Neue Materialverfahren: Stoff für Gründerträume

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Keramik leichter formen, eine Oberfläche wie eine Haifischhaut – die Industrie entdeckt immer neue Materialverfahren, mit denen effizienter und effektiver gearbeitet werden kann.

Manchmal geht es doch nicht ohne die Mama. Da kann die Ausbildung an der Uni noch so umfassend sein, der wissenschaftlich Hintergrund noch so profund – am Ende war es das mütterliche Know-how, das Valentine Troi den Durchbruch als Unternehmerin ermöglichte. Denn: „Ich kann nicht stricken“, gibt die Innsbrucker Architektin zu.

Das wäre in ihrem Kerngeschäft Architektur jetzt auch kein akutes Hindernis gewesen. Troi hatte aber nach ihrem Studium andere Pläne, als den üblichen Karrierepfad von Architekten einzuschlagen: Sie war drauf und dran, ein neues Verfahren zur Herstellung von Verbundfaserstoffen zu entwickeln, das großformatige, frei formbare architektonische Strukturen kostengünstig ermöglichen sollte.

Ihre Idee, faserverstärkten Kunststoff zu verwenden und in einem Schlauchprofil zu verarbeiten, brauchte aber noch einen finalen Schliff, eine Form, an der sich ein Prototyp erproben ließe. Um dafür ein erstes kleines Modell mit textiler Struktur zu schaffen, bat Troi ihre Mutter, eine Socke zu häkeln. Diese Socke wurde schließlich zum Vorbild für eine Schlauchprofilkonstruktion, deren strukturelle Beschaffenheit Trois Unternehmen Supertex Composites heute in den Fokus von Automobil- und Luftfahrtindustrie (wie BMW und EADS) rückt.

Das Rad anders drehen. Es sind die neuen Materialverfahren, die Industrieschwergewichte richtig wild auf forschungsbasierte Start-ups machen. Leichter, härter, effizienter – diese Komparative ebnen den jungen Wissenschaftlern den Weg in die Unternehmertätigkeit und bringen ihre Erfindungen auf das Radar der großen Player auf dem Markt. Dafür müssen die Innovatoren von der Uni das Rad gar nicht neu erfinden – es reicht auch, es ein wenig anders zu drehen als üblich.

Vorgezeigt haben das etwa die Werkstoffwissenschaftler Johannes Homa und Johannes Patzer von der TU Wien. Sie haben sich einem äußerst traditionellen Material gewidmet: der Keramik. Hergestellt wird diese vom Menschen schon seit einigen Jahrtausenden, aber erst in jüngerer Geschichte hat sich das Material zum unverzichtbaren Bestandteil der Hochtechnologie gemausert. Ob in der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik oder der Textilindustrie, Keramik ist aufgrund ihrer Festigkeit, Hitzeresistenz und Isolationsfähigkeit unverzichtbar.

Schwierig war bisher aber die Formgebung des harten Werkstoffes: „Die Bearbeitung von Keramik ist sehr komplex und wird schnell sehr teuer. Keramikteile mussten gepresst, geschliffen oder aus einem Block herausgearbeitet werden“, sagt Patzer. Dabei bleibe viel Material ungenutzt übrig. Auch das Verfahren des Pulverspritzgusses sei da nicht viel effizienter, weil dafür Gussformen benötigt werden, die schon bei einfachen Teilen heftige Kosten von 20.000 bis 50.000 Euro verursachten. „Das zahlt sich vielleicht bei Großserien aus. Aber für kleine Mengen oder Einzelstücke kommt das nicht infrage.“ Patzer und Homa haben einen eleganteren Weg gefunden, individuelle Keramikteile herzustellen und nur so viel Material zu verwenden, wie gebraucht wird: mithilfe des 3-D-Drucks.

Sie setzen damit auf eine mittlerweile erprobte Technologie, die große Flexibilität ermöglicht. Die im Fachjargon „generative Fertigung“ genannte Produktionstechnik setzt der Form von Objekten kaum Grenzen und benötigt keine teure Infrastruktur.

Damit Keramik statt des eigentlich üblichen Kunststoffs aus dem 3-D-Drucker kommen kann, bedienten sich die TU-Tüftler eines Kunstgriffes: „Wir mischen Keramikpartikel in die Kunststoffmasse und drucken damit einen Bauteil aus. Der Teil wird danach in einer Brennkammer bei 1600 Grad erhitzt. Dabei verbrennt der Kunststoff und übrig bleibt ein Bauteil aus Keramik – zwar ein wenig geschrumpft, aber bei richtiger Prozessführung bekommt er genau die gewünschte Größe“, erklärt Patzer. Noch während der Entwicklungs- und Forschungsphase zu diesem Prozess stand die Weiterentwicklung zur Geschäftsidee im Raum. „Ich habe schon ganz klar am Beginn gesagt, wenn das etwas wird, dann machen wir uns selbstständig“, erinnert sich Homa. Er war es dann auch, der die kaufmännischen Agenden des Start-ups namens Lithoz in die Hand nahm, Patzer widmete sich der Produktion und der Weiterentwicklung. Starthilfe im Gründungsjahr 2011 gab es von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und vom Universitätsgründerzentrum Wien Inits. Viel Anschub war allerdings nicht nötig, schnell stellte sich Wachstum ein. Ein moderates, wie Patzer betont – man sei immer noch zu 100 Prozent in privater Hand und wolle nicht den klassischen Weg der Hightech-Start-ups gehen, die heftig expandieren. „Konservatives Vorgehen liegt uns besser, wir versuchen, unsere Verkaufspotenziale realistisch abzuschätzen und die Gehälter pünktlich zu zahlen.“ Dennoch erlebte Lithoz 2014 einen großen Wachstumsschub, der Mitarbeiterstand verdoppelte sich von acht auf 16 Personen.

Nächstes Ziel: China. Es sind Chemiker, Maschinenbauer und Vertriebsleute, die vor allem an Materialmischungen und Verfahrenstechniken arbeiten. Lithoz ist Systemlieferant, die eigentlichen Keramikdrucker werden von der Firma Wild in Kärnten gebaut. Die erste Maschine konnte kürzlich in die USA verkauft werden, als Nächstes soll der Markt in China bearbeitet werden. Noch werden die Drucker vorwiegend für Kleinbauteile wie Turbinendüsen oder Sensorhalterungen verwendet, Patzer schielt aber schon in Richtung Medizintechnik: „Das Potenzial der Technologie ist groß, man denke nur an patientenspezifisch hergestellte Ersatzknochen.“ Bis diese Art des Materialeinsatzes eine Zulassung bekommt, könnte es allerdings noch dauern.

Realität ist dagegen schon der Materialeinsatz der Firma Bionic Surfaces in Graz. Das Spin-off der dortigen Technischen Universität setzt auf Kunststoff, bei dem weniger die chemische Zusammensetzung, sondern vielmehr die Beschaffenheit der Oberfläche eine Rolle spielt. Die Maschinenbauer Andreas Flanschger und Peter Leitl haben eine Oberflächenbeschichtung entwickelt, die aufgrund ihrer Struktur den Luftwiderstand der Objekte, an denen sie angebracht sind, merklich reduziert. Abgeschaut haben sie sich den Effekt aus der Natur: Bei den ersten Prototypen stand eine Haifischhaut Modell. Ihre Idee haben die Ingenieure ursprünglich beim Rennfahren geboren.

Rennautos schneller machen. Beide waren Mitglieder im Racing-Team der TU Graz, das Maschinenbau- und Fahrzeugtechnikstudenten als Spielwiese dient, um ihre Fähigkeiten in der Praxis zu testen und ihr Rennauto mit allen Mitteln schneller zu machen. „Wir waren für die Karosserie und Aerodynamik zuständig und hatten vor, reibungsreduzierte Oberflächen zu verwenden. Bei der Recherche haben wir bemerkt, dass diese nicht im großen Maßstab hergestellt werden“, sagt Flanschger. Warum also nicht selbst ins Geschäft einsteigen? Die beiden verfolgten die Idee weiter, beteiligten sich an Innovationswettbewerben und erhielten eine Basisförderung von der FFG. Die Oberfläche testeten sie auf einem Rennflugzeug und konnten so nachweisen, dass die Technologie das Flugzeug um 1,6 Prozent schneller macht und dabei vier Prozent Sprit sparen kann. Bei diesen Zahlen war nicht viel mehr viel Marketing notwendig – die Mundpropaganda und das Netzwerk rund um das Racing-Team reichten aus, um große Konzerne aus Motorsport, Luftfahrt und Rüstungsindustrie auf die Grazer Jungunternehmer aufmerksam zu machen.

„Oberflächentechniken ziehen gerade sehr gut, da bekommen kleine Start-ups ziemlich leicht Zugang zu den großen Unternehmen. Wenn du in dem Bereich etwas anzubieten hast, hört dich sogar die Lufthansa für eine Stunde an“, sagt Flanschger. Bionic Surfaces konnte unter anderem bei Red Bull Air Race landen. Businessplan war dafür übrigens keiner notwendig. Flanschger, selbst Wirtschaftsingenieur, hält davon relativ wenig. Wichtig sei vielmehr ein konkreter Lebensplan – und eben das richtige Material.

Guter Stoff

Lithoz: gibt mithilfe von 3-D-Druckern Keramik die gewünschte Form. www.lithoz.com

Bionic Surfaces ist eine Oberflächenbeschichtung, die den Luftwiderstand reduziert. www.bionicsurface.com

Supertex Composites verarbeitet Verbundfaserstoffe neu. splinetex.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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