Sebastian Kurz: "Die Gewerkschaft blockiert"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dass Hochqualifizierte so lang brauchen, bis sie einwandern dürfen, sei von Gewerkschaftern gewünscht, sagt Außenminister Kurz. Dabei brauche Europa Innovation.

Die Türkei droht Österreich aufgrund der Nationalratserklärung zum Völkermord an den Armeniern 1915 mit Wirtschaftssanktionen – müssen wir uns davor fürchten?

Sebastian Kurz: Österreich ist einer der größten Investoren in der Türkei, es gibt einen intensiven wirtschaftlichen Kontakt. Ich glaube, dass Drohungen hier nicht der richtige Weg sind. Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren. Das Thema ist in der Türkei sehr emotional.

Sind Wirtschaftssanktionen heute ein übliches Mittel der Außenpolitik?

Man darf Dinge nicht miteinander vermischen, wenn Sie auf den Iran oder Russland anspielen. Die Türkei reagiert auf eine Erklärung des Parlaments. In der Ukraine geht es um massive Völkerrechtsverletzungen.

Wie wird es mit den Russland-Sanktionen weitergehen?

Es hat Verhandlungen in Minsk gegeben, die Gott sei Dank Ergebnisse gebracht haben. In der Umsetzung gibt es Schwierigkeiten – aber ich glaube trotzdem, dass Minsk das einzige Mittel für eine friedliche Lösung ist, das wir derzeit haben. Wenn es eine positive Entwicklung gibt, wird es auch ein schrittweises Zurückfahren der Sanktionen geben. Anders formuliert: Solang es keine positive Veränderung in der Ukraine gibt, werden die Sanktionen auch nicht enden. Sanktionen dürfen aber auch kein Selbstzweck sein.

Die Sanktionen treffen nicht nur Russland, sondern auch uns. Wie lang kann man das durchhalten?

Wir nehmen natürlich auch Schaden. Nicht nur aufgrund der Sanktionen und Gegensanktionen, sondern vor allem aufgrund des Konflikts. Es wäre falsch zu glauben, dass es möglich ist, dass es einen bewaffneten Konflikt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geben kann – mit tausenden Toten und über einer Million Flüchtlingen –, der uns nicht betrifft. Die Ukraine ist von Wien so weit entfernt wie die Schweiz. Wir sind unter den fünf größten Investoren. Dazu kommen eine Wirtschaftskrise in Russland und der Fall des Rubels. Auch darunter leiden unsere Unternehmen. Wenn die Russen nicht Ski fahren kommen, dann nicht wegen der Sanktionen, sondern, weil sie es sich nicht leisten können.

Trotzdem hat es in der Wirtschaft viel Widerstand gegen die Sanktionen gegeben.

Das kann ich nachvollziehen. Die Wirtschaftskammer muss ja auch auf die Exportwirtschaft achten. Wir sind stets sehr besonnen vorgegangen. Aber wir haben auch nicht weggesehen, als die russische Seite massiv das Völkerrecht verletzt hat. Andererseits muss unser Ziel schon eine friedliche Lösung mit und nicht gegen Russland sein. Es wird Frieden auf unserem Kontinent nur mit Russland geben können – nicht gegen Russland.

In der Wirtschaft verschiebt die Macht sich ja nach Osten und Asien. Der Erfolg von Chinas neuer Entwicklungsbank ist dafür ein Zeichen. Welche Rolle soll Österreich in dieser neuen Weltordnung spielen?

Europa muss aufpassen, dass es nicht zurückfällt. Wenn ich unterwegs bin, sehe ich sehr deutlich, dass es viele andere Regionen gibt, wo mehr Wunsch nach Erfolg, Wohlstand und Wachstum vorhanden ist. Ein großes Thema sind unsere Abhängigkeiten. Es gibt eine immense Abhängigkeit von Gas aus Russland, von Öl aus den Golfstaaten, und im Technologiebereich sind wir von den USA abhängig. Im Silicon Valley, Seoul und Bangalore wird Zukunft gestaltet. In Europa wird politisch viel zu oft die Gegenwart verwaltet. Zu viele zerbrechen sich den Kopf, wie man den Kuchen verteilen kann, statt nachzudenken, wie man ihn größer machen kann.

Sie haben die Abhängigkeit von US-Firmen im Technologiebereich erwähnt. Wie könnte das in Europa denn geändert werden?

Entscheidend wäre der Bildungsbereich. Wir bilden immer noch in Berufen aus, obwohl wir wissen, dass es diese Berufe in einigen Jahren nicht mehr geben wird. Wir brauchen aber auch einen Kulturwandel. Wer hierzulande scheitert, hat sein Leben lang den Stempel des Versagers, der es ihm schwer macht, wieder auf die Beine zu kommen. Das trägt dazu bei, dass es wenig Unternehmer gibt. Diese brauchen wir aber für Innovationen.

Auch Digital-Start-ups sind Firmen, für die Bürokratie oder Steuerbelastung ein entscheidendes Thema ist. Laut World Economic Forum ist Österreich bei diesem Thema an 128.Stelle, 100 Plätze hinter Dänemark. Warum müssen die Österreicher so hohe Steuern zahlen?

Ich teile die Einschätzung, dass wir die Bürokratie abbauen müssen. Nicht immer ist ein neues Gesetz ein gutes Gesetz. Auch die Steuerbelastung in Österreich sollte sinken. Das sind zwei ganz entscheidende Faktoren für den Standort. Darüber hinaus ist aber auch entscheidend, dass wir richtig investieren und gewisse Veränderungsprozesse – etwa die Globalisierung oder den demografischen Wandel – nicht verschlafen. Und hier spielt auch die Digitalisierung eine ganz entscheidende Rolle. Laut Universität Oxford werden sich in den nächsten beiden Jahrzehnten 47 Prozent der Berufe größtenteils automatisieren lassen. Das wird unsere ganze Arbeitswelt auf den Kopf stellen.

Derzeit liegt unsere Abgabenquote bei 45Prozent. Haben Sie einen Zielwert?

Jede Entwicklung in die richtige Richtung ist gut.

Aber keine konkrete Zahl?

Nein.

Um die Abgabenquote zu senken, braucht es Einsparungen. Der Föderalismus ist etwa sehr teuer. Viele Gesetze kommen aus Brüssel. Brauchen wir da neun Bundesländer?

Die entscheidende Frage ist nicht, ob es die Ebenen, sondern, ob es eine ordentliche Kompetenzverteilung gibt. Dieses Problem haben wir aber nicht nur im Bereich des Föderalismus, sondern auch auf Ebene der Ministerien, wo für ein und dieselbe Sache drei Ressorts zuständig sind.

Bei der digitalen Wirtschaft geht es um kluge Köpfe. Diese stammen oft aus Ländern außerhalb der EU. Laut Unternehmern dauert es sehr lang, sie nach Österreich zu holen, weil die Bürokratie so kompliziert ist.

Wir kritisieren schon sehr lang die zum Teil sehr langen und aufwendigen Prüfungen des AMS vor Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Card. Die Gewerkschaften haben hier einfach ihren Einfluss geltend gemacht, um zu blockieren.

Haben wir uns bei den Übergangsregeln mit der Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern nicht selbst ins Knie geschossen? Gute Leute waren vielfach schon in anderen Ländern, als sie endlich kommen durften.

Definitiv nicht. Würde das stimmen, hätten wir jetzt keine qualifizierte Zuwanderung – neben Deutschland auch aus Rumänien oder Bulgarien. Über zwei Drittel unserer Zuwanderer kommen aus der EU und sind viel besser qualifiziert als jene, die früher gekommen sind. Und mit 150.000 Zuwanderern im vergangenen Jahr sind wir auch ein absolutes Spitzenzuwandererland.

Auf der Homepage des australischen Außenministeriums findet man sofort eine Broschüre, wie man einwandern kann – in 37 Sprachen. In Österreich gibt es so etwas gerade einmal in Englisch. Zeugt das nicht von einer anderen Willkommenskultur?

Wir haben viel Zuwanderung aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien – und deshalb auch Informationen in diesen Sprachen. Hoch qualifizierte Zuwanderer sind in der Regel aber auch in der Lage, Unterlagen in Englisch zu lesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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