Ohne die Russen würde es die OMV gar nicht geben

(c) Bloomberg (Andrey Rudakov)
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Seit 60 Jahren verbindet die OMV und Gazprom eine eigentümliche Freundschaft. Schon allein deshalb passt Rainer Seele als neuer Chef optimal.

Wien. Erst in der Not zeigt sich, wer die wahren Freunde sind. Noch-OMV-General Gerhard Roiss mag sich an diesen Spruch erinnert haben, als er vergangenen Sommer mit Gazprom-Chef Alexej Miller den umstrittenen Teilstückbau der damals geplanten Gaspipeline South Stream ins heimische Baumgarten besiegelte. Aus Europa hagelte es Kritik. Just am Höhepunkt der Krim-Krise Russland demonstrativ die Hand zu reichen, hätte sonst kein europäischer Konzern gewagt. Und schon gar kein Staatsbetrieb. Es war eine Freundschaftsbekundung zur Unzeit.

Und doch passt sie gut ins Bild dieses innigen Verhältnisses, das der österreichische Mineralölkonzern mit dem Gaslieferanten aus Russland hat. Ein Verhältnis, das auch der Neue im Konzern nicht in Gefahr bringen wird. Denn, wenn der designierte OMV-Chef Rainer Seele für etwas bekannt ist, dann für seine Nähe zu Moskau. Europas Sanktionen gegen Putins Regime hält er für Unfug. Kein Wunder, arbeitete er als Wingas-Chef doch einst selbst für Gazprom. Auch die gesamte deutsche Wintershall breitete sich unter seiner Führung stark in Russland aus. Als einer von wenigen westlichen Konzernen dürfen die Deutschen in Putins Reich nach Gas bohren. Im Vorjahr hätte man sogar weitere Lizenzen in Sibirien erhalten sollen. Nur der offene Bruch mit der EU ließ den Kreml die Reißleine ziehen.
Wenn Seele im Juli den Job in Wien antritt, ist eines klar: Der Deutsche ist der ideale Mann, um die Beziehung der OMV mit Gazprom zu vertiefen. Aber was bindet die Konzerne so eng aneinander?

„Über den Tisch gezogen“

Ihren Ursprung hat die gemeinsame Geschichte in der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg – einer Zeit, zu der es die OMV noch gar nicht gab. Sie wurde ja erst 1956 gegründet. Nach dem Einmarsch der Roten Armee übernahmen die Sowjets die Ölfelder Österreichs und beuteten sie mit der Sowjetischen Mineralölverwaltung (SMV) zehn Jahre lang aus, erklärt der Grazer Wirtschaftshistoriker Walter M. Iber. Ganze 17,8 Mio. Tonnen wurden meist ohne Steuerabgaben gefördert. Österreich war damals eines der attraktivsten Förderländer, in dem zuvor angloamerikanische Ölmultis tätig gewesen waren. Eigentlich hatten die Sowjets die Öllizenzen aus dem „deutschen Eigentum“ übernommen und so eine Rückkehr der US-Firmen verunmöglicht.
Erst das hat der späteren OMV den Weg bereitet: „Ohne Russland würde es die OMV als großen Player nicht geben“, so Iber. Gewiss, Österreich musste sich seinen ganzen Erdölkomplex sündteuer von den Sowjets zurückkaufen. Österreich hat sich zu sechs Mio. Tonnen Ablöselieferungen verpflichtet, obwohl die Russen – wie später hervorging – mit 4,1 Mio. Tonnen zufrieden gewesen wären. „Die Österreicher sind über den Tisch gezogen worden“, erklärt Iber: „Und die Betriebe waren von den Sowjets ausgelaugt.“

Bezeichnend sind aus dieser Zeit mehrere Momente. Zum einen, dass Österreichs neuer staatlicher Ölkonzern seinen Firmennamen trotz aller negativen Vorereignisse gleich an den der Sowjets anlehnte: Aus SMV wurde kurzerhand OMV.

Zum anderen springt ins Auge, dass mit Margarethe Ottillinger eine Frau die Leitung des Konzerns übernahm, die eben aus dem sibirischen Gulag zurückgekehrt war, wohin sie nach ihrer dubiosen Verhaftung durch Sowjets in Österreich 1949 deportiert worden war. Die Ex-Sektionsleiterin im Ministerium für Vermögensbildung hatte im Lager Russisch gelernt und handelte später als OMV-Chefin die Lieferverträge aus. „In der OMV war der einzige Mann eine Frau“, hieß es über sie, die der OMV bis 1982 vorstand.

Pionier und Steigbügelhalter

Tatsächlich gelang erst Ottillinger die eigentliche Annäherung zu Moskau. Anfang der Sechzigerjahre wurde klar, dass Österreich mit der Energie im Land nicht auskommt. Lieferanten wurden gesucht. Jene im Westen jedoch waren weit weg, im Osten aber reichte die Leitung der Russen schon nahe an Österreichs Grenze. Am 1. Juni 1968 unterzeichnete Österreich als erstes westliches Land einen Gasliefervertrag mit den Russen.

Auch damals war der Schritt politisch heikel. Im selben Jahr schlugen die Truppen des russisch geführten Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei den Prager Frühling nieder. Doch Österreich wusste Politik und Geschäft stets gut zu trennen und wurde so zum Steigbügelhalter der Russen in Europa. Nur ein halbes Jahr nach Österreich unterzeichneten auch die Deutschen einen Gasliefervertrag mit Moskau. Natürlich in Wien.
Diese Pioniertat hat Russland der OMV nie vergessen. Aber nicht nur atmosphärisch, auch wirtschaftlich war der Vertrag für das Unternehmen goldrichtig. Österreich konnte Baumgarten als eine Art Gas-Brückenkopf für ganz Europa aufbauen. Große Gasleitungen nach Italien und Deutschland wurden gebaut. „Die OMV wurde zum wichtigen Partner der Russen“, so Gerhard Mangott, Osteuropa-Experte der Universität Innsbruck. Am Betrieb dieser Pipelines verdiente aber auch die OMV stets gut. Selbst 1993, in einem der wenigen Verlustjahre des Konzerns, steuerte das Gasgeschäft als einzige Sparte ein paar hundert Millionen Schilling Gewinn bei.

Schief hängender Haussegen

Erst in den vergangenen Jahren führten die Umwälzungen auf dem Gasmarkt dieses Modell ad absurdum. Russisches Gas wurde zu teuer, um in Europa noch rentabel weiterverkauft zu werden. „Die Russen haben lange gebraucht, um das zu verstehen“, sagt Österreichs Energieregulator Walter Boltz. „Das hat die Beziehung gestört.“

Doch der Haussegen hing nicht zum ersten Mal schief. Die Beziehung zu Russland war stets ambivalent. Auf der einen Seite waren die Konzerne so eng verflochten, dass 1993 bei der Privatisierung der OMV um ein Haar Gazprom den Zuschlag bekommen hätte. Auf der anderen Seite scherte die OMV vormittags wiederholt aus der prorussischen Linie aus, um nachmittags die langjährige Partnerschaft zu begießen.

Am offenkundigsten kam diese Doppelstrategie wohl mit dem Nabucco-Projekt auf den Prüfstein. Just die OMV trieb den geplanten Bau einer europäischen Gaspipeline voran, die explizit zum Ziel hatte, sich von Russland als Lieferanten unabhängig zu machen. Gazprom war stets ein strikter Gegner des Projekts, drückte bei Österreich aber offenbar ein Auge zu.

Weder heiß noch kalt

Anders sieht das bei deutschen Unternehmen aus. Sie haben sich rasch um eine klare Beziehung zu Russland bemüht. Weder E.On noch Rainer Seeles Wintershall nahmen an Nabucco teil, sondern schlossen sich dem russischen Konkurrenzprojekt South Stream an. Der deutsche RWE-Konzern hingegen, der nie mit den Russen dealte, beteiligte sich an Nabucco.

Während sich die deutschen Konzerne also zwischen heiß und kalt entschieden, wollte die OMV beides. Noch während sie federführend Nabucco vorantrieb, unterzeichnete Österreichs Regierung mit der russischen ein Abkommen zur Teilnahme an South Stream. „Die Intention der OMV war, eine Sonderrolle mit Gazprom aufzubauen“, so ein deutscher Gasmanager, der anonym bleiben möchte: „Es war mutig, und in gewisser Weise haben sie es auch geschafft.“ Haben sie nicht, widerspricht Mangott: „Die Strategie des ,Sowohl als auch‘ ist nicht aufgegangen. Sie hat eher geschadet. Die OMV hat an Sympathie bei Gazprom verloren.“
Mittlerweile sind sowohl die Nabucco als auch die South Stream Geschichte. Die neue Gasleitung soll nun durch die Türkei in Richtung EU gehen. Auch daran könnte die OMV rasch Gefallen finden. Hauptsache, das Gas landet in Baumgarten bei Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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