Kreativwirtschaft: Jung, dynamisch, prekarisiert

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Nehmt die Prekären aus der Kreativwirtschaft, sagt der Soziologe und Philosoph Maurizio Lazzarato,und eine ganze Branche bricht zusammen. Rechte haben sie trotzdem keine.

Stehen Arbeitslosenversicherung und ein starkes Sozialsystem nicht im Widerspruch zu den Werten der Kreativarbeiter wie Freiheit, Selbstorganisation...?

Maurizio Lazzarato: Im Gegenteil. Das lässt sich gut anhand der Beschäftigungszeiten erläutern. Bevor das System der Intermittence (siehe Kasten) reformiert wurde, waren die Phasen der Arbeitslosigkeit Zeiten, in denen man eigenen Projekten nachgehen, Neues ausprobieren oder einfach nur ein Buch lesen konnte. Die Arbeitslosenhilfe gab den Menschen die Freiheit, sich diesen Tätigkeiten zu widmen, die für kreatives Arbeiten ja essenziell sein können. Jetzt gibt es diese Zeiten nicht mehr, weil die Leute gezwungen sind, ständig zu arbeiten, um ihr Leben bestreiten zu können.

Und das bedeutet?

Das bedeutet, dass das System so, wie es jetzt besteht, antikreativ ist. Die Menschen in diesen Arbeitsrhythmus zu drängen, ist antikreativ. Die Tatsache, dass die soziale Sicherheit abgenommen hat, verringert die Freiheit. Die Neoliberalen denken, dass die Kulturarbeiter jetzt mehr unter der Kontrolle des Staates stehen. Weil sie strenger überprüft werden. Aber in Wahrheit stehen sie unter der Kontrolle des Marktes, das ist viel schlimmer.

Die Liberalen fragen sich doch aber auch, wie die Gesellschaft dazu kommt, die Ideenfindungsphasen und die Freizeit von Kreativen zu finanzieren.

Der Kreativbereich ist ein Wirtschaftssektor wie alle anderen. Und erwirtschaftet sogar große Reichtümer. Das Problem war viel eher: Die Bewegung der Intermittents schlug vor, dass ihr Arbeitslosenmodell für alle unregelmäßigen Beschäftigungsverhältnisse gelten solle, nicht nur für den Kunst- und Kreativbereich. Denn in Wahrheit war es ein System gegen das Prekariat ganz allgemein. Aber das wollten weder die Gewerkschaften noch die Unternehmer.

In dieser Diskussion haben Sie immer wieder auch Begriffe kritisiert, auf denen das traditionelle Arbeitssystem maßgeblich aufbaut: Produktivität, Effizienz...Was ist falsch an diesen Begriffen?

Unsere Vorstellung von Produktivität ist an die Industrie gekoppelt. Ohne allzu sehr ins Detail gehen zu wollen, wie sie berechnet wird: Berücksichtigt wird dabei in erster Linie die Produktivität der Arbeitsleistung, die man benötigt, um etwas herzustellen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, denn zum anderen Teil besteht Produktivität aus einem komplexen System, in das auch andere Faktoren einfließen, Bildung zum Beispiel oder Gesundheit. Die Bildung fängt im Alter von fünf, sechs Jahren an und hört mit 25 auf. Das ist enorm viel Arbeit, die sich die Firmen gratis aneignen. Wer bezahlt das? Tatsächlich müssen wir das Konzept von Produktivität völlig neu überdenken.

Das Motto der Kulturarbeiter ist „Jung, dynamisch, erfolgreich“. Wie lauten Ihre Vorschläge für eine Kreativklasse, die altert?

Das ist nicht nur ein Problem der Kreativklasse. Aber gut, sie sind exponierter als andere. Der Arbeitsmarkt in der Kreativindustrie ist sehr ungleich. Es gibt die befristet Angestellten, die freien Mitarbeiter, selbstständige Unternehmer...Diese Ungleichheit ist das größte Problem. In der Industrie gibt es das nicht, denn die Arbeiterbewegung hat zwei Jahrhunderte lang für ihre sozialen Rechte gekämpft. Aber in der Kreativbranche sehen wir uns einer Situation gegenüber, in der manche fast gar keine Rechte haben. Mehr noch, jede intellektuelle Arbeit ist der Krise und dem Prekariat ausgesetzt, die freien Mitarbeiter in den Medien, die Architekten, und besonders schlimm ist es an den Universitäten. Dort ist jeder zweite prekär. Schmeißen Sie die Prekären aus den Universitäten, und der Betrieb steht still. Dasselbe gilt für die gesamte Kreativindustrie: Sie wird von den Prekären am Laufen gehalten. Wenn man all diese Menschen wegnimmt, bricht die ganze Branche zusammen. Wir müssen also Formen der sozialen Absicherung finden, die auf diese unregelmäßigen Beschäftigungsverhältnisse zugeschnitten sind. Für alle Branchen.

Stehen wir da an einem ähnlichen Punkt wie zu Beginn der Industriellen Revolution?

Es ist eher vergleichbar mit der Krise um 1929. Aus der sind wir wieder herausgekommen, indem wir den Industriearbeitern mehr Rechte gegeben haben. Aus der heutigen Krise werden wir meiner Meinung nach herauskommen, indem wir den Prekären mehr Rechte geben. Das Problem spitzt sich ja schon seit den 1980ern zu; es ist eine Realität, dass nur eine kleine Elite fix angestellt ist, während dahinter ein Heer an Menschen arbeitet, die den freien Marktkräften ausgesetzt sind. Der Markt reguliert ihre Existenzen. Meiner Meinung nach muss man dafür eine Lösung finden.

Sie glauben also nicht, dass die Kreativen eine Blaupause für die Arbeitswelt von morgen sind?

Ich hoffe nicht. Wenn wir so weitermachen, werden wir noch viel mehr Menschen prekarisieren. Im Übrigen stellt uns die Krise vor ein Problem: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Diese liberale Ideologie der Ich-AG, dass jeder autonom und eigenverantwortlich ist, all das funktioniert für mich nicht. Das ist kein Modell, das man bis ins Unendliche wiederholen kann, es ist ein Modell, das jetzt seinem Ende zugeht. Ich denke, die Krise derzeit ist keine Finanzkrise, sondern eine Arbeitsmodellkrise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

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