Die Schikanen der Krankenkassen

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Für heuer erwarten die Krankenkassen ein Defizit von 129 Millionen Euro. Mit Betriebsprüfungen und dem Kampf gegen Scheinselbstständige sollen unter anderem die leeren Töpfe gefüllt werden. Doch nun regt sich Widerstand.

Die Vorgangsweise der Gebietskrankenkasse sei nicht in Ordnung, kritisiert Hilda Enzenhofer. Die gebürtige Niederösterreicherin hat zwei Jobs. Sie leitet in Niederösterreich den Familienbetrieb, einen Bauernhof. Daneben übernimmt sie in Vorarlberg als Unternehmensberaterin und freiberufliche Trainerin Aufträge in der Erwachsenenbildung.

„Ich bin Inhaberin von zwei Gewerbescheinen und überzeugte Selbstständige“, so Enzenhofer im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Sie trägt als selbstständige Ein-Personen-Unternehmerin (EPU) das volle Unternehmensrisiko, kann dafür aber flexibel sein. Sie kann zum Beispiel Aufträge annehmen oder ablehnen.

„Nur so ist es für mich möglich, zwei Jobs gleichzeitig auszuüben. Bei einer Anstellung wäre ich weisungsgebunden“, sagt Enzenhofer. Doch die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VKGG) akzeptierte das nicht. Sie stellte im Zuge einer Betriebsprüfung beim Erwachsenenbildungsinstitut Comino fest, dass es sich bei Enzenhofer um eine Scheinselbstständige handelt. Die Trainerin wurde per Bescheid im Nachhinein zwangsangestellt, was mit Nachzahlungen verbunden ist. Seit drei Jahren kämpft die Trainerin gegen die von der VKGG vorgenommene Zwangsanstellung – bis zum Verwaltungsgerichtshof.


In Ruhe arbeiten. In der Wirtschaft findet man immer wieder Unternehmen, die Mitarbeiter aus Kostengründen zur Scheinselbstständigkeit drängen. Hier ist das Vorgehen der Finanz und der Krankenkassen verständlich. „Doch es gibt nicht wenige Menschen wie mich, die sich freiwillig für die Selbstständigkeit entscheiden haben.“ Für sie, so Enzenhofer, sei die Selbstständigkeit die beste Form. „Ich zahle hohe Beiträge an die Finanz und an zwei Krankenkassen: an die SVA der gewerblichen Wirtschaft und jene der Bauern. Ich will nichts anderes, als in Ruhe arbeiten.“

Betriebsprüfungen seitens der Finanz und der Gebietskrankenkassen werfen zunehmend Fragen auf. Einen Fall zeigte die „Presse am Sonntag“ im Februar auf. Das Bundesfinanzgericht beschäftigt sich gerade mit der Frage, ob freiberufliche Pflegekräfte angestellt werden müssen.

In Österreich gibt es rund 7000 bis 8000 selbstständige Diplomkrankenpfleger. Zu Spitzenzeiten (wie in der Urlaubszeit oder bei einer Grippewelle) rufen die Krankenhäuser und Pflegeheime bei einer Vermittlerfirma an – und diese schickte dann freiberufliche Pflegekräfte. Das Finanzamt behauptet nun, dass hier eine Scheinselbstständigkeit vorliege und die Pflegerinnen und Pfleger angestellt werden müssten. Doch die Betroffenen wollen dasnicht. Sie haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden, weil sie zeitlich flexibel sein möchten.


Recht auf Selbstständigkeit. Es gibt Pfleger, die aus familiären und privaten Gründen nur wenige Monate im Jahr arbeiten wollen und können. Sie bevorzugen eine freiberufliche Tätigkeit. Im April oder Mai dürfte das Bundesfinanzgericht im konkreten Fall eine Entscheidung treffen.

Das Verfahren könnte Auswirkungen auf die 51.000 selbstständigen 24-Stunden-Pfleger in der Altenpflege haben. Denn auch diese sind nicht angestellt. Die meisten 24-Stunden-Pfleger kommen aus Osteuropa, vor allem aus der Slowakei. Ohne sie würde die Altenpflege in Österreich vermutlich zusammenbrechen.

„Es muss in Österreich ein Recht auf Selbstständigkeit geben. Jeder Mensch soll entscheiden dürfen, ob er angestellt sein oder als selbstständiger Auftraggeber arbeiten möchte“, sagt Christian Ebner, Unternehmensberater und Obmann von Freemarkets.at, einer parteiunabhängigen Interessenvertretung für Unternehmer und Manager. Er hat den Eindruck, dass Finanzämter und Gebietskrankenkassen derzeit einen regelrechten Feldzug gegen Selbstständige gestartet haben. Das dürfte finanzielle Gründe haben.


Defizitäre Kassen. Seit Jahren verlangt die Opposition aus Kostengründen die Zusammenlegung der 22 Sozialversicherungsträger. Ebner spricht sich dagegen für die freie Wahl der Sozialversicherung aus – wie dies in der Schweiz möglich ist. „Das Problem beim System der Zwangsversicherung sind ja nicht nur die Verwaltungskosten für mehrere Sozialversicherungsträger, sondern auch die Tatsache, dass die Sozialversicherungen schlicht die Kosten nicht im Griff haben“, so Ebner. „Die Sozialversicherungskosten gehören zu den höchsten in ganz Europa.“

Nach mehreren Jahren mit positiven Abschlüssen werden Österreichs Krankenkassen heuer wieder ins Minus rutschen. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger erwartet für 2015 ein Defizit von 129 Millionen Euro. Nur drei Kassen dürften in diesem Jahr positiv bilanzieren: die Salzburger Gebietskrankenkasse, die Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft.

Ebner von Freemarkets.at verlangt, dass Gebietskrankenkassen und Finanzämter nicht mehr über eine Zwangsanstellung entscheiden dürfen. „Es wäre besser, wenn nur die betroffenen Auftragnehmer beziehungsweise die freien Dienstnehmer auf Anstellung klagen können. In diesem Fall sind die Arbeits- und Sozialgerichte zuständig“, so Ebner.

Ergibt eine Prüfung der Gebietskrankenkasse, dass Selbstständige angestellt werden müssen, können die Abgaben rückwirkend für fünf Jahre eingefordert werden. Dabei geht es um beachtliche Summen. Laut Ebner liegen die ASVG-Beiträge bei Angestellten bei 41,33 Prozent des Bruttoverdienstes (inklusive der Mitarbeitervorsorgekasse). Bei Selbstständigen sind es nur 27,68 Prozent.

„Bei Zwangsanstellungen können daher die Gebietskrankenkassen rückwirkend hohe Beiträge verlangen“, sagt Ebner. Seiner Ansicht nach seien die Gebietskrankenkassen und die Finanz bei ihrem Kampf gegen Selbstständige massiv von finanziellen Eigeninteressen getrieben. „Wird man im Nachhinein zwangsangestellt, hat man keinen Nutzen davon. Ich kann im Nachhinein keine arbeitsrechtlichen Ansprüche mehr stellen, kann weder einen Urlaub konsumieren noch in Krankenstand gehen“, ärgert sich Enzenhofer, die von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse per Bescheid zwangsangestellt wurde.


Existenzbedrohende Folgen. Die Trainerin versteht nicht, dass die Politik zulasse, „dass Gebietskrankenkassen Unternehmen in den Ruin treiben, weil sie selbst nicht in der Lage sind, ordentlich zu wirtschaften“.

Denn die nachträglichen Zwangsanstellungen haben für Betriebe unter Umständen existenzbedrohende Folgen. So geriet in der Steiermark beispielsweise die Firma N&N-Eventtechnik in finanzielle Schwierigkeiten. Das Unternehmen war auf die Vermittlung von Technikern für Veranstaltungen spezialisiert. Die Techniker waren nicht angestellt, da die Kunden die Dienstleistungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Anspruch nahmen.

Bei einer Überprüfung stellten die Finanz und die steiermärkische Gebietskrankenkasse fest, dass die freiberuflichen Techniker angestellt werden müssen. „Das Ganze sieht nach Behördenwillkür aus“, sagt Ebner von Freemarkets.at.

Die Vorstände und Kontrollversammlungen der Gebietskrankenkassen werden von den Arbeiterkammern und Wirtschaftskammern besetzt. In der Wirtschaftskammer verfügt die ÖVP über eine absolute Mehrheit, in der Arbeiterkammer hat die SPÖ das Sagen. Die Gebietskrankenkassen weisen den Vorwurf der Willkür zurück. Bei der VKGG heißt es, dass man sich an die Gesetze und die Judikatur halte. Doch laut Ebner sei gerade die gesetzliche Regelung schwammig. Es sei für Unternehmen daher nicht immer leicht zu beurteilen, „ob jemand selbstständig, freier oder echter Dienstnehmer ist“.


Warten auf eine Lösung. SPÖ und ÖVP ist die Problematik durchaus bekannt, doch konkrete Lösungsvorschläge wurden bislang nicht umgesetzt. Auch Peter McDonald, Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, verlangt hier Änderungen. „Weder die aktuelle Gesetzeslage noch die geübte Verwaltungspraxis garantiert zurzeit die für Unternehmer so notwendige Klarheit und Sicherheit“, schreibt McDonald an Hilda Enzenhofer, die sich mit der Vorarlberger Gebietskrankenkasse herumstreitet. „Die derzeitige Praxis, dass bei diesem Zuständigkeitsstreit zwischen Sozialversicherungsträgern ein Beteiligter – nämlich die Gebietskrankenkasse – im Alleingang über die Zuständigkeit entscheiden kann, ist meiner Ansicht nach höchst bedenklich“, so McDonald.

Er hatte sich dafür eingesetzt, dass dieser Punkt in das Regierungsabkommen zwischen SPÖ und ÖVP aufgenommen wurde. Doch ob und wann die Regierung dies tatsächlich umsetzen wird, ist unklar.

Branchen

Folgende Berufsgruppen müssen sich mit Fragen zur Selbstständigkeit beschäftigen und werden deswegen oft kontrolliert: Unternehmensberater, Trainer, Pfleger, Steuerberater, Immobilienmakler, im Bau- und Baunebengewerbe Tätige, Journalisten, Reinigungspersonal, Skilehrer und EDV-Unternehmer. Selbstständige sollten alles genau mit den Auftraggebern abklären und dokumentieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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