Investmentbanker: Auf den Schlips getreten

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Investmentbanker sind in London zur Zielscheibe des Volkszorns geworden. Wie ergeht es jungen Österreichern und Deutschen, die dort in der Finanzbranche ihr Glück versucht haben?

In besseren Zeiten hätte sich Philip über das E-Mail der Geschäftsführung gefreut: Endlich einmal kein Nadelstreif, keine eng gebundene Krawatte, und das per Dekret von oben. Zwei Tage lang ist der strenge Dresscode der Investmentbank außer Kraft gesetzt. Ach ja, und die Aktentasche mit dem Firmenlogo soll auch zu Hause bleiben. Kundentermine? Bitte absagen.

„Fools day“ heißt der erste April auf Englisch, der Tag der Narren. Verrückt war auch, was sich diese Woche im Umfeld des G20-Gipfels in der City of London abgespielt hat. In der Finanzmetropole wurden Banker, die sich also solche zu erkennen gaben, von wütenden Demonstranten beschimpft, bespuckt und bedroht. Aus den Helden der Arbeit, der fetten Boni und Partys sind die Buhmänner der Nation geworden – auch wenn sie Österreicher sind.

»Da war ich mehrere Wochen auf einem Trip wie ein Drogenjunkie.«

Vor sechs, acht, zehn Jahren waren sie hoffnungsfroh nach London gezogen, mit MBA-Abschlüssen der besten Business Schools im Gepäck, um das große, das wirklich große Geld zu machen. Sie heuerten an und wurden genommen, bei Goldman Sachs, bei J.P.Morgan, bei der Deutschen Bank. Lauter junge, ziemlich smarte Leute.

Die einen wurden Trader, die anderen kamen zur Finanzierung von Unternehmenskäufen oder Fusionen. In einer Tretmühle landeten alle: „Wer schnell nach oben will, passt sich an und lässt sich leicht manipulieren“, räsoniert Johannes im Nachhinein. Das heißt: arbeiten auch nach Mitternacht, bis zu 130 Stunden pro Woche, vor allem vor dem Abschluss eines großen Deals.


Schampus und Kokain. „Da war ich mehrere Wochen lang auf einem Trip wie ein Drogenjunkie. Im Vergleich zu einem herausfordernden Job in Österreich heißt das: Schlagzahl mal drei.“ Bis der Körper sich wehrt: „Einmal hab ich einen Flug zu einem Kunden versäumt, weil mich sogar fünf Wecker nicht aus dem Schlaf reißen konnten.“ Wenn der Kauf oder die Fusion unter Dach und Fach war, gaben so manche erst recht Gas: „Partys, Clubs, Schampus und Kokain – viele haben das dann gebraucht.“

Die Lust aufs Feiern ist ihnen nun gehörig vergangen. „Das Adrenalin ist draußen“, meint Philip, die Stimmung ist mies, die Messer werden gewetzt. Bei der Unternehmensfinanzierung flog ein Drittel aller Angestellten raus, bei der M&A-Beratung ein Viertel. Jene Abteilungen, die das meiste Unheil angerichtet haben, werden meist zur Gänze aufgelöst. Die Kreditderivatzocker, die Schöpfer kreativer Wertpapiere aus Hypothekardarlehen, die Vorstände, die das Eigenkapital der Banken mit dem Dreißigfachen an Schulden hebelten – sie alle haben mittlerweile ihren Job in der Giftküche der Hochfinanz verloren.

Dumm und dämlich verdient. „Davor haben sie sich freilich „dumm und dämlich verdient“, weiß Johannes. Für jedes verkaufte Kreditpaket, mit dem die heiße Kartoffel eines immer unkalkulierbareren Risikos weitergereicht wurde, klingelte die Kasse. Zwei bis drei Prozent auf das Volumen war der Stempel auf dem Vertrag wert.

In einem Fall erzielten 30 Mitarbeiter in einem Jahr 300 Millionen Pfund an Provisionen. Für solche Gewinne gab es nicht selten Boni zwischen ein und drei Millionen – zumindest in jenen fünf Prozent des Geschäfts, die dann 95 Prozent der Verluste verursachten und das globale Finanzsystem fast zum Einsturz brachten.

Jetzt tun sich die selbsternannten Finanzgenies schwer, einen neuen Job zu finden. Johannes ist vor zwei Jahren auf die Käuferseite gewechselt, zu Hedgefonds und Private Equity. Vom Regen in die Traufe, denn dort war der Kahlschlag noch brutaler: „Von knapp 200 Fonds in der City gibt es nur mehr 60, und auch sie verharren in einer Art Totenstarre, weil es kein frisches Kapital und keine neuen Deals gibt.“ Nur sieben sind aktiv – vor allem Geierfonds, die sich auf notleidende Kredite und Unternehmen stürzen. Immerhin hat Johannes Arbeit, und sogar mehr Freizeit.

»Gefeuert wird, wer nicht Teil einer Seilschaft ist.«

Ein deutscher Banker hingegen, der zehn Jahre lang steil bergauf geklettert war, wurde aus der Karrierebahn geworfen. Der freundliche kleine Mann Mitte dreißig sieht aus wie Saint-Exupérys kleiner Prinz, doch seine Worte klingen bitter: „Gefeuert wird, wer nicht Teil einer politischen Seilschaft ist. Die Verantwortlichen für die Skelette im Schrank sitzen immer noch im Sattel.“ Mit der Bank seines Misstrauens hat der Jahrgangsbeste einer renommierten Business School gebrochen, in der Branche will er bleiben. Er geht die Sache gelassen an. Ein Jahr Auszeit zahlt er aus der Portokasse. Und sich den ganzen Tag um seine beiden Kinder zu kümmern, das ist für ihn eine ganz neue Erfahrung. Andere traf es härter, selbst wenn sie ihren Job gerettet haben. „Weil es so lange so gut lief, machten viele den Fehler, fix mit ihrem Bonus zu rechnen“, erklärt Philip. Er rechnet vor: 130.000 als Fixum, das sind etwa 80.000 netto – mit drei Kindern in guten Privatschulen und einer Hypothek sitzt ein Banker da schon in der Schuldenfalle.

Hedonisten wie Philip haben es leichter, auch wenn sie die Hälfte ihres Einkommens verlieren. Statt wilde Nächte in teuren Clubs zu verbringen, grillt er heute zu Hause Polenta mit Gemüse und gönnt sich mit seiner Freundin vom Sofa aus einen Film.

Freilich: Keiner der schlauen Banker empfindet eine Mitschuld am Systemcrash und seinen fatal realen Folgen. „Ich hab mich schon seit 2006 gefragt, wie das noch weitergehen kann“, gesteht der „kleine Prinz“. Als es dann krachte, kaufte sich sein amerikanischer Boss eine Knarre, „aus Angst vor sozialen Unruhen“. Freilich war viel zu viel billiges Geld im System, gibt auch Philip zu: „Aber nur Politiker hätten das stoppen können“ – durch Regulierung, durch Mindesthöhen für das Eigenkapital der Banken, durch strengere Anforderungen an Hypothekardarlehen. „Aber diese Pharisäer sind doch die Letzten, die auf mehr kurzfristiges Wachstum und neue Jobs verzichten. Niemand stoppt eine Party, in der die Stimmung auf dem Höhepunkt ist.“

Immerhin, die Banker machen sich nun ein paar Gedanken über die Folgen ihres Tuns. „Dieses So-what-Grinsen, einfach Mitnaschen, Sich-selbst-und-das-System-nicht-ganz-ernst-Nehmen – damit ist es vorerst vorbei“, resümiert Johannes. Freilich haben alle drei mit der Londoner Luft auch eine Brise angelsächsischen Pragmatismus eingesogen: „Versuchen wir, aus dem Schlamassel rauszukommen. Lasst uns den Mist wegräumen und weiterleben. Und sehen wir zu, dass uns diese Demonstranten nicht die Nasen blutig schlagen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

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