„Man kann Konzerne anders führen“

Manfred Reichl
Manfred Reichl(c) Stanislav Jenis
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Interview. Unternehmensberater Manfred Reichl spricht über Alphatiere in Chefetagen, deren Charaktere – siehe VW oder Immofinanz – oft mehr für Turbulenzen sorgen als nötig wäre.

Die Presse: Sie haben ein Buch über Corporate Governance geschrieben. Haben Sie es schon Ferdinand Piëch geschickt?

Manfred Reichl: Er hat noch nicht angefragt, und ich hatte dringendere Sachen zu tun.

Wie beurteilt jemand wie Sie die Vorgänge bei VW oder auch in der heimischen Immobilienszene, der jahrelang selbst an der Spitze eines Unternehmens stand, jetzt Aufsichtsrat ist und sich mit den Steuerungsregeln von Unternehmen befasst hat?

Menschen gibt es überall. Je höher sie in der Hackordnung stehen, desto ausgeprägter ist ihr Charakter. Und umso mehr krachen verschiedene Charaktere aufeinander.

Wenn Situationen eskalieren, sind dann kontroverse Charaktere schuld oder mangelt es generell an Korrektur an der Spitze?

Es sind die Charaktere. Wenn man die Historie von VW mit den Übernahmeschlachten betrachtet und dazu die Person Piëch, dann zeigt sich, dass sein Charakter maßgeblich ist. Er ist einfach ein dominantes Alphatier, das im sachlichen Kern vielleicht gar nicht so unrecht hat. Er ist ein äußerst erfolgreicher Manager mit einem ausgeprägten Charakter und Ego. Aber die Art, wie er Dinge unabgestimmt sagt, brüskiert die anderen Aufsichtsratsmitglieder. Man kann Konzerne ganz anders führen.

Bosse kann man sich nur bedingt aussuchen, vor allem nicht in Familienunternehmen. Wie lassen sich festgefahrene Führungsstrukturen aufbrechen?

Das geht nur über neue Personen und eine Führungskultur, deren Basis lange zuvor etabliert worden ist. Dass eine Familie mit so ausgeprägten Persönlichkeiten wie Piëch ein derart großes Unternehmen von weltweiter Bedeutung führt und beeinflusst, ist sehr selten.

Tut es gut?

Es kann schon gut gehen. Wenn die Personen an der Spitze die nötige persönliche Reife haben.

Auf der anderen Seite wird vielen Managern und Politikern vorgeworfen, zu wenig Profil zu haben.

Es gibt eine jüngere Generation von Führungskräften, die über kooperativere Unternehmenskulturen an die Spitze gekommen ist. Dazu gehört etwa Georg Pölzl von der Post. Er ist eine moderne, kooperative, aber trotzdem durchsetzungsfähige Führungskraft. Piëch ist halt noch alte Schule. Das ist eine Generationenfrage.

Piëchs gibt es überall, auch in Österreich.

Schauen Sie sich Immofinanz-Chef Eduard Zehetner an. Er ist ein hervorragender Manager, der mit der Wiedergeburt der Immofinanz ein Wunder vollbracht hat. Wie er aber in den vergangenen Tagen agiert hat, seine Wortwahl – das ist seiner nicht würdig. Es gibt aber auch Anti-Piëchs wie Wolfgang Eder, den Voest-Chef. Er ist jünger, moderner und durch seine sanfte, aber gradlinige Art höchst erfolgreich. Man muss nicht wie Piëch auftreten, um Erfolg zu haben.

Wie schafft man es, einen so großen Scherbenhaufen wieder zu kitten?

Die Frage ist, wie sehr sich die führenden Personen beschädigt haben. Um beim konkreten Fall zu bleiben: Kann Piëch einen Schritt zurück? Zehetner geht in Pension. Wie gesagt, es gelingt meist nur über neue Personen. Denn Alphatiere machen üblicherweise keinen Schritt zurück, sondern senken ihre Hörner noch weiter.


Immer, wenn es Turbulenzen gibt, wird der Ruf nach Corporate Governance laut.

Bei Corporate Governance geht es um viel mehr als nur die Einhaltung formeller Regeln. Inhaltliche Leitlinien der Führung, Steuerung und Überwachung sind für den Erfolg von Unternehmen oft wesentlich wichtiger als nur die rechtlich richtige Strukturierung der obersten Organe. Das betrifft auch die Rechte, Pflichten und Prozesse der drei Organe Anteilseigner, Aufsichtsräte und Vorstand des Unternehmens.


Also braucht es doch ein Gesetz? Ist der Corporate-Governance-Kodex zu zahm?

Nein. In Deutschland und Österreich sind wir nach wie vor von der Untertanenmentalität unter Bismarck und Metternich geprägt und müssen alles von Gesetzen vorgeschrieben haben. Aber das Zusammenspiel der Führungsebene kann man nicht per Gesetz sicherstellen. Und die Märkte sind ohnedies strenger als Gesetze. Kunden, Lieferanten, Aktionäre – alle bestrafen ein Unternehmen, wenn es keine konsistente Governance hat. Die Schweiz macht es vor: Sie ist ein wirtschaftlich äußerst erfolgreiches Land, und ihr Obligationenrecht enthält nur ganz wenige Regeln.

Die Schweiz hat auch ein anderes System – Geschäftsführung und Kontrolle sind nicht getrennt.

Das hierzulande geltende dualistische System impliziert Konfrontationen. Der Aufsichtsrat kontrolliert, der Vorstand macht die Strategie, die der Aufsichtsrat genehmigen darf. Ich sage nicht, dass es in der Schweiz oder in den USA, wo das monistische System dominiert, keine Exzesse zwischen Personen, keine schmutzigen Übernahmeschlachten gibt. Aber unser dualistisches System ist nicht mehr zeitgemäß. In vielen Unternehmen arbeiten die Organe eng zusammen, sie bewegen sich damit aber außerhalb des Gesetzes. Es kann mir niemand erzählen, dass man eine Entscheidung über die Strategie ohne intensivste Zusammenarbeit treffen kann. Studien haben zwar keinen Vorteil für das eine oder andere Modell ergeben. Ich halte es aber für richtig, dass das Geschäft von einer Person verantwortet wird. Das sollte europaweit gelten, es braucht nicht jeder Staat ein eigenes Aktiengesetz.

ZUR PERSON

Manfred Reichl studierte Wirtschaftsingenieurwissenschaften und Jus in Graz, Stanford und am MIT. Er war viele Jahre Senior Partner bei Roland Berger Strategy Consultants und baute Österreich und Osteuropa zur drittgrößten Region aus. Seit 2007 ist er Senior Adviser und Strategieberater unter anderem für das World Economic Forum sowie Aufsichtsrat und Investor. Sein Buch erschien unter dem Titel „Corporate Governance ohne Paragrafen“ im Linde-Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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