Leitls komplizierte Kammer

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Wirtschaftskammer(c) Teresa Zötl
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Über eine halbe Milliarde Euro im Jahr müssen Österreichs Unternehmer zwangsweise in "ihre" Wirtschaftskammer pumpen. "Die Presse am Sonntag" hat sich angesehen, wohin die hunderten Millionen Euro fließen.

Das Durchwurschteln muss vorbei sein“, forderte Christoph Leitl Ende Jänner. Der Reformstau führe Österreich an den Rand des Kollapses. Nicht nur eine ordentliche Steuerreform müsse her. Auch die Aufgaben zwischen Bund und Ländern gehörten besser verteilt, vor allem den „bürokratische Apparat“ im Land müsse man „endlich absenken“. Der Präsident der Wirtschaftskammer ist seit Jahren als einer der schärfsten Kritiker an der schwerfälligen Struktur der Republik Österreich bekannt. Im eigenen Haus drückt er allerdings mitunter gern ein Auge zu.

Seit 16 Jahren ist der Oberösterreicher Herr einer mächtigen Organisation in diesem Land. Die Wirtschaftskammer ist per Verfassungsgesetz dazu autorisiert, die Interessen der Unternehmer zu vertreten – ob diese das nun wollen oder nicht. Alle paar Jahre können die Unternehmer wenigstens dabei mitreden, wer ihre Zwangsbeiträge verwalten darf. In ein paar Tagen wird es wieder so weit sein – die Kammerwahlen stehen an.

Die Wirtschaftskammer ist mit ihren rund 5000 Funktionären aber mehr als eine Interessenvertretung. Als politisches Gegenstück zur roten Arbeiterkammer ist sie auch eine wichtige Vorfeldorganisation der ÖVP – und ein genaues Abbild dessen, was Leitl so gern an Österreich anprangert.


Zehn Kammern. Wie in Österreich funktioniert auch in der Wirtschaftskammer vieles gut: Das Gründerservice für Jungunternehmer wird allseits gelobt, das Wifi-Institut genießt einen guten Ruf, wenn es nicht gerade den eigenen Zwangsmitgliedern Konkurrenz macht (siehe Artikel rechts), und die Außenhandelsstellen öffnen vielen Unternehmern jenseits der heimischen Grenzen Tür und Tor. Dafür bezahlen die heimischen Unternehmen jedes Jahr allerdings im Schnitt eine halbe Milliarde Euro. Kein Wunder, dass sie hoffen, dass ihr verpflichtender Obolus auch sinnvoll verwaltet und effizient eingesetzt wird.

Daran hegen manche allerdings Zweifel. Wer sich auf die Suche danach macht, wohin das Geld der Mitglieder fließt, verirrt sich schnell im unübersichtlichen Apparat Wirtschaftskammer. Denn die heimischen Unternehmer finanzieren mit ihren Beiträgen genau genommen nicht eine, sondern gleich zehn Wirtschaftskammern. Eine für den Bund und je eine für jedes Bundesland. Auch die sieben Sparten gibt es in allen Bundesländern noch einmal, und dort wiederum eine Unzahl an Fachgruppen und Fachvertretungen. In Summe sind es rund 860 Organisationen, die sich für die Anliegen einer guten halben Million Mitglieder verantwortlich fühlen (siehe Grafik).

Mietet sich ein niederösterreichischer Tischler einmal in der Woche auch in Wien in einem Büro ein, bezahlt er gleich zweimal (unterschiedlich hohen) Kammerbeitrag – und wird dreifach vertreten. Einmal in Wien, einmal in Niederösterreich und einmal im Bund. Meldet er ein zweites Gewerbe an, verdoppeln sich die Mitgliedschaften sofort. 90.691 Unternehmen waren 2013 Doppelmitglieder. Eines hatte sogar 26 Mitgliedschaften.


Leitls Reformen. So weit, so kompliziert. Bleibt die Frage: Warum das Ganze? Warum leistet sich die Wirtschaftskammer diese „Schrebergärten zur Selbstbefriedigung der Funktionäre“, wie Volker Plass von der Grünen Wirtschaft die 860 Untergruppen nennt. An Reformeifer mangelt es im Haus schließlich nicht. Noch nie in der 150-jährigen Geschichte der Wirtschaftskammer sei „so viel reformiert worden wie in den vergangenen neun Jahren“, freute sich der damalige Kammerpräsident Leopold Maderthaner schon 1999. Ein Jahr später kam Christoph Leitl – und startete die nächste Kammerreform.

Betriebswirtschaftlich ist tatsächlich einiges passiert. Die Kammer wurde insgesamt sparsamer, die Beiträge wurden etwas gesenkt, Pensionsprivilegien angetastet, die Fachorganisationen von über tausend auf 860 gestutzt.

Aber an den Grundfesten des komplizierten Systems hat auch Leitl nicht gerüttelt. „Solange es Bundesländer und Gemeinden gibt, brauchen wir das auch in der Kammer“, sagt Herwig Höllinger, stellvertretender Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich. Es brauche einen Ansprechpartner auf jeder Ebene. Das würden sich viele Mitglieder einfach von ihrer Kammer erwarten.

Das Festhalten an den verkrusteten Strukturen habe aber auch einen ganz realpolitischen Grund, meinen die Kritiker: Gemeinsam mit dem Wahlrecht zementiert die Organisation der Kammer die Macht des allmächtigen ÖVP-Wirtschaftsbundes ein. Denn wählen dürfen die Mitglieder nicht den Präsidenten direkt, sondern nur ihre Vertreter in der jeweiligen Fachgruppe. Ab dann wählen nur noch die Gewinner dieser Wahlen. Kleine Gruppen haben es damit schwer, bei den Wahlen wirklich zu reüssieren. Sie müssten hunderte Kandidaten finden, um auf allen Stimmzetteln zu stehen. „Wir haben 6000 Formulare ausfüllen müssen, um bei knapp über 400 Wahlen anzutreten“, sagt Plass. Die Neos haben nicht einmal ein Viertel davon geschafft. „Zugegeben“, für Kleinere sei es „nicht einfach“, sagt auch Höllinger. Nachvollziehen will er die Kritik dennoch nicht. Die Organisation sei nicht aus wahlarithmetischen Gründen, wie sie ist.


Privilegien der früheren Mitarbeiter. Günstiger käme eine radikal vereinfachte Struktur allemal, mahnt die Opposition. In den vergangenen neun Jahren stiegen die Zwangsbeiträge um ein Drittel, wie die Neos in einer parlamentarischen Anfrage herausgefunden haben. Seit 1999 (vor Leitls Reformen) stiegen sie um neun Prozent. Die Rücklagen summierten sich 2013 auf 685 Millionen Euro. Die jährlichen Ausgaben lagen noch einmal um 100 Millionen Euro höher.

Ein guter Teil dessen floss in die Privilegien der früheren Mitarbeiter. Seit 2012 gibt es zwar keine Zusatzpension mehr für neue Angestellte. 61,8 Millionen Euro – ein Fünftel des Personalaufwands – musste die Kammer 2013 dennoch für die Pensionen ihrer ehemaligen Angestellten ausgeben. Anspruchsberechtigt sind nur 1200 Menschen in Österreich. Und die sind streitlustig. Gegen den Versuch der Kammer, ihre Pensionserhöhungen zu kürzen, wollen sie klagen.


Wer prüft die Kammer? All das werden die Kammerwahlen wohl nicht ändern. Die programmierten Sieger haben wenig Interesse daran, an der Struktur der Kammer etwas zu ändern. Und objektive Kritik brauchen sie nicht zu fürchten. Der Rechnungshof darf die Kammern nur sehr eingeschränkt prüfen. Er darf zwar nachsehen, ob die Wirtschaftskammer Beiträge effizient einsetzt, aber nicht, ob die Strukturen sinnvoll und zweckmäßig sind oder nicht. Auf ausgegliederte Unternehmen hat der Rechnungshof keinen gesetzlichen Zugriff. Und selbst wenn es eine Prüfung gibt, muss die Öffentlichkeit das Ergebnis nicht zwingend erfahren. Die überprüften Kammern selbst dürfen entscheiden, wann und wie sie den Bericht veröffentlichen. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum für die Kammern weniger transparente Veröffentlichungsregelungen gelten als für alle anderen öffentlichen Einrichtungen“, sagt Rechnungshof-Präsident Josef Moser zur „Presse am Sonntag“. Der letzte Bericht sei im Internet auffindbar, kontert die Wirtschaftskammer. Das gelte allerdings nicht für alle bisherigen Überprüfungen. Solange der Gesetzgeber hier nicht eingreift, bleibt den Unternehmern also nicht mehr, als auf die Offenheit ihrer Kammer zu hoffen.

Wahlen

Termin. Von 23. bis 26.Februar können Unternehmen ihre Interessenvertreter in der Wirtschaftskammer wählen.

Kandidaten.
Gewählt werden die Mitglieder der Fachgruppenausschüsse und die Fachvertreter direkt. Flächendeckend antreten wird wohl nur der ÖVP-Wirtschaftsbund. Ins Rennen gehen auch der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband, der Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender, die Grüne Wirtschaft und erstmals die Liste Unternehmerisches Österreich, die den Neos zuzurechnen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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