Der Fiskus als König Salomo

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THEMENBILD: WETTER / HERBST / TIEREAPA/BARBARA GINDL
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Neue Einheitswerte für Bauern bringen keine neuen Einnahmen: Das stand von Anfang an fest. Dafür brachten uns penible Bewertungsregeln ein kurioses Kunstwerk der Bürokratie.

Kein Bauer gleicht dem anderen! Nirgendwo weiß man das, nach vollbrachter Tat, besser als im Finanzministerium. Die Vorgeschichte: Österreichs höchste Richter verurteilten die fiskalische Wertschätzung der Höfe und Forste, noch aus dem Jahr des Herrn 1988 datierend, als fern der heutigen Realität. Also schwärmten Experten hinaus ins Land, eine halbe Hundertschar hoch bezahlter Finanzverwalter. Sie bohrten, forschten und grübelten, um die Einheitswerte auf eine neue Basis zu stellen und den Bauern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Reformer erfüllten ihre Mission mit salomonischem Eifer. Was war nicht alles zu bedenken! Bäuerliche Betriebe gibt es ja am steilen und am flachen Hang, mit feuchtem und trockenem Boden, mit enger und breiter Hofzufahrt.

Schon die Chancen zu schätzen, mit denen unsere Landwirte Milch und Korn in ihrer Umgebung vermarkten können, verlangt nach intellektueller Präzision: Man zähle die Konsumenten im Gemeindegebiet und berücksichtige die Entwicklungsdynamik. Dann addiere man die Touristen, die freilich nicht lang bleiben, weshalb sie auf Basis der Nächtigungsstatistik in Einwohneräquivalente umzurechnen sind. Dann gibt es noch den kniffligen Fall eines dünn besiedelten Dorfs neben einer dicht besiedelten Stadt – stufenweise interpolieren heißt hier das Zauberwort! Ein Beispiel, das für hundert steht. Da darf man doch erwarten, dass diese Hauptfeststellung, die seit eineinhalb Jahren Himmelpfortgasse und Finanzämter in Atem hält und so viele kostbare Kapazitäten bindet, auch reichlich zusätzliche Einnahmen in die Staatskasse spült. Immerhin sind die Einheitswerte ja die Steuerbasis für jene Land- und Forstwirte, die voll pauschaliert werden. Das sind, trotz angehobener Grenze, immer noch 97Prozent – also eh fast alle.

Ein Nullsummenspiel. Bald hieß es: Die neuen Werte werden um ein Zehntel höher sein als die alten. So fiel es den Bauernvertretern weder rechnerisch noch rhetorisch schwer, gegen eine mörderische Belastungslawine von zehn Prozent zu wettern. Bald aber wurde es seltsam still. Vielleicht, weil die Bauern nicht besonders üppige Beiträge zum Budget liefern. Rechnet man ihre Steuern zusammen, macht ein Plus von zehn Prozent, das heuer erstmals zu entrichten wäre, heiße fünf Euro pro Monat aus. Fairerweise ist zu ergänzen, dass die Agrarier neunmal mehr Sozialversicherungsbeiträge als Steuern zahlen. Aber dort kommen die neuen Einheitswerte erst 2017 zu tragen, und sie fließen indirekter in die Berechnung ein. Gottlob bewahren die Schätz- und Schatzmeister der Republik den Überblick: Man rechne bei beiden Aufkommen, dass „keine gravierenden Veränderungen auftreten werden“. Also ein Nullsummenspiel.

Wer mit den Bräuchen der österreichischen Politik vertraut ist, sollte sich darob nicht wundern. Insider berichten: Die ÖVP hielt die schützende Hand über ihre Klientel und nötigte der SPÖ den Pakt ab, dass die Bauern auch auf Basis neuer Einheitswerte nicht mehr zahlen müssen. Die ganze Hauptfeststellung war eine Spiegelfechterei: Obwohl im Detail kein Stein auf dem anderen bleibt, stand von Anfang an fest, dass sich unter dem Strich nichts ändern darf. Dafür wurde aber ein ziemlicher Aufwand betrieben. Außer immensen Verwaltungskosten haben Österreichs Bürger nichts davon.

Also sollten wir uns zumindest am präzis-preziösen Regelwerk erfreuen. Es zu würdigen, erfordert aber Konzentration. Das Rückgrat bildet die Betriebszahl zwischen eins und hundert, die es für jeden Bauernhof zu ermittelt gilt – mit Abschlägen von einem Hauptvergleichsbetrieb mit Betriebszahl 100, also besten Bedingungen. Er existiert als ideeller Betrieb nur in den Köpfen der Beamten. So haben sie ihn ersonnen: Bodenart Lehm, entstanden aus Löss und Aluminium, 650 Millimeter Regen im Jahr und 14 Grad mittlere Temperatur. Dann mussten sie aber noch real existierende Vergleichsbetriebe suchen, typische Bauern für jedes kleine Gebiet, um „die Gleichmäßigkeit der Bewertung zu sichern“. Nach minutiöser Recherche erwies sich etwa Reinhard Krautsack in Wiesfleck als repräsentativ für das burgenländische Bergland, Elfriede Tschuggmall aus Platöll hingegen für die Westtiroler Zentralalpen. Die Liste für alle Gebiete füllt 22 Seiten. Sind sie noch dabei? Hoffentlich, denn jetzt erst kommen die Kriterien für jeden der 167.000 Betriebe.

Hagel und Amtsweg. Besonders liebevoll durchdacht ist etwa die Entfernung zum lokalen zentralen Ort, also der nächsten Stadt. Da von der Bürokratie geknechtete Bauern oft bei Behörden vorsprechen müssen, ist zu hinterfragen, ob es im lokalen zentralen Ort zumindest eine Außenstelle der Bezirkshauptmannschaft gibt. Sonst ist ein Mittelwert mit dem nächsten entsprechenden Ort zu bilden, „sofern auch teilweise agrarische Belange bearbeitet werden“. Alles klar? Uns auch nicht. Rührend widmen sich die Hauptfeststeller den Landwirten, die es aus speziellen Gründen schwer haben. Abschläge bei der Betriebszahl gibt es auch für die „Überquerung stark befahrener Straßen“ oder besondere Gefährdung durch Hagel – wofür Daten der Versicherung und der Zentralanstalt für Meteorologie zu konsultieren sind.

Die Arbeit geht nicht aus, denn anders als früher soll das wundervolle Regelwerk laufend aktualisiert werden. So muss einem für die Zukunft nicht bange sein. Die Bauern versorgen uns mit Milch als Nahrung, zahllose Beamte mit der Milch der gerechten Denkungsart. Manche mögen das als nicht gerecht empfinden, weil wir es uns nicht mehr leisten können.

Im Zeitlauf

1988 fand die letzte Datenerhebung für die Einheitswerte der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe statt.

Februar 2012Nachdem der VfGH die veralteten Einheitswerte wiederholt kritisiert hatte, beschloss die Regierung im Rahmen eines Sparpakets eine Anpassung.

Im Mai 2014 begannen die Finanzämter, Fragebögen an die Bauern zu schicken. Abgeschlossen ist die Hauptfeststellung noch immer nicht.

Ab Jänner 2015 sind die neuen Einheitswerte für die Steuerberechnung wirksam.

Ab 2017 sollen sie auch für die Ermittlung der Sozialabgaben gelten.

APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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