es ist vor allem der Handel, der dieses Zerrbild nutzt, um den Kunden die Produkte schmackhaft zu machen. Die AMA ist da übrigens keine Ausnahme.

Werbung darf übertreiben, zuspitzen und mit Mitteln der Ironie und Karikatur arbeiten. Der Handel insbesondere in Österreich tut das hoch professionell. Aber Werbung kann nur dann als falsch verstanden werden, wenn die Konsumenten die Realität nicht kennen. Genau hier liegt unsere Aufgabe und die Aufgabe der Landwirtschaft, über die Realität aufzuklären. Je mehr die Kunden wissen, desto eher werden sie die Fabeln des Werbefernsehens als Fabeln erkennen. Echte Landwirtschaften sind weder die lieben Schweine auf Almurlaub mit Panoramablick noch die Extrembeispiele nicht fachgerechter Landwirtschaft, die in sozialen Medien oft gebracht werden.

Wovon wäre ich überrascht, wenn ich mir ansähe, wie mein Schnitzel produziert wird?

Als aufgeklärter Bürger werden Sie auf einem Bauernhof, der ordnungsgemäß geführt wird, nichts Überraschendes finden. Vielleicht, dass Sie in den meisten Bauern Gesprächspartner finden, mit denen Sie gut auf Augenhöhe diskutieren können.

Der Handel stiftet auch anderweitig Verwirrung – mit dem Siegel-Dschungel. Kaum ein Produkt, auf dem nicht zumindest ein Gütezeichen einer Handelskette klebt. Viel wird suggeriert, oft steckt wenig dahinter.

Konsumentenschützer kritisieren den Schilderwald zurecht. Das ist selbst für jemanden, der sich kritisch informiert, nahezu unbewältigbar. Hier gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf. Der Einzelhandel steht unter hohem Wettbewerbsdruck und sucht natürlich nach Differenzierung über Marken.

Durch das Überangebot an Siegeln verlieren letztlich aber doch alle an Wert. Auch die Gütesiegel, die etwa die AMA vergibt.

Wir müssen stärker darüber sprechen, was hinter Zeichen mit gesetzlicher Grundlage wie dem AMA-Gütesiegel steckt. Diese Zeichen werden etwa unabhängig vergeben, es gibt keine Selbstzertifizierung, wie das bei vielen Schmucketiketten und zierenden Logos des Handels der Fall ist.

Ist das eigentlich gar nicht reglementiert?

Es gibt viele Regeln. Aber auch innerhalb der gesetzlichen Grenzen gibt es noch einen Gestaltungsspielraum.

So kann ich etwa alle Rohstoffe importieren, hierzulande verarbeiten und als made in Austria verkaufen.

Es gibt Lebensmittel, die mit dem Verweis auf das Herkunftsland vermarktet werden. „Qualität aus Österreich“ ist da ein Klassiker. Bei Produkten wie einem Apfel ist klar, dass die Erwartung auf den Rohstoff gerichtet ist. Anders ist es bei höher verarbeiteten Produkten wie Süßigkeiten. Hier wird wohl niemand erwarten, dass der Kakao aus Österreich kommt. Darum fühlen wir uns wohl, wenn wir rot-weiß-rote Gütesiegel für Würste vergeben, wenn das Fleisch aus Österreich ist, aber der Pfeffer nicht.

Ist gesetzlich geregelt, wie hoch der Anteil sein muss?

Nein.

Der AMA Marketing steht eine Prüfung des Rechnungshofs ins Haus. Es geht um den Verdacht, dass die AMA ÖVP-nahe Zeitungen querfinanziert. Was ist da dran?

Die AMA Marketing finanziert sich über steuerähnliche Einnahmen, und es gibt ein demokratisch legitimiertes Interesse, was mit den Mitteln passiert. Der gesetzliche Auftrag determiniert unser Handeln in allen Bereichen. Das gilt auch für Schaltungen in Medien.

Ein knappes Fünftel Ihrer Einnahmen ging 2013 in die Printwerbung.

Die AMA Marketing muss Konsumenten relevante Informationen liefern. Das machen wir mit elektronischen Medien, Printmedien und über soziale Medien. Die Art und Weise, wie Medien ausgewählt werden, erfolgt gemeinsam mit Medienagenturen. Das heißt: Es ist objektivierbar, warum wir in Medien schalten oder auch nicht.

Steckbrief

Michael Blass (*1958) ist seit zwei Jahren Chef der AMA Marketing. Zuvor arbeitet der studierte Jurist lang in der Lebensmittelbranche.

AMA Marketing
ist eine Tochter der Agrarmarkt Austria. Das Jahresbudget beträgt rund 18Millionen Euro und wird von etwa 23.500Beitragszahlern entrichtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

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