Christian Kern: "Brüssel ist ein Wolkenkuckucksheim"

ÖBB-Chef Christian Kern
ÖBB-Chef Christian Kern (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Für ÖBB-Chef Christian Kern droht bei Ausschreibungen von Bus- und Bahnstrecken die größte Verstaatlichungsaktion seit dem Zweiten Weltkrieg.

Sie haben einmal gesagt: Wettbewerb kann viel kaputt machen. Was ist schlecht daran, wenn man den Zug- und Busverkehr öffnet?

Christian Kern: Das ist das Bahnparadoxon: Es heißt zwar immer, wir wollen mehr Wettbewerb. Aber in Wirklichkeit ist das, was der EU-Kommission vorschwebt, die größte Verstaatlichungsaktion seit dem Zweiten Weltkrieg. Die ÖBB etwa haben umfangreiches Know-how bei der Verkehrsplanung. Im sogenannten Ausschreibungswettbewerb entscheiden aber Behörden, die nicht auf dem Markt draußen sind. Alles wird haarklein vorgegeben. Die Unternehmen können ihr Angebot nicht mehr selbst gestalten. Und am Ende entscheiden in Österreich womöglich noch die einzelnen Bundesländer.

Bahnkunden und Steuerzahler wollen aber, dass Preise und Subventionen sinken.

Schlechte Regulierung wird nicht zu sinkenden Kosten führen. Bits und Bytes können frei zirkulieren. Aber für Züge sind die Kapazitäten auf den Gleisen begrenzt. Da braucht man Systematik und Ordnung. Der Markt allein wird das nicht regeln können. Am Beispiel Bayern: Ja, der Wettbewerb hat dazu geführt, dass die Zuschüsse dort niedriger sind als bei uns. Dafür kosten aber die Tickets fast die Hälfte mehr.


Ob bei Bahn, Strom oder Telekommunikation – die EU fordert: Netz und Betrieb trennen. Denn wenn dem dominierenden Anbieter auch das Netz gehört, kann er neue Konkurrenten diskriminieren. Klingt logisch. Warum wehren Sie sich dagegen?

Es klingt zwar plausibel. Aber wie Paul Krugman sagt: „Auf komplizierte Fragen gibt es nur falsche einfache Antworten.“ Wenn wir das System Bahn zerschlagen, sind wir keinen Cent billiger und gewinnen keinen einzigen Kunden. Aber wir vernichten Effizienz.


Und ein Monopol sichert die Effizienz?

Man muss den Marktdruck vom Wettbewerbs- in den Monopolbereich bringen. Dafür braucht es integrierte Unternehmen. Zum Beispiel: Unsere Kunden im Güterverkehr erwarten Preissenkungen. Da darf sich die Monopol-Infrastruktur nicht darauf zurückziehen, dass ihre Preise behördlich genehmigt sind. Sie muss ihren Beitrag leisten, damit die Bahn konkurrenzfähig bleibt. Sonst wird das System sicher teurer.

Sie waren früher beim Verbund für das Stromnetz zuständig. Wie haben Sie dort die Trennung von Netz und Betrieb erlebt?

Die These war: Wenn man trennt, gibt es mehr Wettbewerb und es wird billiger. Nichts davon ist passiert. Weil es in Wahrheit keine Diskriminierung gab. Dafür sind die Kosten für IT und Rechnungswesen raufgeschnalzt – na bravo!

Weil Sie nur organisatorisch getrennt haben, aber der Verbund der Eigentümer des Stromnetzes geblieben ist ...

Schauen Sie Deutschland an: Dort hat man auch eigentumsrechtlich getrennt – gleiche Situation in Blitzblau! Die Stromhersteller haben jetzt dort das Problem, dass sie ihre Offshore-Windparks nicht ans Netz anbinden können. Weil die Netzbetreiber sagen: Das interessiert uns nicht. Wenn die auch das Kraftwerk und den Abtransport des Stromes verantworten müssten, würden sie das anders sehen. Stattdessen muss Berlin den Netzbetreiber Tennet zwingen zu investieren. Man hat Liberalisierung gewollt und Planwirtschaft bekommen. Ein super Markt!

Heißt das, die EU hat ein falsches Verständnis von Wettbewerb?

Ganz sicher! Das ist ein Wolkenkuckucksheim. Die Behörden wollen die die Bahn der Neunzigerjahre regulieren, die chronisch unpünktlich und nicht rentabel war. Nur: Die Welt hat sich geändert. Die Kollegen rundherum strengen sich immens an, die Bahn moderner zu machen. Wir führen in Brüssel die falschen Debatten.

Wie kann man sonst mehr Wettbewerb in Branchen mit Netzinfrastruktur bringen?

Also: Im Güterverkehr ist alles andere als 100 Prozent Wettbewerb undenkbar. Und im Fernverkehr muss es freien Zugang geben. Wo aber die öffentliche Hand dazuzahlen muss, wird Wettbewerb auf dem Reißbrett kaum Kostensenkungen bringen. Sinnvoll sind Maßnahmen, die Druck auf die Unternehmen ausüben – wie degressive Leistungsvereinbarungen. Wenn der Staat uns zum Beispiel weniger Geld gibt, weil wir unpünktlich sind.

Brüssel will den Bahnverkehr auch grenzüberschreitend liberalisieren, also die Strecken europaweit ausschreiben lassen. Da sind Sie wohl auch dagegen?

Das hängt ganz von der Umsetzung ab. Aber der Vorschlag ist legitim. Es gibt Erfahrungen aus Ländern, wo damit Kosten gesenkt wurden. Die Steuerzahler könnten also etwas davon haben. Aber sicher nicht, wenn man es so macht wie Österreich vor Kurzem mit den Busausschreibungen!

Ist Österreich ein überreguliertes Land?

Ja. Für die EU gilt das aber noch mehr. Wir haben in Europa 27 verschiedene Signalsysteme. In China haben sie natürlich nicht in jeder Provinz ein eigenes. Die Chinesen schaffen Standards, die sie über ihre Märkte hinaustragen. Das ist konsequent. Wir aber führen die immer gleichen quälenden Diskussionen. Ich bin seit eineinhalb Jahren Vorsitzender der Europäischen Bahnen. Das ist der permanente Murmeltiertag. Und Österreich kopiert alle diese Strukturprobleme im Kleinen.

Angenommen, Sie wären morgen aus irgendwelchen Gründen Kanzler ...

Nein. Das beantworte ich nicht.

Sollen die ÖBB einmal privatisiert werden?

Der Eigentümer muss entscheiden, was er als strategische Ressource sieht.

Was sehen Sie als strategische Ressourcen?

Alle Bereiche, in denen es um die Infrastruktur geht, und damit um soziale Zugangschancen und die Umwelt. Da sollte sich der Staat nicht zurückziehen. Wenn das Land einen bestimmten Anteil der Bahn am Gesamtverkehr oder der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung erreichen will, dann geht das nicht nur über Fördersysteme.

Eine Voest in Staatshand würde aber wohl nicht mehr funktionieren ...

Nein. Wo verschiedene Anbieter den Markt versorgen können, hat das keinen Sinn. Unser Problem als ÖBB ist, dass wir als öffentliches Unternehmen von vornherein diskreditiert sind – durch die vielen Flops, die es da früher gab. Mein Ehrgeiz ist zu zeigen, dass eine Staatsfirma gut geführt werden kann. Diese These: „Alles, was privat ist, ist gut, alles, was öffentlich ist, ist schlecht“ – die will ich widerlegen.

Veranstaltungshinweis

ist eine Kooperation von „Presse“, WU und Erste Group. Am 20.4. diskutieren Christian Kern, Generaldirektor der ÖBB, und WU-Professor Klaus Gugler zum Thema „Wettbewerb und Regulierung“. Es moderiert „Presse“-Wirtschaftsressortleiterin Hanna Kordik.

diepresse.com/unplugged

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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