„Wir werden den Europäischen Menschengerichtshof anrufen“

Anlegerklagen. Die Immofinanz kritisiert Richter und Gutachter.

Wien. Die Vergangenheitsbewältigung ist noch lang nicht abgeschlossen: Intransparente Wertpapiergeschäfte des früheren Managements, verstärkt durch die Finanzkrise, ließen die frühere Immofinanz 2008 an den Rand der Pleite schlittern. Tausende Anleger verloren ihr Erspartes und fühlten sich falsch beraten und irregeführt. 890 Klagen im Streitwert von 252 Mio. Euro folgten. Sie richten sich gegen die von Konzernchef Eduard Zehetner neu aufgestellte Immofinanz und gegen die Tochter Aviso Zeta, die Bad Bank der Constantia Privatbank, die einst die Immofinanz und die Immoeast managte.

589 Verfahren mit einem Streitwert von 245 Mio. Euro sind noch anhängig trotz hunderter Vergleiche und einiger rechtskräftiger Entscheidungen – für und gegen die Immofinanz. Für Zehetner und Immofinanz-Chefjurist Josef Mayer läuft in der Justiz einiges nicht rund: Sie werfen den Richtern mangelnde Objektivität und Gutachter Gerhard Altenberger Befangenheit vor.

Doppelrolle des Sachverständigen

„Wir haben 70.000 Aktionäre – wir müssen in ihrem und im Interesse des Unternehmens auf faire Verfahren drängen“, sagte Zehetner am Mittwoch. Letztlich werde man den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte befassen müssen. Gutachter Altenberger steht nicht zum ersten Mal im Kreuzfeuer der Kritik: Sein „Monopol“ als Sachverständiger in vielen prominenten Strafverfahren – so auch im ersten Immofinanz-Prozess rund um Aktienoptionsgeschäfte – ist einer der Angriffspunkte. Dazu kommt Altenbergers Doppelrolle: Er sei von der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren selbst mit Ermittlungen beauftragt worden und dann Gerichtssachverständiger auch im Hauptverfahren gewesen. Unabhängigkeit sei damit nicht gegeben, so Mayer.

Die oft kritisierte Doppelrolle von Gutachtern hat den Obersten Gerichtshof (OGH) bewogen, die Frage prinzipiell vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) klären zu lassen. Heute, Donnerstag, findet dazu eine erste öffentliche Verhandlung statt. Mayer geht davon aus, dass die Höchstrichter der bisherigen Gutachterpraxis einen Riegel vorschieben. Das würde freilich bedeuten, dass der Prozess gegen die ehemalige Immofinanz-Führung neu aufgerollt werden müsste.

Was Zehetner bei manchen Richtern am Handelsgericht Wien stört, ist, dass „das Verhalten des ehemaligen Management uns zugerechnet wird“. Er spricht von „kreativer Verfahrensführung“, mit der man die Überlastung loswerden wolle. So würden etwa Richter per gerichtsinternen Rundschreiben selbst Verfahren an sich ziehen und „sammeln“. Dies diene nur der gemeinsamen Gutachtenerstellung, danach sollen die Verfahren wieder getrennt werden.

Im Endeffekt finde so wieder keine Konzentration und Beschleunigung der Verfahren statt. Außerdem gebe es eine „Rechtsschutzlücke“: Viele Einwände seien wegen Verspätung oder ohne tiefere inhaltliche Prüfung der Einspruchsgründe zurückgewiesen worden. (eid)

("Die Presse", Printausgabe vom 26.2.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.