Zehn verlorene Jahre

(c) EPA (Robert Jaeger)
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2005 galt Österreich als ökonomisches Vorbild für Deutschland. Fehlende Reformen machten den Vorsprung aber zunichte.

Schwer zu glauben, aber es stimmt: Die ewig rückständigen Österreicher haben die Deutschen in den ökonomischen Daten tatsächlich überflügelt ... Vom Himmel gefallen sind diese Erfolge nicht. Die Österreicher neigen zwar auch dazu, Reformen ewig zu diskutieren – allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass sie die Ergebnisse am Ende konsequent umsetzen.“

Schwer zu glauben, aber diese Worte standen vor genau zehn Jahren wirklich in einem großen deutschen Nachrichtenmagazin. Und nicht nur das – es war unter dem Titel „Warum Österreich Spitze ist“ sogar die Cover-Geschichte des Magazins (siehe Faksimile). Österreich habe eine geringere Arbeitslosigkeit, ein kräftigeres Wirtschaftswachstum, eine niedrigere Neuverschuldung und eine höhere Kaufkraft pro Kopf, begründeten die Autoren damals ihr für die Republik so schmeichelndes Resümee. Ein Lob, das vor allem von der Politik gerne angenommen wurde. Im Fernsehen, bei Ansprachen, im Parlament – überall wurde diese Ausgabe des „Stern“ in den darauf folgenden Tagen stolz präsentiert.

Zehn Jahre später sieht die Welt jedoch längst wieder anders aus: Während hierzulande das Budgetloch weiterhin fixer Bestandteil der staatlichen Finanzpolitik ist, konnte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in der vergangenen Woche den dritten Überschuss in Folge vermelden. Am Arbeitsmarkt gibt es in Österreich einen Rekord nach dem anderen – bei der Höchstzahl der Arbeitslosen. In Deutschland hingegen sinkt die Arbeitslosigkeit seit Jahren. Grund dafür ist unter anderem das konstant stärkere Wachstum bei unserem nördlichen Nachbarland. Nur im letzten Punkt – bei der Kaufkraft pro Kopf – liegen die Österreicher noch knapp vor den Deutschen.

Was ist in diesen zehn Jahren passiert, dass Österreich nicht nur seinen einstigen Vorsprung einbüßte, sondern auch weit hinter die Bundesrepublik zurückfiel?

Am augenscheinlichsten ist diese Veränderung bei der Arbeitslosigkeit. 11,2 Prozent zählte die EU-Statistikbehörde Eurostat im Jahr 2005 für Deutschland, hierzulande waren es mit 5,2 Prozent weniger als die Hälfte. Genau zehn Jahre später vermelden die Statistiker gerade ein ökonomisches Überholmanöver: Denn seit Dezember 2014 liegt Deutschland mit 4,8 Prozent erstmals an der EU-Spitze. Gut, auch Österreich kann mit seinen 4,9 Prozent den Wert aus 2005 unterschreiten. Die Tendenz ist hierzulande aber schon seit Monaten wieder steigend.


Reformagenda. Zwei Reformen gelten als Grund für dieses deutsche Arbeitswunder. Da wäre zuerst einmal die Agenda 2010 des deutschen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder. Dieser wurde für die darin enthaltene Liberalisierung des Arbeitsmarktes zwar von Gewerkschaften und linkem Parteiflügel geprügelt und verlor schlussendlich die Wahl. Laut einer Studie des DIW sorgte sie jedoch dafür, dass im Aufschwung mehr Jobs geschaffen und in der Krise auch mehr davon erhalten wurden.

Aber nicht nur die Agenda half dem deutschen Arbeitsmarkt auf die Sprünge. Schon früher – in den 1990er-Jahren– wurde die Lohnfindung in Deutschland sehr stark auf die betriebliche und regionale Ebene heruntergebrochen. Dies sorgte dafür, dass sich die Lohnsteigerungen nach der individuellen Kraft der Firmen richteten, weshalb auch schwächere Firmen neue Jobs schaffen konnten, wie eine Studie der Uni Berlin ergab. In Österreich wird zwar seit Jahren über mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt diskutiert – große Ergebnisse blieben bislang jedoch aus.

Die aktuelle deutsche Regierung ist aber nicht nur Erbin von Reformen – sie sorgte bei den Staatsfinanzen auch selbst für welche. 2009 verpasste sie sich eine Schuldenbremse, die seither auch konsequent umgesetzt wurde. Die Folge: Seit 2012 erzielt der Gesamtstaat einen Überschuss, seit dem Vorjahr sind auch alle Teilbereiche (Gemeinden, Länder, Bund, Sozialversicherungen) im Plus.

Zwar gibt es auch hierzulande seit 2011 eine Schuldenbremse. Dass sie es aber nicht einmal in den Verfassungsrang geschafft hat, zeigt die Bedeutung, die dem konsequenten Sparen hierzulande von der Politik beigemessen wird. Dies, obwohl in einer Vielzahl empirischer Studien gezeigt wurde, dass hohe Staatsschulden wachstumshemmend wirken. Im Gegenzug kann Sparsamkeit zu ganz konkreten Wachstumsimpulsen führen – etwa in Form von sinkenden Lohnnebenkosten, wie das 2013 in Deutschland geschehen ist. Damals erreichten die Sozialversicherungen die Höchstgrenze ihrer Nachhaltigkeitsrücklagen. Die Folge: Die Beiträge für die Versicherten wurden um fast vier Prozent gesenkt.


Wachstum. Damit konnte Deutschland seinen Vorsprung bei der Abgabenquote gegenüber Österreich weiter ausbauen. Während hierzulande im Vorjahr 43,9 Cent jedes erwirtschafteten Euro an den Staat gingen, waren es in Deutschland nur 39,6. Nicht zuletzt das sorgt für eine bessere Stimmung zwischen München und Hamburg, die zu mehr Konsum und in der Folge mehr Investitionen führt. Im vierten Quartal lag Deutschlands Wachstum doppelt so hoch wie der EU-Schnitt. In Österreich war es ein Drittel.

Natürlich begeht auch die Politik in Berlin Fehler. Vor allem jenen, dass sie sich von dem derzeitigen Boom blenden lässt und Reform-Rückschritte wie die „Rente mit 63“ eingeführt hat. Dies könnte Deutschland in einigen Jahren wieder deutlich zurückwerfen. Relativ würde Österreich somit etwas zulegen. Absolut gesehen wäre das aber viel zu wenig.

Zahlen

11,2Prozent betrug die deutsche Arbeitslosenrate im Jahr 2005. Zuletzt lag sie bei lediglich 4,8 Prozent – niedriger als jene Österreichs.

18Milliarden Euro Überschuss konnte Deutschlands Finanzminister vergangene Woche für das Jahr 2014 vermelden. In Österreich wird ein Defizit von rund 3,6 Mrd. Euro erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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